Der Kläger beabsichtigte, mit seinem Pkw innerhalb eines Staus auf einer Autobahn mit vier Fahrstreifen von der – von rechts gesehen – dritten Fahrspur auf die linke Spur in eine Lücke zwischen einem weiteren Pkw und einem Lkw zu wechseln. Dabei kam es zu einem Zusammenstoß mit dem Lkw. Das OLG Düsseldorf sieht in dem Befahren des linken Fahrstreifens durch den Lkw einen Verstoß gegen § 7 Abs. 3c Satz 3 StVO, welcher auch auf Autobahnen gelte, was bei der Haftungsverteilung jedoch außer Betracht zu bleiben habe. Das Verbot diene allein dem besseren Verkehrsfluss und damit der Leichtigkeit des Verkehrs, nicht aber dem Schutz von Spurwechslern. Da gegen den Kläger ein Anscheinsbeweis spreche und ein Sorgfaltsverstoß des Lkw-Fahrers nicht erwiesen sei, habe der Kläger alleine für den Zusammenstoß zu haftne.

OLG Düsseldorf, Urteil vom 06.02.2018 – I-1 U 102/17

Die Berufung des Klägers gegen das am 12.06.2017 verkündete Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des Landgerichts Duisburg wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Das Berufungsurteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadenersatz wegen eines Verkehrsunfalls, der sich am 30.10.2014 gegen 15:45 Uhr auf der Bundesautobahn 40 in Fahrtrichtung Dortmund kurz hinter dem Autobahnkreuz Duisburg ereignete.

Der Kläger ist Eigentümer und Halter eines Pkw Daimler-Chrysler C220 CDI. Mit diesem fuhr er von der Bundesautobahn 59 auf die Bundesautobahn 40 in Fahrtrichtung Dortmund, die dort nach Ende der Auffädelungsspur über vier Richtungsfahrspuren verfügt.

Auf Grund eines vorangegangenen Unfalls staute sich der Verkehr. Der Kläger wechselte von der äußerst rechten Fahrspur bis zur von rechts aus gesehen dritten Fahrspur. Von dort aus wollte er auf die äußerst linke Fahrspur wechseln.

Auf der linken Fahrspur fuhr ein bei der Beklagten haftpflichtversicherter, polnischer Lkw. Als der vor dem Lkw befindliche Pkw langsam vorfuhr, bildete sich zwischen diesem und dem Lkw eine Lücke, in die der Kläger einfuhr. Es kam zu einer Kollision zwischen dem Lkw und dem Klägerfahrzeug, bei der der Lkw mit der rechten, vorderen Ecke gegen das linke Hinterrad des Klägerfahrzeugs stieß.

Die Nettoreparaturkosten zur Behebung des am Klägerfahrzeug entstandenen Schadens belaufen sich auf 5.873,39 Euro. Der Kläger ließ sein Fahrzeug notdürftig instand setzen, so dass es wieder am Verkehr teilnehmen darf.

Der Kläger hat auf Ersatz der Reparaturkosten und einer Verkehrsunfallpauschale in Höhe von 25 Euro angetragen. Er hat behauptet, er habe vor dem Fahrstreifenwechsel den Blinker gesetzt und einen Schulterblick vorgenommen. Da der Lkw trotz größer werdender Lücke stehengeblieben sei, habe er davon ausgehen dürfen, dass der Lkw ihn an dieser Stelle einfädeln lasse. Kurz bevor sein Fahrzeug vollständig gerade auf der linken Fahrspur gestanden hätte, sei es plötzlich und unerwartet zu einem Aufrollen des Lkw gekommen.

Der Kläger ist der Auffassung, der Unfall sei allein vom Fahrer des Lkw verursacht und verschuldet worden. Dieser habe sich mit dem Lkw widerrechtlich auf der linken Fahrspur befunden und die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagten zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von 5.898,39 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 571,44 Euro zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, der Kläger müsse für die Unfallfolgen einstehen. Er habe den Unfall allein verursacht, indem er ohne ausreichende Beachtung des nachfolgenden Verkehrs einen Spurwechsel vorgenommen habe. Die von ihm entdeckte Lücke auf der linken Spur sei offensichtlich nicht groß genug gewesen. Der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs hätte den Zusammenstoß nicht verhindern können.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, das unfallursächliche Fehlverhalten des Klägers überwiege die Betriebsgefahr des Lkw sowie ein mögliches Mitverschulden von dessen Fahrer derart, dass kein Anspruch bestehe.

Der Unfall habe sich bei einem Fahrspurwechsel des Klägers ereignet. Aus den von ihm vorgelegten Lichtbildern und dem daraus ersichtlichen Anstoß gegen die Fahrerseite des Klägerfahrzeugs ergäbe sich, dass der Spurwechsel des Klägerfahrzeugs noch nicht abgeschlossen gewesen sei. Der Kläger hätte demnach gar nicht in die Lücke vor dem Lkw fahren dürfen, da er – wie der Verkehrsunfall gezeigt habe – den Fahrspurwechsel offensichtlich nicht ohne Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer habe durchführen können.

Der Kläger verfolgt mit der Berufung seinen erstinstanzlichen Klageantrag weiter und wendet sich gegen die Feststellung des Landgerichts, er habe bei seinem Spurwechsel andere Verkehrsteilnehmer gefährdet. Für den Spurwechsel sei genügend Raum vorhanden gewesen. Von etwas anderem habe das Landgericht ohne Beweisaufnahme nicht ausgehen dürfen.

Zudem habe das Landgericht die erhöhte Betriebsgefahr des Lkw vernachlässigt, die durch das verbotswidrige Befahren der linken Spur weiter erhöht gewesen sei.

Ferner hätte der Fahrer des Lkw das klägerische Fahrzeug sehen müssen, als dieses staubedingt auf der linken Fahrspur angehalten habe. Ein toter Winkel bestände insoweit nicht. Das Landgericht hätte nicht auf die Einholung des angebotenen Sachverständigengutachtens verzichten dürfen. Andernfalls hätte es eines Hinweises bedurft.

Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil und ist der Auffassung, es komme nicht darauf an, dass Lkw die linke Spur nicht habe befahren sollen. Bei dieser Regel handle es sich um keine Unfallverhütungsvorschrift für den querenden Verkehr, sondern solle den Verkehrsfluss auf Überholspuren erhalten. Der Schutzzweck der Norm gehe nicht dahin, Fahrspurwechsel zu ermöglichen.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Dem Kläger steht der geltend gemachte Schadenersatzanspruch, der seine rechtliche Grundlage nur in den §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVO, 823 Abs. 1 BGB, 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG haben kann, nicht zu.

1. Der Anspruch aus Gefährdungshaftung gemäß den §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVO scheitert daran, dass der Kläger den Unfall durch einen schwerwiegenden Verkehrsverstoß selbst verursacht hat.

a) Da sich der Unfall unstreitig beim Betrieb des Beklagtenfahrzeugs ereignet hat und ebenso unstreitig an dem Unfall auch das Klägerfahrzeug beteiligt war, richtet sich die Ersatzpflicht untereinander gemäß § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG danach, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist.

b) Diese Ersatzpflicht ist für keinen der Unfallbeteiligten nach § 17 Abs. 3 StVG ausgeschlossen, denn der Unfall beruht weder für den Kläger noch den Beklagten auf einem unabwendbaren Ereignis.

Der Kläger hätte den Unfall durch Zurückstellen des Spurwechsels und Passierenlassen des Lkw vermeiden können und auch für den Fahrer des Lkw lässt sich ein unabwendbares Ereignis nicht feststellen.

Denn wer sich durch die Unabwendbarkeit des Unfalls entlasten möchte, muss die Unabwendbarkeit beweisen (König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 17 StVG, Rn. 23). Der Beweis der Unabwendbarkeit erfordert nicht die Widerlegung aller vorstellbaren Unfallhergänge, für die keine Anhaltspunkte bestehen, doch schließen die Unaufklärbarkeit der tatsächlichen Umstände wie auch bloße Zweifel am unfallursächlichen Fahrverhalten die Feststellung der Unabwendbarkeit aus (König a.a.O.).

Ob der Unfall für den Fahrer des Lkw vermeidbar war, lässt sich nicht feststellen. Mangels ausreichender Anknüpfungstatsachen ist auch durch Einholung des von der Beklagten angebotenen Unfallrekonstruktionsgutachtens nicht aufklärbar, wann für den Fahrer des Lkw die Absicht des Klägers zum Spurwechsel erstmals erkennbar war. Nicht ausgeschlossen ist daher, dass ein Idealfahrer den Unfall hätte vermeiden können.

c) Für den Umfang der danach untereinander bestehenden Ersatzpflicht ist in erster Linie das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten bzw. deren Fahrzeuge zur Schadensentstehung beigetragen haben, wobei das auf der einen oder anderen Seite vorhandene individuelle Verschulden der Fahrzeuglenker nur einen Faktor der Abwägung darstellt.

Im Rahmen dieser Bewertung sind nur unstreitige oder bewiesene Umstände zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 13.02.1996, Verfahren VI ZR 126/95, juris; Senat, Urteil vom 23.02.2016, Verfahren I-1 U 79/15, juris; OLG Hamm, Urteil vom 18.11.2003, Verfahren 27 U 87/03, juris). Jeder Halter hat dabei die Umstände zu beweisen, die dem anderen zum Nachteil gereichen und aus denen er die nach der Abwägung günstigen Rechtsfolgen für sich herleiten will (BGH a.a.O.).

d) Auf Seiten der Beklagten hat zu dem Unfall nur die vom Lkw ausgehende Gefahr beigetragen, die durch die Größe und Masse eines Lkw höher ist, als die eines Pkw. Hingegen war diese Gefahr nicht durch einen Verkehrsverstoß erhöht.

aa) Zutreffend weist der Kläger darauf hin, dass der Lkw die linke Spur verkehrswidrig befahren hat.

Nach § 7 Abs. 3c Satz 3 dürfen Lastkraftwagen mit einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als 3,5 Tonnen außerhalb geschlossener Ortschaften, sofern drei oder mehr Fahrstreifen gekennzeichnet sind, den linken Fahrstreifen nur benutzen, wenn sie sich dort zum Zwecke des Linksabbiegens einordnen.

(1) Diese Regelung gilt auch für Autobahnen (König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 7 StVO, Rn. 8), auch wenn ein Linksabbiegen auf Autobahnen grundsätzlich nicht vorgesehen ist, denn es handelt sich um eine einheitliche Regelung für alle außerhalb geschlossener Ortschaften liegenden Straßen. Die Ausnahmeregelung findet zudem auch auf Autobahnen Anwendung, wenn sich die Autobahn teilt und nur über die äußerst linke Spur eine der neuen Fahrtrichtungen erreicht werden kann.

(2) Der Anwendbarkeit steht § 18 Abs. 11 StVO nicht entgegen, durch den speziell auf “Autobahnen und Kraftfahrstraßen” die Benutzung des äußerst linken Fahrstreifens für Lastkraftwagen über 7,5 t bei extremen winterlichen Straßenverhältnissen verboten ist.

Eingefügt wurde dieses Benutzungsverbot durch Artikel 1 Nr. 1 der 45. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften (BGBl. I 2009, 734) mit dem Ziel, “[v]or allem auf zweispurigen Richtungsfahrbahnen” zu verhindern, dass Lastkraftwagen bei extremen winterlichen Wetterverhältnissen an bereits liegen gebliebenen Lastkraftwagen vorbeifahren, selbst liegenbleiben und so die ganze Fahrbahn verstopfen und kilometerlange Staus verursachen (BR-Drucksache 87/09, Seite 7).

Diese Regelung verdrängt das Benutzungsverbot in § 7 Abs. 3c Satz 3 StVO nicht, sondern ergänzt es um ein weiteres Benutzungsverbot bei winterlichen Straßenverhältnissen, dem auch auf Straßen mit drei und mehr Richtungsfahrbahnen trotz des bereits bestehenden allgemeinen Benutzungsverbotes eine eigene Bedeutung zukommt.

Denn während ein Verstoß gegen das allgemeine Benutzungsverbot gemäß § 7 Abs. 3c Satz 3 StVO nach Nr. 31b der Verordnung über die Erteilung einer Verwarnung, Regelsätze für Geldbußen und die Anordnung eines Fahrverbotes wegen Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr (Bußgeldkatalog-Verordnung – BKatV) nur mit einem Verwarnungsgeld von 15 Euro geahndet wird, ist für einen Verstoß gegen das spezielle Benutzungsverbot gemäß § 18 Abs. 11 StVO nach Nr. 87a ein Bußgeld von 80 Euro vorgesehen.

(3) Der Verkehrsverstoß des Fahrers des Lkw ist jedoch unbeachtlich.

Die Beklagte weist zutreffend darauf hin, dass die Norm den Kläger bei dem von ihm vorgenommenen Spurwechsel nicht schützen sollte. Das Verbot für schwere Lkw auf vielspurigen Fahrbahnen, die äußerst linke Spur zu nutzen, dient allein dem besseren Verkehrsfluss und damit der Leichtigkeit des Verkehrs, nicht aber dem Schutz von Spurwechslern.

§ 7 Abs. 3c wurde durch Art. Nr. 5 der 46. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften in die Straßenverkehrsordnung eingefügt und stellt nach der amtlichen Begründung (BR-Drucksache 153/09, Seite 89) eine sprachlich bereinigte Übernahme der bis dahin in den Erläuterung d zu Zeichen 340 getroffenen Regelung dar.

Diese Vorgängerregelung diente der Erleichterung des Verkehrs. Das Zeichen 340 war in § 42 Abs. 6 StVO geregelt und erhielt in der Erläuterung d bereits seit der Neubekanntmachung vom 16.11.1970 (BGBl. I 1970, 1965) die Regelung zur Nutzung des linken Fahrstreifens durch Lkw, die in der Folgezeit nur hinsichtlich Gewicht und Größe der Lkw geändert wurde.

Ausweislich der amtlichen Überschrift wurden in § 42 “Richtzeichen” geregelt. Diese sollten nach der Legaldefinition in Abs. 1 besondere Hinweise zur Erleichterung des Verkehrs geben.

Die vom Verordnungsgeber angestrebte Erleichterung des Verkehrs wird durch das Benutzungsverbot des linken Fahrstreifens für schwere Lkw erreicht, denn es erhöht die Schnelligkeit und Leichtigkeit des Verkehrs. Ohne das Benutzungsverbot würde der Verkehrsfluss von schnellen Pkw auf der Überholspur durch wesentlich langsamere Lkw beeinträchtigt.

Keine Auswirkungen hat das Nutzungsverbot für schwere Lkw hingegen auf den Spurwechsel von anderen Verkehrsteilnehmern. Der Spurwechsel wird für sie hierdurch nicht leichter.

Dass eine Erleichterung des Spurwechsels auf die linke Spur nicht bezweckt ist, wird besonders daran deutlich, dass es wesentlich schwerer ist, vor einem schnell fahrenden Pkw auf die linke Spur zu wechseln, als vor einem langsam fahrenden Lkw. Durch das Benutzungsverbot für schwere Lkw wird den Pkw auf der äußerst linken Spur zudem das Fahren mit höherer Geschwindigkeit ermöglicht. Dies erschwert einen Fahrstreifenwechsel auf die linke Spur zusätzlich.

bb) Ein Aufmerksamkeitsverstoß des Fahrers des Lkw liegt entgegen der Behauptung des Klägers nicht vor. Zwar oblag es dem Fahrer des Lkw gemäß § 1 StVO ständige Vorsicht walten zu lassen und keinen anderen zu schädigen, er durfte daher nicht sehenden Auges in ein Hindernis hineinfahren, doch kann ein solcher Verkehrsverstoß nicht festgestellt werden.

Zum einen ist der Kläger für seine Behauptung, er habe den Fahrstreifenwechsel gemäß § 7 Abs. 5 Satz 2 StVO rechtzeitig angekündigt, beweisfällig geblieben, zum anderen durfte der Fahrer des Lkw darauf vertrauen, dass der Kläger sich normgerecht verhält und keinen Spurwechsel vornimmt, der ihn gefährdet. Zu einer Reaktion bestand für ihn daher erst Veranlassung, als der Kläger die Fahrstreifenbegrenzung überfuhr.

Soweit der Kläger behauptet, er habe nach dem Einfahren in die linke Spur staubedingt angehalten und 10 Sekunden bis zur Kollision gestanden, lässt sich dies nicht feststellen. Das zum Beweis angebotene Unfallrekonstruktionsgutachten stellt keinen tauglichen Beweisantritt dar, denn ein Sachverständiger könnte lediglich feststellen, ob der Kläger zum Zeitpunkt der Kollision gestanden hat, mangels entsprechender Anknüpfungstatsachen jedoch nicht, wie lange.

Nicht ausgeschlossen werden kann daher ein unvermitteltes Einfahren des Klägers in die linke Spur.

Selbst wenn sich durch ein Unfallrekonstruktionsgutachten feststellen ließe, dass der Kläger zum Unfallzeitpunkt bereits gestanden hat, ließe sich ein Aufmerksamkeitsverstoß des Fahrers des Klägers nicht feststellen, denn das Einfahren und Anhalten kann innerhalb der Reaktionszeit des Lkw-Fahrers erfolgt sein.

e) Im Gegensatz zum Lkw war die vom Klägerfahrzeug ausgehende Gefahr durch einen schwerwiegenden Verkehrsverstoß des Klägers ganz erheblich erhöht, denn der Kläger hat einen Fahrstreifenwechsel ohne Beachtung der erforderlichen Sorgfalt vorgenommen.

Gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 StVO darf ein Fahrstreifen – auch nach rechtzeitiger Ankündigung – nur gewechselt werden, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Dies erfordert äußerste Sorgfalt (Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 7 StVO, Rn. 17).

Untersagt sind nicht nur behindernde oder gefährdende Fahrstreifenwechsel, sondern alle Fahrstreifenwechsel, bei denen eine fremde Gefährdung nicht ausgeschlossen ist. Dieser Maßstab ist strenger als der des § 1 StVO.

Die besonderen Sorgfaltsanforderungen gelten sowohl bei dichtem Verkehr und Kolonnenverkehr (Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. Aufl., § 7 StVO, Rn. 21 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen) wie auch in einem Stau. Sie setzten dabei eine ausreichende Rückschau voraus, bei mehreren gleichgerichteten Fahrstreifen überall dorthin, wo eine Gefährdung eintreten könnte.

Gegen diese Anforderungen hat der Kläger verstoßen.

Der Kläger hat einen Spurwechsel auf die linke äußere Spur vorgenommen, der zum Zeitpunkt der Kollision noch nicht abgeschlossen war, denn unstreitig war der Kläger noch nicht vollständig auf die linke Spur eingefahren. Auf den vom Kläger zur Akte zur gereichten Lichtbildern ist deutlich zu erkennen, dass sich der Pkw nur mit der vorderen Fahrzeughälfte auf der linken Fahrspur befand, während sich das Heck noch auf der rechts daneben verlaufenden Fahrspur befand.

Kommt es in einem solchen unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Spurwechsel zu einer Kollision, so spricht der Anschein für die Missachtung der Sorgfaltspflichten, die für den Spurwechsler gelten (Burmann/Heß/Jahnke/Janker a.a.O., § 7 StVO, Rn. 25).

Diesen Anscheinsbeweis hat der Kläger nicht zu erschüttern vermocht. Für die Richtigkeit seiner Behauptung, ursächlich für den Zusammenstoß sei nicht sein Spurwechsel, sondern allein Unaufmerksamkeit des Fahrers des Lkw, gibt es keinen Anhaltspunkt. Im Gegenteil: Obwohl die Lücke auf der linken Spur ausreichend groß für einen gefahrlosen Spurwechsel gewesen sein soll, hat sie nicht für ein vollständiges Einfahren des Klägerfahrzeugs ausgereicht. Auffällig ist zudem, dass der Vortrag des Klägers, er habe vor der Kollision mindestens zehn Sekunden lang gestanden, erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht erfolgt ist, obwohl es mehr als naheliegend gewesen wäre, dass der Kläger sich hierauf unmittelbar nach dem Unfall berufen hätte.

Letztlich kann dies dahinstehen, da keine Anknüpfungstatsachen zur Verfügung stehen, durch die sich ermitteln ließe, dass das Klägerfahrzeug vor der Kollision über eine längere Zeitdauer gestanden hätte.

f) Der Kläger muss für die Unfallfolgen allein einstehen. Denn bei einem Unfall anlässlich eines Spurwechsels ist wegen der hohen Sorgfaltsanforderungen des § 7 Abs. 5 StVO grundsätzlich von einer vollen Haftung des Spurwechslers auszugehen (Senat, Urteil vom 05.07.2016, I-1 U 95/15). Dies gilt auch bei einer Kollision mit einem Fahrzeug, dessen Betriebsgefahr angesichts seiner Größe und seines Gewichts erhöht ist, wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat (Urteil vom 29.09.2009, I-1 U 157/08; Urteil vom 20.11.2006, I-1 U 37/06).

Der Verkehrsverstoß des Klägers wiegt besonders schwer. Obwohl ihm der höchste Sorgfaltsmaßstab oblag, den die Straßenverkehrsordnung kennt, hat den Spurwechsel trotz des von ihm erkannten Lkw und der offensichtlich viel zu kleinen Lücke vorgenommen. Der Kläger hat damit in höchsten Maße fahrlässig gehandelt.

2. Ein deliktischer Anspruch des Klägers gemäß § 823 Abs. 1 BGB scheitert ebenfalls mangels Verschulden des Fahrers des Lkw.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 713, 543, 544 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO.

Zur Zulassung der Revision besteht kein Anlass, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 5.898,39 Euro festgesetzt.