Der Betroffene wurde innerhalb einer geschlossenen Ortschaft mit einer Geschwindigkeit von 86 km/h, also 83 km/h nach Abzug des Toleranzwertes, gemessen. Die Messstelle befand sich ca. 80 m vom Ortsausgangsschild entfernt. Nach dem Erlass des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport muss bei derartigen Messungen der Abstand zum Ortsausgangsschild mindestens 100 m betragen, was das AG als nicht nachvollziehbar ansah und das Regelfahrverbot verhängte. Das OLG Frankfurt meint, dass der für ein Fahrverbot erforderliche Handlungsunwert bei einer Missachtung der ministeriellen Vorgabe entfallen könne, auch auf Grund der gewünschten Gleichbehandlung aller Verkehrsteilnehmer. Es müsse aber feststehen, dass nicht ausnahmsweise die Richtlinien eine Abweichung von dem Entfernungswert zulassen. Außerdem müsse der Tatrichter darlegen, mit welcher Geschwindigkeit der Betroffene – hypothetisch – bei einer ordnungsgemäßen Messung (in höherer Entfernung zum Schild) gemessen worden wäre. Wenn eine ordnungsgemäße Messung zu einem Fahrverbot geführt hätte, müsse dies auch vorliegend gelten (OLG Frankfurt, Beschluss vom 27.01.2016, Az. 2 Ss-OWi 893/15).

Auf die erhobene Rüge der Verletzung materiellen Rechts hält allerdings der Schuldspruch des angefochtenen Urteils der rechtlichen Nachprüfung stand. Insoweit ist die Rechtsbeschwerde aus den Gründen der Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main vom 16.10.2015 als unbegründet zu verwerfen.

Der Rechtsfolgenausspruch kann dagegen keinen Bestand haben.

Das Amtsgericht ist von einem Regelfall ausgegangen und hat im Hinblick auf die Höhe der festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitung als Regelfolge der Verkehrsordnungswidrigkeit (§ 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BKatV i. V. m. Nr. 11.3 BKatV und Nr. 11.3.6 der Tabelle 1c) des Anhangs) ein einmonatiges Fahrverbot verhängt. Es hat sich dabei auch mit der Frage befasst, ob der Umstand, dass die Messung 80 m vor der Ortstafel den Richtlinien zur Verkehrsüberwachung durch örtliche Ordnungsbehörden und Polizeibehörden des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 06.01.2006 widerspricht, ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigt, dies aber verneint. Zur Begründung hat das Amtsgericht angeführt, der Erlass des Hessischen Ministeriums sei als Verwaltungsvorschrift sogenanntes Verwaltungsinnenrecht und entfalte keinerlei unmittelbare Außenwirkung. Für die Verkehrsteilnehmer sei eine Geschwindigkeitsbegrenzung ab Bekanntgabe des Verwaltungsaktes wirksam und zu beachten. Es könne nicht nachvollziehen, warum das hessische Ministerium Messungen innerhalb von 100 m zu einem solchen Verwaltungsakt nicht durchgeführt haben möchte. Dies könne jedoch dahingestellt bleiben, da hierfür viele Gründe denkbar seien, die nicht notwendigerweise einen Bezug zu der gesetzgeberischen Anordnung gegenüber dem Bürger herstellten.

Grundsätzlich ist dem Amtsgericht dahin zuzustimmen, dass eine Geschwindigkeitsregelung gilt, solange sie nicht durch entsprechende Verkehrszeichen aufgehoben oder geändert wird. Ein Verkehrsteilnehmer handelt daher gemäß § 24 StVG, §§ 3, 49 StVO ordnungswidrig und ist mit einer Geldbuße zu belegen, wenn er die Geschwindigkeitsregelung nicht beachtet; daneben wird in diesen Fällen die Erforderlichkeit eines Fahrverbots zur Einwirkung auf den Betroffenen indiziert, sofern der Tatbestand des Regelfalles erfüllt und die darauf beruhende Vermutungswirkung nicht widerlegt ist. Die Vermutungswirkung kann entfallen, wenn sich die im Bußgeldkatalog als Regelfall umschriebene Handlung nach der notwendigen Würdigung der Umstände des Einzelfalles in objektiver und subjektiver Hinsicht letztlich nicht als “grobe Pflichtverletzung” erweist (vgl. Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. Aufl., § 25 StVG, Rdnr. 15 m. N.). So kann der für die Verhängung des Fahrverbots erforderliche Handlungsunwert entfallen, wenn die Geschwindigkeitsmessung unter Missachtung der im jeweiligen Bundesland geltenden Richtlinien für den Abstand einer Messung vom Ortsschild erfolgte (vgl. Burmann/ Heß/ Jahnke/ Janker, a. a. O., Rdnr. 17 m. N.). Die Richtlinien sichern nämlich auch die Gleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer in vergleichbaren Kontrollsituationen, indem sie für alle mit der Verkehrsüberwachung betrauten Beamten verbindlich sind (vgl. BayObLG, NStZ-RR 2002, 345 ; OLG Oldenburg, NZV 1996, 286; OLG Dresden, DAR 2010, 29 – 30; jeweils zit. nach juris).

Das bedeutet, dass der Tatrichter in einem solchen Fall der Verwirklichung eines Regelfalles nicht mehr ohne weiteres Indizwirkung beimessen darf, sondern die Anordnung eines Fahrverbotes besonderer Begründung bedarf. Es bedarf daher näherer Darlegung im Urteil, ob eine Unterschreitung des Abstandes schon nach den Richtlinien selbst gerechtfertigt ist. Ist das zu bejahen, indiziert die Verwirklichung des Regelfalles die Erforderlichkeit eines Fahrverbots zur Einwirkung auf den Betroffenen und bedarf im Übrigen keiner weiteren Darlegungen. Ist die Unterschreitung des Abstandes nach den Richtlinien nicht gerechtfertigt, muss das Amtsgericht darlegen, mit welcher Geschwindigkeit der Betroffene bei einer richtlinienkonform durchgeführten Messung – also in entsprechender Entfernung von dem die Geschwindigkeitsregelung ändernden Schild – gemessen worden wäre und ob eine ggfls. festzustellende Geschwindigkeitsüberschreitung den Tatbestand eines Regelfalles erfüllt hätte, der die Erforderlichkeit eines Fahrverbots indiziert.

An derartigen Darlegungen fehlt es vorliegend. Nr. 4.1 der Richtlinien zur Verkehrsüberwachung durch örtliche Ordnungsbehörden und Polizeibehörden des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 06.01.2006 sieht vor, dass Messstellen in der Regel mindestens 100 m vom Beginn beziehungsweise Ende einer Geschwindigkeitsbeschränkung eingerichtet werden, wobei diese Entfernung aus besonderem Grund (z. B. Unfallpunkt, Unfallgefahrenpunkt) unterschritten werden kann. Die im Urteil enthaltene Feststellung, der Beginn des Messbereichs habe sich ca. 80 m vom Ortsausgangsschild befunden, hätte das Amtsgericht daher veranlassen müssen, zu prüfen und im Urteil darzulegen, ob die Messstelle gleichwohl entsprechend den Richtlinien eingerichtet war, namentlich ob wegen der Unterschreitung der 100 m zum Ende der Geschwindigkeitsbeschränkung besondere Gründe vorlagen.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts ist vorliegend zudem nicht auszuschließen, dass die Betroffene bei einer richtlinienkonformen Messung in einer Entfernung von mindestens 100 m vor dem Ortsausgangsschild mit einer Geschwindigkeit gemessen worden wäre, die nicht den Tatbestand eines Regelfalles für die Verhängung eines Fahrverbots erfüllt hätte. Dies vor dem Hintergrund, dass die Betroffene vorliegend die Grenze zur Verwirklichung des Tatbestandes eines Regelfalles für die Verhängung eines Fahrverbots “nur” um 3 km/h überschritten hatte und die von ihr gefahrene Geschwindigkeit demzufolge 20 m vorher entsprechend geringer gewesen sein kann.

Dies zugrunde legend kann der Senat nicht ausschließen, dass die Verhängung des Fahrverbots auf dem Rechtsfehler beruht. Dieser Mangel erfasst den gesamten Rechtsfolgenausspruch. Denn die bei der Bemessung der Geldbuße und die zur Frage der Verhängung eines Fahrverbots anzustellenden Erwägungen sind so eng miteinander verbunden, dass eine getrennte Würdigung der Nebenfolge und der Geldbuße ausgeschlossen ist (BGHSt 24, 11,12; OLG Frankfurt am Main, 2 Ss-OWi 1063/14).