Das Amtsgericht hatte den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 31 km/h zu einer Geldbuße von EUR 320 verurteilt und von der Verhängung des Regelfahrverbots abgesehen, da sich die Messstelle entgegen einer Verwaltungsvorschrift weniger als 200 m vor dem Ortsausgangsschild befunden habe und der Betroffene an dieser Stelle die innerörtliche Bebauung bereits zurückgelegt hatte. Unter Bezugnahme auf Entscheidungen des BayObLG erkennt das OLG Bamberg ebenfalls an, dass bei einem solchen Verstoß die Indizwirkung des Regelbeispiels für ein Fahrverbot entfallen kann. Nach einer Vorschrift des Bayerischen Staatsministeriums des Innern soll die Messstelle des Geschwindigkeitsmessgeräts mindestens 200 m vom Beginn oder Ende der Geschwindigkeitsbeschränkung entfernt sein. Allerdings seien nach dieser Vorschrift in begründeten Ausnahmefällen (die Richtlinie nennt hier beispielhaft das Fehlen von Fußwegen bei spürbarem Fußgängerverkehr, einmündende Straßen, Firmenzufahrten, Schulen und Kindergärten) Abweichungen möglich. Dazu müsse das Amtsgericht Feststellungen treffen (OLG Bamberg, Beschluss vom 22.02.2017 – 3 Ss OWi 178/17).

I. Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts vom 8. November 2016 aufgehoben.

II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Die zuständige Verwaltungsbehörde hat gegen den Betroffenen wegen einer am 11.03.2016 begangenen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 31 km/h eine Geldbuße von 160 Euro festgesetzt und zudem ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats nach Maßgabe des § 25 Abs. 2a StVG verhängt. Auf den Einspruch des Betroffenen, den dieser in der Hauptverhandlung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat, hat das Amtsgericht den Betroffenen zu einer Geldbuße von 320 Euro verurteilt. Von dem im Bußgeldbescheid angeordneten Fahrverbot hat es abgesehen.

Mit ihrer Rechtsbeschwerde rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts; sie beanstandet, dass das Amtsgericht von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen hat.

II.

Die wegen der wirksamen Einspruchsbeschränkung nur noch den Rechtsfolgenausspruch betreffende statthafte (§ 79 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 3 OWiG) und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die Ausführungen des Amtsgerichts, mit denen es ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbots begründet sind lückenhaft (§ 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 3 StPO) und tragen von daher den Rechtsfolgenausspruch nicht.

1. Soweit das Amtsgericht „besondere Begleitumstände der Tat“, welche die Verhängung eines Regelfahrverbots unangemessen erscheinen lassen, in dem Umstand erblickt, dass sich die Messstelle weniger als 200 Meter vor dem Ortsausgangsschild befunden habe und sich die Bebauung an der Messstelle „weiter weg“ befunden habe, tragen diese Feststellungen das Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbots nach §§ 25 Abs. 1 Satz 1 [1. Alt.] StVG, 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. lfd.Nr. 11.3.6. BKat nicht.

a) Zwar kann eine Geschwindigkeitsmessung, die unter Verletzung des in internen Verwaltungsanweisungen vorgegebenen Mindestabstands zu einem die Geschwindigkeit regelnden Verkehrszeichen vorgenommen werden, die Indizwirkung eines Regelbeispiels entfallen lassen, worunter auch eine Messung vor der das Ende der innerörtlichen Höchstgeschwindigkeit markierenden Ortstafel (Zeichen 311) fällt (BayObLG NZV 2002, 576). Auch soll nach Nr. 1 Ziff. 3 der Ergänzenden Weisungen‘ des Bayerischen Staatsministeriums des Innern zur Richtlinie für die polizeiliche Verkehrsüberwachung (VÜ-Richtlinien [AllMBl. 2006, S. 155; im Folgenden: VÜR) die Messstelle beim Einsatz von Geschwindigkeitsmessgeräten mindestens 200 m vom Beginn oder Ende der Geschwindigkeitsbeschränkung entfernt sein. Allerdings gilt dies nicht ausnahmslos. Am Beginn oder am Ende einer geschlossenen Ortschaft kann gemäß Nr. 1 Ziff. 3.3. VÜR bei besonderen Verkehrsverhältnissen (z.B. Fehlen von Fußwegen bei spürbarem Fußgängerverkehr; einmündende Straßen; Firmenzufahrten; Schulen; Kindergärten) die Regelentfernung auch unterschritten werden.

b) Zum Vorliegen einer solchen Fallkonstellation hat das Amtsgericht keine Feststellungen getroffen. Hierzu hätte sich das Amtsgericht jedoch verhalten müssen, wenn es besondere Begleitumstände der Tat hätte annehmen wollen, durch welche die Indizwirkung eines Regelbeispiels entfallen soll (OLG Bamberg, Beschluss vom 17.07.2012 – 3 Ss OWi 944/12 = DAR 2012, 528 = ZfS 2012, 648 = OLGSt StVG § 25 Nr. 52 = VM 2013, Nr. 3). Denn von der Verletzung des in internen Verwaltungsanweisungen vorgegebenen Mindestabstands könnte nur dann ausgegangen werden, wenn kein in der Verwaltungsanweisung vorgesehener sachlicher Grund für die konkrete Art und Weise der Durchführung der Messung bestanden haben sollte.

2. Soweit das Amtsgericht besondere Umstände für ein Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbots darin sieht, dass dieses infolge der Vollstreckung eines weiteren Fahrverbots, das wegen einer nach dem 11.03.2016 begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit rechtskräftig verhängt worden ist, zur Einwirkung auf den Betroffenen nicht mehr erforderlich sei, um ihn künftig zur Einhaltung der Verkehrsregeln anzuhalten, kann der Senat dem nicht folgen.

a) Allerdings kann ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbots, welches vom Verordnungsgeber als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme gedacht wurde, berechtigt sein, wenn dieses seinen Zweck verloren hat. Ob der Betroffene in diesem Sinn geläutert ist und einer weiteren Erinnerung an die Einhaltung der Verkehrsregeln nicht mehr bedarf, lässt sich nur zuverlässig an Hand seines tatsächlichen Verhaltens im Straßenverkehr beurteilen. Aus diesem Grund kann ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbots beispielsweise dann berechtigt sein, wenn die Tat lange zurückliegt, der Betroffene sich in der Zwischenzeit verkehrsgerecht verhalten und dadurch gezeigt hat, dass er einer weiteren Pflichtenmahnung nicht mehr bedarf (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 16.07.2008 – 2 Ss OWi 835/08 = DAR, 651 = ZfS 2008, 591 = OLGSt BKatV § 4 Nr. 6; König, in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl., § 25 StVG Rn. 24, jeweils m.w.N.).

b) Aus der Vollstreckung des mit Bußgeldbescheid vom 12.08.2016 gegen den Betroffenen verhängten Fahrverbots allein lässt sich demgegenüber nicht zuverlässig ableiten, dass weitere gleichgerichtete Maßnahmen gegen den Betroffenen ihren Sinn verloren haben, zumal der Betroffene zwischen Tat und Hauptverhandlung erneut in schwerwiegender Weise gegen seine Pflichten als Kraftfahrzeugführer verstoßen hat.

c) Das Amtsgericht berücksichtigt zudem nicht, dass der Betroffene unmittelbar nach der Zustellung des Bußgeldbescheids auch noch wegen einer dritten Verkehrsordnungswidrigkeit auffällig geworden ist und insoweit die Verhängung eines Regelfahrverbots wegen beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers (§§ 25 Abs. 1 Satz 1 [2. Alt.] StVG, 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV) nur deshalb nicht in Betracht kam, weil bei Erlass des Bußgeldbescheids am 25.07.2016 der Bußgeldbescheid im vorliegenden Verfahren (noch) nicht in Rechtskraft erwachsen war. Der Betroffene hat somit in Kenntnis des ihm im vorliegenden Verfahren drohenden Fahrverbots innerhalb kürzester Frist zwei weitere schwerwiegende Verkehrsverstöße begangen. Angesichts des hartnäckigen und nicht unerheblichen Fehlverhaltens des Betroffenen liegt es eher fern, dass es ausnahmsweise der Warn- und Denkzettelfunktion eines Fahrverbotes im Einzelfall nicht bedurfte.

3. Auch die Erwägungen des Amtsgerichts, wegen unzumutbarer beruflicher Härten von der Verhängung eines Regelfahrverbots abzusehen, halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

a) Zwar kann von der Verhängung eines Regelfahrverbots dann abgesehen werden, wenn wesentliche Besonderheiten in der Tat oder in der Persönlichkeit des Betroffenen bestehen und deshalb der vom Bußgeldkatalog erfasste Normalfall nicht vorliegt. Das Vorliegen solcher Besonderheiten hat das Amtsgericht jedoch nicht tragfähig begründet. Bloße berufliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten als Folge eines angeordneten Fahrverbotes rechtfertigen indes nicht das Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbotes (König § 25 StVG Rn. 25 m.w.N.), sondern nur schwerwiegende Härten wie z.B. der drohende Verlust des Arbeitsplatzes oder vergleichbare sonstige Gefährdungen der wirtschaftlichen Existenzgrundlage (vgl. nur OLG Bamberg, Beschluss vom 28.12.2015 – 3 Ss OWi 1450/15 = BA 53 [2016], 192 = ZfS 2016, 290). Grundsätzlich hat jeder Betroffene berufliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten als Folge des Fahrverbots durch Maßnahmen wie z.B. die teilweise Inanspruchnahme von Urlaub, die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln oder Taxen, die Heranziehung eines Angestellten als Fahrer, die Beschäftigung eines Aushilfsfahrers oder durch eine Kombination dieser Maßnahmen auszugleichen.

b) Aus dem angefochtenen Urteil ergibt sich nicht, warum es dem als Bauleiter arbeitenden Betroffenen unzumutbar sein sollte, für einen Monat einen Aushilfsfahrer einzustellen oder Taxen für seine Baustellenbesuche zu benutzen. Das Amtsgericht hat keine Feststellungen zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen getroffen, so dass gänzlich offen bleibt, ob sich dieser die notwendigen Aufwendungen nicht leisten und warum er sich nötigenfalls die erforderlichen Mittel auch nicht durch eine Kreditaufnahme mit nachfolgender langfristiger Kredittilgung beschaffen kann. In diesem Zusammenhang hat das Amtsgericht insbesondere nicht nachvollziehbar dargelegt, warum für den Betroffenen die Verbüßung des Fahrverbots aus dem Bußgeldbescheid vom 12.08.2016 „organisatorisch zu regeln“ war, nicht jedoch die eines weiteren Fahrverbots.

III.

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist daher das angefochtene Urteil mit der Kostenentscheidung aufzuheben (§ 353 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG). Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurückverwiesen (§ 79 Abs. 6 OWiG). Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat schon deshalb verwehrt, weil in einer neuen Verhandlung noch ergänzende Feststellungen getroffen werden könnten.

IV.

Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG.

Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.