Gegen den Betroffenen erging ein Bußgeldbescheid mit einer Geldbuße in Höhe von 300 Euro wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz. Nach Einspruch und Terminsbestimmung beantragte der erkrankte Verteidiger erfolglos die Verlegung des Termins. Das AG verwarf den Einspruch des nicht entbundenen Betroffenen, der ebenso wie sein Verteidiger nicht zur Verhandlung erschienen war.

Das OLG Hamm betont, dass sich ein Betroffener auch außerhalb des Falls einer notwendigen Verteidigung in jeder Verfahrenslage des Beistandes eines Rechtsanwaltes bedienen könne. Ob die Fürsorgepflicht des Gerichts die Durchführung der Hauptverhanldung in Anwesenheit des Verteidigers gebiete, sei eine Frage des Einzelfalls. Das Interesse des Betroffenen an seiner wirksamen Verteidigung und das an einer zügigen Durchführung des Verfahrens seien vom Gericht gegeneinander abzuwägen und dies im Urteil darzulegen. Im Zweifel habe das Verteidigungsinteresse Vorrang. Im Urteil gehe das Gericht allein auf die Frage der (nicht bestehenden) Verhinderung des Betroffenen ein, weshalb es aufzuheben sei.

OLG Hamm, Beschluss vom 28.02.2019 – 4 RBs 71/19

Das angefochtene Urteil wird mit den zu Grunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Rechtsmittels an das Amtsgericht Münster zurückverwiesen.

Gründe:

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Antragsschrift vom 22.02.2019 Folgendes ausgeführt:

“I.

Das Polizeipräsidium Münster hat gegen den Betroffenen mit Bescheid vom 28.02.2018 – ZA 1.2.1 – 57.06.58 – 01/2018 – wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz ein Bußgeld in Höhe von 300,00 Euro festgesetzt sowie die Einziehung eines Elektroimpulsgerätes angeordnet (Bl. 3 – 6 d.A.).

Seinen gegen diesen ihm am 03.03.2018 zugestellten (Bl. 7, 8 d.A.) Bescheid gerichteten Einspruch vom 07.03.2018 (Bl. 9, 10 d.A.) hat das Amtsgericht Münster mit in Abwesenheit des nicht von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbundenen Betroffenen verkündeten (Bl. 32 – 34 d.A.) Urteil vom 10.10.2018 (Bl. 34 d.A.) gemäß § 74 Absatz 2 OWiG verworfen.

Gegen dieses ihm auf Anordnung des Vorsitzenden vom selben Tag (Bl. 34 d.A.) am 25.10.2018 zugestellten (Bl. 38, 38R d.A.) Urteil hat der Betroffene mit am 02.11.2018 bei dem Amtsgericht eingegangenem Schreiben seines Verteidigers vom 30.10.2018 (Bl. 39 – 41 d.A.) hat der Betroffene Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Säumnis der Hauptverhandlung sowie Rechtsmittel eingelegt und begründet.

Den Antrag des Betroffenen auf Wiedereinsetzung hat das Amtsgericht mit dem Betroffenen auf Anordnung des Vorsitzenden vom 13.12.2018 (Bl. 45R, 46 d.A.) am 21.12.2018 zugestellten (Bl. 49, 49R d.A.) Beschluss vom 13.12.2018 (Bl. 45, 45R d.A.) zurückgewiesen. Rechtsmittel hat der Betroffene insoweit nicht eingelegt.

II.

Die gemäß § 79 Absatz 1 Nummer 1 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist fristgerecht angebracht und form- und fristgerecht begründet worden. Ihr ist auch in der Sache ein – zumindest vorläufiger – Erfolg nicht zu versagen.

Die Rechtsbeschwerde dringt mit ihrer noch den Anforderungen des § 79 Absatz 3 OWiG, § 344 Absatz 2 Satz 2 StPO genügenden Rüge, der Betroffene sei der Hauptverhandlung nicht unentschuldigt ferngeblieben, da sein Verteidiger an dem Termin wegen einer eigenen Erkrankung nicht habe teilnehmen können und erfolglos um Terminsverlegung nachgesucht habe, durch, da die angefochtene Entscheidung schon nicht erkennen lässt, ob der Tatrichter von zutreffenden Voraussetzungen für die Einspruchsverwerfung gemäß § 74 Absatz 2 OWiG ausgegangen ist.

Auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren kann sich der Betroffene gemäß § 46 OWiG in Verbindung mit § 137 Absatz 1 Satz 1 StPO in jeder Verfahrenslage des Beistandes eines Rechtsanwaltes bedienen, was – trotz der Regelungen in §§ 46 Absatz 1, 71 Absatz 1, OWiG, § 228 Absatz 2 StPO – nicht nur auf den Fall der notwendigen Verteidigung beschränkt ist (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 12.11.2012, – III-3 RBs 253/12 – m.w.N.; jeweils zitiert nach juris).

Es ist eine Frage des Einzelfalles, ob die Fürsorgepflicht des Gerichts die Durchführung der Hauptverhandlung in Anwesenheit des Verteidigers gebietet, wenn es dem Betroffenen aufgrund der Bedeutung der Bußgeldsache und ihrer tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten nicht zuzumuten ist, sich selbst zu verteidigen (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 09.02.2009- 4 Ss OWi 6/09 – m.w.N., zitiert nach juris).

Insoweit hat das Gericht das Interesse des Betroffenen an seiner wirksamen Verteidigung und das Interesse an einer möglichst reibungslosen und zügigen Durchführung des Verfahrens gegeneinander abzuwägen, wobei das Verteidigungsinteresse im Zweifel Vorrang hat (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 12.11.2012, a.a.O., m.w.N.).

Bei Zurückweisung eines Terminsverlegungsantrages bedarf es einer Darlegung im Urteil, warum das Interesse an möglichst reibungsloser Durchführung des Verfahrens Vorrang vor den Verteidigungsinteressen des Betroffenen hat (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 25. Juni 2015 – III-3 RBs 200/15 -, m.w.N., zitiert nach juris).

Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht, sodass es dem Rechtsbeschwerdegericht nicht möglich ist nachzuvollziehen, ob das Amtsgericht sein Ermessen pflichtgemäß ausgeübt hat. Die Gründe des Urteils verhalten sich allein zu der Frage der Verhinderung des Betroffenen, lassen jedoch nicht erkennen, ob die Verhinderung des Verteidigers Anlass gegeben hätte, das Ausbleiben des Betroffenen als entschuldigt anzusehen.

Die Entscheidung beruht auch auf diesem Rechtsfehler. In Anbetracht der vorgeworfenen Tat und der dem Betroffenen im Bußgeldbescheid auferlegten Sanktion versteht es sich nicht von selbst, dass sich der Betroffene ohne seinen Verteidiger hätte selbst verteidigen können. Daher hätte es näherer Darlegungen dazu bedurft, warum dem Interesse an einer reibungslosen Durchführung des Verfahrens vorliegend Vorrang vor dem Verteidigungs-interesse des Betroffenen eingeräumt werden musste.

Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und an das Amtsgericht Münster zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.”

Diesen Ausführungen kann sich der Senat nicht verschließen, hebt die an gefochtene Entscheidung auf und verweist die Sache an das Amtsgericht Münster zurück (§ 79 Abs. 6 OWiG).