Die Klägerin befuhr mit ihrem Pkw von ihrer Wohnung kommend eine Straße (L 200) in Höhe einer Kreuzung. Der Kreuzung näherte sich auf einem Gemeindeverbindungsweg der Beklagte zu 1 mit einem Pkw. Er war dort wartepflichtig, fuhr aber in die Kreuzung hinein, als die Klägerin diese noch nicht verlassen hatte. Es kam zum Zusammenstoß. Von der Haftungsfrage her normalerweise wenig problematisch; die Besonderheit des Falles war aber, dass nach der Beschilderung die Klägerin die Straße so nicht hätte befahren dürfen: Wegen einer Baustelle, an der die L 200 voll gesperrt war, waren bereits an der besagten Kreuzung (für den der Klägerin entgegenkommenden Verkehr) das Schild „Verbot für Fahrzeuge aller Art“ (Zeichen 250) sowie das Zusatzschild „Anlieger bis Baustelle frei“ aufgestellt. Aufgrund der Baustelle wurde die L 200 zur Sackgasse, sodass Verkehrsteilnehmer diese nur in der Richtung verlassen konnten, in die auch die Klägerin gefahren ist. In dieser Fahrtrichtung befanden sich zwischen Baustelle und Kreuzung allerdings mehrfach Verkehrszeichen 250 ohne den Zusatz „Anlieger bis Baustelle frei“. Diese Beschilderung erachtete das OLG Karlsruhe als nichtig, sodass kein Verkehrsverstoß der Klägerin vorlag (Urteil vom 24.06.2015, Az. 9 U 18/14).

bb) Die Klägerin hat – entgegen der Auffassung der Beklagten – vor dem Unfall nicht gegen Zeichen 250 („Verbot für Fahrzeuge aller Art“) verstoßen. Zwar hat die Klägerin mit ihrem Fahrzeug auf der Fahrt von ihrer Wohnung zur Unfallkreuzung an drei Stellen ein Zeichen 250 passiert, bei welchem – anders als bei dem für die Gegenrichtung aufgestellten Zeichen 250 – kein Zusatz „Anlieger frei“ angebracht war. Dass sich solche Verkehrszeichen auf der Fahrtstrecke der Klägerin vor der Kreuzung befanden, ergibt sich aus den polizeilichen Feststellungen in der OWi-Akte und ist unstreitig. Ein schuldhafter Verkehrsverstoß lässt sich für die Klägerin daraus jedoch nicht herleiten. Denn die in der Fahrtrichtung der Klägerin aufgestellten Verbotsschilder, die keinen „Anlieger frei“-Zusatz enthielten, waren nichtig.

aaa) Ein Verkehrszeichen ist ausnahmsweise nichtig, wenn es bei verständiger Würdigung nicht mehr als amtliche, allgemein verbindliche Verkehrsregelung erscheint (vgl. VG Bremen, Urteil vom 12.12.2013 – 5 K 181/11 -, zitiert nach Juris). Ein schwerwiegender Fehler führt bei einem Verkehrszeichen zur Nichtigkeit, wenn dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offenkundig ist. Die Ungültigkeit muss für Jedermann derart augenscheinlich sein, dass das Verkehrszeichen gleichsam den „Stempel“ der Nichtigkeit auf der Stirn trägt (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 27.05.2014 – 5 RBs 13/14 -, RdNr. 36, zitiert nach Juris). Entscheidend ist, dass auf Grund bestimmter objektiver Umstände von niemandem erwartet werden kann, den mit dem Verkehrszeichen verbundenen Verwaltungsakt als verbindlich anzuerkennen (vgl. OLG Hamm a.a.O.).

Ein solcher Fall war am 11.06.2013 bei den in Fahrtrichtung der Klägerin vor der Unfallkreuzung aufgestellten Zeichen 250 gegeben. Die L 200 war am Unfalltag durch die Baustelle in A. ab der Kreuzung mit der B. Straße zur Sackgasse geworden. Fahrzeuge konnten zum Unfallzeitpunkt ab der Kreuzung nur noch bis zur Baustelle in A. fahren, jedoch dort wegen der Vollsperrung die Fahrt nicht mehr fortsetzen. Dabei war die Einfahrt in die „Sackgasse“ sämtlichen Anliegern ausdrücklich gestattet, was sich aus dem an der Kreuzung mit der B. Straße aufgestellten Zeichen 250 mit Zusatzschild „Anlieger bis Baustelle frei“ ergab. Die in der Gegenrichtung aufgestellten Zeichen 250 – ohne Zusatzschild „Anlieger frei“ – bedeuteten der Sache nach, dass Anlieger in die durch die Baustelle geschaffene „Sackgasse“ beliebig einfahren durften, aber, wenn sie die in der Gegenrichtung aufgestellten Schilder „Zeichen 250“ beachtet hätten, in der Sackgasse sozusagen gefangen gewesen wären, und nicht mehr hätten ausfahren dürfen.

Eine solche Konsequenz der Beschilderung – von der ausweislich der Dokumentation in der OWi-Akte offenbar auch der den Unfall aufnehmende Polizeibeamte ausging -, ist erkennbar unsinnig. Für jeden Verkehrsteilnehmer war erkennbar, dass die Konsequenz der Beschilderung – zulässiges Einfahren für Anlieger, aber unzulässige Ausfahrt aus der „Sackgasse“ – von der Verwaltungsbehörde nicht gewollt sein konnte, sondern dass die Beschilderung, bei welcher für die Ausfahrt aus der „Sackgasse“ das Zusatzschild „Anlieger frei“ fehlte, nur auf einem Versehen der Verwaltungsbehörde beruhen konnte. Entscheidend für die Nichtigkeit der aus Fahrtrichtung der Klägerin aufgestellten Verbotsschilder ist der Umstand, dass eine „Gefangennahme“ von Anliegern in der „Sackgasse“ aus der Sicht der Verkehrsteilnehmer unter keinen Umständen dem tatsächlichen Willen der Verkehrsbehörde entsprechen konnte.

bbb) Die Klägerin war zum Unfallzeitpunkt „Anlieger“ im Sinne des in der Gegenrichtung aufgestellten Zusatzschildes. Dies ergibt sich aus den Feststellungen der Bußgeldbehörde zur Örtlichkeit der Baustelle in A. zum Unfallzeitpunkt. Die Wohnung der Klägerin befand sich an der L 200 südlich der damaligen Vollsperrung, so dass die Klägerin den Ortsbereich nur in Richtung der Kreuzung mit der B. Straße verlassen konnte. Sie war mithin auch dann berechtigt, den betreffenden Straßenabschnitt vor der Kreuzung zu befahren, wenn man unterstellt, dass die Beschränkung des Fahrzeugverkehrs für Anlieger auch für die Fahrtrichtung der Klägerin gelten sollte.