Quelle: Ed Brown, Wikimedia Commons

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Im Hauptverhandlungstermin wegen Benutzung eines Mobiltelefons erteilte das Gericht den rechtlichen Hinweis, dass – anders als noch im Bußgeldbescheid vorgesehen – die Verhängung eines Fahrverbots in Betracht komme. Der Verteidiger des abwesenden Betroffenen beantragte daraufhin die Aussetzung des Verfahrens, um sich mit seinem Mandanten zu besprechen. Dies lehnte das AG Dessau-Roßlau ab, verurteilte den Betroffenen und verhängte auch ein Fahrverbot. Dieses Urteil wurde vom OLG Naumburg aufgehoben: Beim Abwesenheitsverfahren sei auch beim möglichen Abweichen in der Sanktionsfolge ein rechtlicher Hinweis zu erteilen und – von Amts wegen oder auf Antrag des Verteidigers – die Hauptverhandlung auszusetzen. In diesem Fall hätte der Verteidiger in einem neuen Termin zur Existenzgefährdung des Betroffenen bei einem Fahrverbot vortragen oder die Berechtigung eines Fahrverbots – die Voreintragungen des Betroffenen waren bereits älter – anzweifeln können. Insgesamt ergab sich für das OLG der Eindruck, das AG wollte durch den Hinweis bewusst eine Rücknahme des Einspruchs erreichen. Außerdem beantragte der Verteidiger ein Sachverständigengutachten zum Beweis der Tatsache, dass der Betroffene kein Mobiltelefon in der Hand hielt und nahm Bezug auf Fotos, die zur Tatzeit gefertigt wurden. Das AG entschied nicht über diesen Antrag, wodurch es – zum wiederholten Male – das rechtliche Gehör eines Betroffenen verletzt habe. Die Sache wurde auch dieses Mal an ein anderes Gericht zurückverwiesen, da ansonsten Anlass bestünde, weitere Grundrechtsverletzungen durch das AG zu besorgen (OLG Naumburg, Beschluss vom 05.11.2015, Az. 2 Ws 215/15).

2 Ws 215/15 OLG Naumburg
13 OWi 189/15 AG Dessau-Roßlau
493 Js 6755/15 StA Dessau-Roßlau

In der Bußgeldsache

hat der Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Naumburg

am 5. November 2015

durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht

b e s c h l o s s e n :

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Dessau-Roßlau vom 18. Juni 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Wittenberg – Abteilung für Bußgeldsachen – verwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen vorsätzlicher verbotswidriger Benutzung eines Mobiltelefons als Führer eines Kraftfahrzeugs, indem er dieses aufnahm und hielt, eine Geldbuße und ein Fahrverbot verhängt. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt und das Verfahren beanstandet.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben.

II.

Das Rechtsmittel dringt bereits mit der Verfahrensrüge durch, auf die Sachrüge kommt es daher nicht mehr an.

1. Das Amtsgericht hat in der Hauptverhandlung einen rechtlichen Hinweis dahingehend erteilt, dass auch die Verhängung eines Fahrverbots in Betracht kommt. Der Verteidiger hat daraufhin die Aussetzung des Verfahrens beantragt, diesem Antrag wurde nicht stattgegeben. Damit wurde die Verteidigung unzulässig beschränkt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat insoweit in ihrer Zuschrift an den Senat vom 22. Oktober 2015 ausgeführt:

„Soweit die Rechtsbeschwerde einen Verstoß gegen § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 338 Nr. 8 StPO durch konkludente Ablehnung des gestellten Aussetzungsantrags nach Erteilung eines rechtlichen Hinweises in der Hauptverhandlung, dass auch ein Fahrverbot in Betracht komme, vorträgt, ist die Rüge in der gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i. V. m. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO gebotenen Form erhoben, mithin zulässig.

Die Rüge ist auch begründet.

Grundsätzlich ist bei einem Abwesenheitsverfahren nach § 46 Abs. 1 i. V. m. § 265 Abs. 1, 2 StPO auf die Veränderung eines rechtlichen Gesichtspunktes hinzuweisen, wenn das Urteil von der rechtlichen Beurteilung der Tat im Bußgeldbescheid abweichen soll.

Gleiches gilt auch für ein Abweichen in der Sanktionsfolge. Bei Anwesenheit eines Verteidigers in der Hauptverhandlung ist es ausreichend, wenn ihm der Hinweis nach § 265 Abs. 1, 2 StPO gegeben wird, so der ausdrückliche Wortlaut des § 74 Abs. 1 Satz 3 OWiG. Für das Gericht besteht aber aus dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens die Verpflichtung, von Amts wegen oder auf Antrag des Verteidigers, wie hier gestellt, die Hauptverhandlung auszusetzen, wenn sie wegen der veränderten Sach- oder Rechtslage die sachgerechte Verteidigung eine Besprechung des Verteidigers mit dem Mandanten erfordert (KK-OWi/Senge, § 74 Rn. 16).

Dem Verteidiger war es im Hinblick auf den einschneidenden Hinweis des Gerichts, der mit erheblichen Folgen für den Betroffenen verbunden ist, nicht möglich, mit dem Betroffenen das weitere Vorgehen zu erörtern. Weiterhin war die Verteidigung gehindert Ausführungen zur Frage der Existenzgefährdung als selbständiger Immobilienkaufmann und die Berechtigung eines Fahrverbots im Hinblick auf die lange zurückliegenden Voreintragungen zu tätigen.

Es sind auch keine sachlichen Gründe dafür ersichtlich, den entsprechenden Hinweis nach § 265 StPO nicht schon vor der Hauptverhandlung zu erteilen. Bei der gewählten Verfahrensweise drängt sich hingegen der Eindruck auf, das Amtsgericht habe bewusst die „Überraschungssituation“ herbeigeführt, um eine Einspruchsrücknahme zu erreichen.“

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an.

2. Das Amtsgericht hat den Anspruch des Betroffenen, in der Hauptverhandlung vertreten durch seinen Verteidiger, auf Gewährung rechtlichen Gehörs missachtet, indem es den Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens in der Hauptverhandlung nicht beschieden hat.

Der Verteidiger hat beantragt, ein Sachverständigengutachten zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass der Betroffene zur Tatzeit kein Mobiltelefon bzw. keinen Hörer eines Funktelefons in der Hand hielt, sondern einen anderen Gegenstand. Er hat insoweit auf die Fotos, die zur Tatzeit gefertigt wurden, Bezug genommen.

Beweisanträge, die in der Hauptverhandlung gestellt werden, sind gemäß §§ 46 Abs. 1 OWiG, 244 Abs. 3 – 6 StPO in der Hauptverhandlung vor Schluss der Beweisaufnahme zu bescheiden (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., Rn. 41 ff). Im Falle der Ablehnung des Beweisantrages gilt dies, um dem Betroffenen rechtliches Gehör zu gewähren, in der Form, dass ihm mitgeteilt wird, weshalb seinem Beweisantrag nicht nachgegangen wird. Dadurch soll ihm Gelegenheit gegeben werden, durch Nachbesserungen, Ergänzungen oder rechtliche Ausführungen darauf hinzuwirken, dass das Gericht seine Auffassung überdenkt und dem Beweisbegehren doch noch nachgeht.

Durch die Nichtbescheidung des Beweisantrages vor Urteilsverkündung hat das Gericht dem Betroffenen das rechtliche Gehör abgeschnitten, worauf das Urteil beruht.

Der Senat sieht sich zum wiederholten Male veranlasst, die Sache gemäß § 79 Abs. 6 OWiG an ein anderes Amtsgericht zu verweisen, weil er bereits mehrfach feststellen musste, dass den Betroffenen in Bußgeldsachen beim Amtsgericht Dessau-Roßlau das rechtliche Gehör verweigert wird, und deswegen Anlass zu der Befürchtung hat, dass sich eine solche Grundrechtsverletzung bei Zurückverweisung an das Amtsgericht Dessau-Roßlau wiederholen wird.