Der Fahrer des von der Klägerin gehaltenen und geleasten Rettungswagens fuhr unter Einsatz von Blaulicht und Martinshorn bei Rotlicht und durch einen Lkw eingeschränkten Sichtverhältnissen in eine Kreuzung ein und stieß mit einem bei der Beklagten versicherten Pkw zusammen.

Für das Vorliegen einer Einsatzfahrt i.S.d. § 35 Abs. 5a StVO komme es darauf an, ob der Fahrer des Rettungswagens sich nach der ihm bekannten Lage aufgrund des Inhalts des Einsatzbefehls und der beschriebenen Krankheitssymptome für berechtigt halten durfte, die Sonderrechte in Anspruch zu nehmen. Das Wegevorrecht nach § 38 Abs. 1 StVO werde – von Missbrauchsfällen abgesehen – zwar allein durch die Signale (Licht und Einsatzhorn) und ohne weitere Prüfung des Einsatzgrundes ausgelöst. Das Gericht habe aber auch zu prüfen, ob die Voraussetzungen für den Einsatz des Sondersignals gegeben waren, da dies eine Mithaftung begründen könne.

Darlegungs- und beweisbelastet sei derjenige, der sich auf das Vorliegen der Einsatzfahrt (§ 35 Abs. 5a StVO) beruft. Hierzu genüge die Vorlage eines Einsatzprotokolls allein noch nicht; erforderlich seien konkrete Angaben zu der Einsatzfahrt. Da das Landgericht an dieser Stelle zu Unrecht eine Verspätung des Vortrags der Klägerin annahm und diesen zurückwies, erfolgte durch das OLG eine Zurückverweisung der Sache.

OLG Hamm, Urteil vom 04.05.2018 – I-7 U 37/17

Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung ihres weitergehenden Rechtsmittels das am 24.4.2017 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 8. Zivilkammer des Landgerichts Bochum (Az. 8 O 227/16) samt dem zugrunde liegenden Verfahren aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Bochum zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem Landgericht Bochum vorbehalten.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei (§ 21 Abs. 1 S. 1 GKG).

Gründe

I.

Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem Verkehrsunfall, der sich am 30.9.2013 gegen 10 Uhr auf der Kreuzung V-Straße/J-Straße in V ereignete.

Die Klägerin ist Halterin und Leasingnehmerin eines Rettungswagens mit dem amtlichen Kennzeichen X, der zum Unfallzeitpunkt von dem benannten Zeugen D gefahren wurde. Dieser fuhr unter dem Einsatz von Martinshorn und Blaulicht auf den Kreuzungsbereich zu, wobei die Lichtzeichenanlage für ihn „Rot“ zeigte. Die Sichtverhältnisse im Kreuzungsbereich waren eingeschränkt, weil auf der Linksabbiegerspur der von ihm rechts gelegenen J-Straße ein LKW wartete, der bereits einige Meter über die Haltelinie gefahren war und dann abgebremst hatte.

Im Kreuzungsbereich kam es aus zwischen den Parteien streitigen Umständen zu einer Kollision mit dem von rechts aus der J-Straße kommenden und bei der Beklagten versicherten Fahrzeug VW Caravelle, amtliches Kennzeichen Y, das von dem benannten Zeugen E gesteuert wurde. Der RTW wurde frontal, der VW seitlich auf der Fahrerseite beschädigt. Die Klägerin ließ ihr Fahrzeug für ca. 98.000,- € reparieren. Insgesamt macht sie einen Schaden in Höhe von 111.643,09 € geltend. Die Beklagte hat vorgerichtlich unter Anerkennung eines Mitverschuldensanteils von 25 % und unter Kürzung einzelner Schadensersatzpositionen einen Betrag in Höhe von 23.187,31 € gezahlt. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin weiteren Schadensersatz und geht dabei von einer Haftungsquote von 50 % aus.

Sie hat – soweit es für die Berufungsentscheidung darauf ankommt – behauptet, der RTW habe sich auf einer Einsatzfahrt befunden.

Im Einzelnen stellt sich ihr erstinstanzlicher Vortrag hierzu wie folgt dar:

Mit der Klageschrift hat sie unter Vorlage des Einsatzprotokolls Anlage K 1 (Bl. 9 d.GA.) vorgetragen, es habe eine „Fahrt unter Nutzung von Sonderrechten“ vorgelegen. Nach diesbezüglichem Bestreiten der Gegenseite mit Nichtwissen hat sie mit Schriftsatz vom 3.11.2016 (Bl. 146 d.GA.) ausgeführt: „das Fahrzeug der Klägerin befand sich auf einer Einsatzfahrt […]. Hiervon wird die Gegenseite nicht ablenken können.“ In der mündlichen Verhandlung vom 14.11.2016 hat das Landgericht unter Einräumung einer Schriftsatzfrist bis zum 28.11.2016 die Klägerin darauf hingewiesen, dass kein ausreichender Vortrag bzgl. der Voraussetzungen des § 35 Abs. 5a StVO vorliege. Insbesondere seien die Voraussetzungen nicht durch Vorlage eines entsprechenden Einsatzprotokolls nachgewiesen (Protokoll zur mündlichen Verhandlung, Bl. 148 f. d.GA.). Auf den Antrag der Klägerin ist die Frist bis zum 19.12.2016 (Bl. 150 d.GA.) und auf weiteren Fristverlängerungsantrag ohne vorherige Anhörung der Beklagtenseite ein zweites Mal bis zum 28.12.2016 (Bl. 152 d.GA.) verlängert worden. Mit Schriftsatz vom 28.12.2016 hat die Klägerin als Anlage das Einsatzprotokoll Anlage K 7 (Bl. 158 d.GA.) vorgelegt und erläutert, hieraus ergebe sich, „dass sich das Fahrzeug in einer Einsatzfahrt befunden habe“. Der Erwiderungsschriftsatz der Beklagtenseite, mit dem diese bestritt, dass sich aus dem Einsatzprotokoll das Vorliegen einer Einsatzfahrt ergebe, ist der Klägerin zur Stellungnahme binnen 2 Wochen zugeleitet worden (Bl. 184 d.GA). Am 2.3.2017 hat die Klägerin Fristverlängerung bis zum 16.3.2017 beantragt, die gewährt worden ist (Bl. 186 d.GA.). Mit am 20.4.2017 per Fax bei Gericht eingegangenem (Bl. 188 d.GA.) und der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 24.4.2017 überreichten Schriftsatz hat die Klägerin unter Beweisantritt vorgetragen, dass es sich ausweislich des Einsatzprotokolls um eine sogenannte R1-Fahrt gehandelt habe. Eine solche liege immer vor bei Lebensbedrohung; Krankentransporte würden unter das Stichwort R0 fallen.

Die Klägerin hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die W-Bank, zur Leasing-Vertrags-Nr.: #, 32.634,34 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Schriftsatz vom 28.12.2016 sei verspätet gewesen, weil die zweite Fristverlängerung nicht mit der Beklagtenseite abgesprochen gewesen sei. Darüber hinaus werde Verspätung hinsichtlich des Schriftsatzes vom 20.4.2017 gerügt.

Das Landgericht Bochum hat die Klage ohne Beweisaufnahme abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass der Fahrer des RTW gegen § 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 7 StVO verstoßen habe, weil er bei Rotlicht in den Kreuzungsbereich eingefahren sei. Er sei nicht nach § 35 Abs. 5a StVO von der Einhaltung der sich aus der Straßenverkehrsordnung ergebenden Vorschriften entbunden gewesen, weil die Klägerin nicht hinreichend dargelegt habe, dass es sich um eine Einsatzfahrt gehandelt habe. Soweit die Klägerin mit Schriftsatz vom 20.4.2017 vorgetragen habe, es ergebe sich bereits aus dem Einsatzprotokoll und dem dortigen Vermerk „R 1“, dass es sich um eine Einsatzfahrt gehandelt habe, sei der Vortrag verspätet.

Ein eventueller Verstoß des Fahrers des bei der Beklagten versicherten PKW sei weitaus geringer zu bewerten und mit der erfolgten Zahlung bereits abgegolten.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihr erstinstanzliches Klagebegehren vollumfänglich weiterverfolgt. Sie ist der Ansicht, das Landgericht habe verfahrensfehlerhaft die angebotenen Beweise nicht erhoben. Der klägerische Vortrag zum Vorliegen einer Einsatzfahrt sei nicht verspätet gewesen, da das entsprechende Einsatzprotokoll bereits mit Schriftsatz vom 28.12.2016 übermittelt worden sei. Unter Verweis auf eine Entscheidung des OLG Düsseldorf, BeckRS 2011, 24812, vertritt die Klägerin die Ansicht, dass allein durch Vorlage des Einsatzprotokolls substantiiert dargelegt worden sei, dass es sich um eine Einsatzfahrt gehandelt habe. Auf die objektive Berechtigung zur Benutzung der Warnsignale komme es zudem nicht an.

Die Klägerin beantragt,

1. unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung der Klage insgesamt stattzugeben.

2. hilfsweise, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Zurückweisung der Berufung.

Im Wesentlichen wiederholt und vertieft sie ihren bisherigen Vortrag und verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

II.

Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg. Auf den Hilfsantrag der Klägerin war – unter Zurückweisung der Berufung hinsichtlich des Hauptantrags – das angefochtene Urteil mit dem ihm zugrunde liegenden Verfahren aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen.

Das Verfahren im ersten Rechtszug leidet an einem wesentlichen Mangel, der eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig macht (§ 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

1.

Das Landgericht hat die Auffassung vertreten, dass ein Anspruch der Klägerin nach §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, 2 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG bereits dem Grunde nach nicht gegeben sei, weil der unstreitig vorliegende Rotlichtverstoß des benannten Zeugen D ein etwaiges Fehlverhalten des benannten Zeugen E bei weitem überwiege. Auf § 35 Abs. 5a StVO könne sich die Klägerin nicht berufen, da ihr Vorbringen zu dem Vorliegen einer Einsatzfahrt nach § 296 ZPO verspätet sei.

2.

Diese Zurückweisung des klägerischen Vorbringens widerspricht offenkundig den Vorgaben des § 296 ZPO und verletzt die Klägerin in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

Nach Art. 103 Abs. 1 GG haben die Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens ein Recht darauf, sich vor Erlass der Entscheidung zu dem zugrunde liegenden Sachverhalt zu äußern. Diesem Recht entspricht die Pflicht des Gerichts, Anträge und Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Die nähere Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs ist jedoch den einzelnen Verfahrensordnungen überlassen. Art. 103 Abs. 1 GG gewährt deshalb keinen Schutz dagegen, dass das Gericht das Vorbringen eines Beteiligten aus Gründen des materiellen oder formellen Rechts unberücksichtigt lässt. Der Gesetzgeber kann das rechtliche Gehör auch im Interesse der Verfahrensbeschleunigung durch Präklusionsvorschriften begrenzen. Allerdings müssen solche Vorschriften wegen der einschneidenden Folgen, die sie für die säumige Prozesspartei nach sich ziehen, strengen Ausnahmecharakter haben. Werden die einfachrechtlichen Präklusionsvorschriften offenkundig unrichtig angewandt, liegt darin eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 30.1.1985, Az. 1 BvR 876/84).

So lagen die Dinge hier.

a)

Der streitgegenständliche Unfall ist bei Betrieb eines Kraftfahrzeugs geschehen. Da er nicht auf höherer Gewalt beruhte, ist eine Ersatzpflicht nicht nach § 7 Abs. 2 StVG ausgeschlossen. Zudem ist die Kollision für beide Unfallbeteiligten nicht unabwendbar gemäß § 17 Abs. 3 StVG gewesen. Ein Idealfahrer anstelle des Zeugen D hätte die Kreuzung erst passiert, wenn er trotz der Sichtbehinderung durch den haltenden Lastwagen hätte ausschließen können, dass sich von rechts jemand nähert. Ein Idealfahrer anstelle des Zeugen E hätte das Martinshorn früher wahrgenommen bzw. aufgrund des wartenden LKW besondere Vorsicht walten lassen und sein Fahrverhalten darauf eingestellt (dazu auch: Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 5.11.2009, Az. 12 U 151/08).

b)

Die Haftungsquote hängt daher gemäß § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Die gebotene Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge ist auf Grund aller festgestellten, d.h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalles vorzunehmen, wenn sie sich auf den Unfall ausgewirkt haben; in erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; das beiderseitige Verschulden ist nur ein Faktor der Abwägung (BGH, Urteil vom 7.2.2012, Az. VI ZR 133/11; OLG Hamm, Urteil vom 11.9.2012, Az. I-9 U 32/12).

Die Klägerin räumt ein, dass der Zeuge D trotz Rotlicht in den Kreuzungsbereich eingefahren ist und damit gegen das Gebot aus § 37 Abs. 2 Nr. 1 S. 7 StVO „Halt vor der Kreuzung“ verstoßen hat.

Ein die Betriebsgefahr des klägerischen Rettungswagens erhöhender Sorgfaltspflichtverstoß liegt darin indes nur, wenn der Zeuge D nicht von der Beachtung des Vorrechts anderer Verkehrsteilnehmer aufgrund eines ihm nach §§ 35, 38 StVO zustehenden Sonderrechts befreit war.

Die hierzu erfolgten Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil sind unzureichend und binden den Senat nicht, da konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit begründen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Sie lassen vermuten, dass sich das Landgericht bei seiner Entscheidung der Systematik der § 35 und § 38 StVO sowie der Voraussetzungen des § 296 ZPO nicht im ausreichenden Maße bewusst war.

(aa)

Nach § 35 Abs. 5a StVO sind Fahrzeuge des Rettungsdienstes von den Vorschriften der StVO befreit, wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden.

Dabei kommt es für die Beurteilung, ob es sich um eine Einsatzfahrt i.S.d. § 35 Abs. 5a StVO handelt, nicht auf die spätere objektive Betrachtung nach Beendigung der Einsatzfahrt an, die der Einsatzfahrer nicht anstellen konnte. Vielmehr ist allein entscheidend, ob der Fahrer sich nach der ihm bekannten Lage aufgrund des Inhalts des Einsatzbefehls und der beschriebenen Krankheitssymptome für berechtigt halten durfte, die Sonderrechte aus § 35 Abs. 5a StVO in Anspruch zu nehmen; ggf. muss er Rücksprache bei der Einsatzstelle halten. Diese Voraussetzungen unterliegen gerichtlicher Nachprüfung. Das Bestehen eines Einsatzbefehls ist für die Annahme höchster Eile zur Rettung von Menschenleben keine zwingende Voraussetzung; liegt jedoch ein entsprechender Einsatzbefehl vor, darf der Fahrer eines Rettungsdienstfahrzeuges i.d.R. davon ausgehen, dass Sonderrechte in Anspruch genommen werden dürfen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6.1.2010, Az. IV-3 RBs 95/09; Rogler, in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 35 StVO Rn 100; Heß, in: Burmann u.a., Straßenverkehrsrecht, 25. Auflage 2018, § 35 StVO Rn 9; auch schon OLG Köln, Beschluss vom 4.3.1980, Az. 3 Ss 127/80).

Nach § 38 Abs. 1 StVO besteht ein Wegevorrecht für Sonderfahrzeuge, wenn sie sich unter Einsatz der Sondersignale blaues Blinklicht und Einsatzhorn nähern. Es ordnet gemäß § 38 Abs. 1 S. 2 StVO an, dass alle übrigen Verkehrsteilnehmer sofort freie Bahn zu schaffen haben. Die gleichzeitige Nutzung von Blaulicht und Einsatzhorn ist Voraussetzung für die Anwendung von § 38 StVO. Das Sonderrecht nach § 35 Abs. 5a StVO muss hingegen nicht durch diese Sondersignale angezeigt werden (Heß, in: Burmann u.a., Straßenverkehrsrecht, 25. Auflage 2018, § 35 StVO Rn 9).

Entgegen der in der Berufungsbegründung geäußerten Auffassung der Klägerin ist die objektive Berechtigung zur Benutzung der Warnsignale nicht ohne Belang.

Bei § 38 StVO geht die überwiegende Rechtsprechung und Literatur zwar davon aus, dass das Gebot, freie Bahn zu schaffen, allein durch die Signale blaues Blinklicht und Einsatzhorn des Einsatzfahrzeugs ausgelöst wird und von den anderen Verkehrsteilnehmern sofort und unbedingt ohne Prüfung des Wegerechts zu befolgen ist. Da die übrigen Verkehrsteilnehmer in jedem Fall dem Wegerechtsfahrzeug freie Bahn zu schaffen haben, ist eine fehlende Berechtigung, Blaulicht und Einsatzhorn einzusetzen, nicht unfallursächlich; denn die straßenverkehrsrechtlichen Sorgfaltspflichten hängen nicht von der Berechtigung des Einsatzes von Blaulicht und Horn ab. Es ist den übrigen Verkehrsteilnehmern in der konkreten Verkehrssituation gar nicht möglich, die objektive Berechtigung für die Verwendung von Blaulicht und Einsatzhorn zu beurteilen. Es ist ihnen daher verwehrt, die Rechtmäßigkeit der Verwendung der Einsatzmittel in Zweifel zu ziehen, so dass sie ohne Prüfung der Sachlage sofort und unbedingt freie Bahn zu schaffen haben. Ausnahmen können nur in Fällen ganz offensichtlichen Missbrauchs (z.B. Freiwillige Feuerwehr auf Vergnügungsfahrt) angenommen werden (KG Berlin, Urteil vom 14.7.1997, Az. 12 U 1541/96; OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.2.2008, Az. 1 U 114/07; KG Berlin, Urteil vom 18.7.2005, Az. 12 U 50/04; KG Berlin, Urteil vom 30.8.2010, Az. 12 U 175/09; OLG Dresden, Urteil vom 20.12.2000, Az. 12 U 2428/00; OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.11.1991, Az. 1 U 129/90 –, juris; Wern, in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 38 StVO Rn 18).

Dies bezieht sich aber nur darauf, ob der Unfallgegner das Vorrecht einräumen muss und seinerseits gegen § 38 StVO verstößt, wenn er solches unterlässt.

Davon unabhängig ist die Frage zu beurteilen, ob der Fahrer des Sonderfahrzeugs bei einer missbräuchlichen Verwendung des Sondersignals (mit)haftet. In diesem Zusammenhang ist es nicht nur zulässig, sondern sogar geboten, bei der Bewertung des Sorgfaltspflichtverstoßes des Fahrers zu berücksichtigen, ob die Voraussetzungen für den Einsatz des Sondersignals vorlagen. Denn für die Frage des unfallursächlichen Mitverschuldens des Wegerechtsfahrers ist maßgeblich, ob dieser den ihm obliegenden Pflichten nachgekommen ist und ob sich ein etwaiger Sorgfaltsverstoß unfallursächlich ausgewirkt hat. Eine rechtswidrige Verwendung des Blaulichts mit Einsatzhorn wirkt sich unfallursächlich aus, wenn sich in dem Unfallgeschehen – wie meist der Fall – die durch die (rechtswidrige) Inanspruchnahme des Wegerechts erhöhte Unfallgefahr verwirklicht hat (vgl. dazu auch OLG Dresden, Urteil vom 20.12.2000, Az. 12 U 2428/00; Wern, in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 38 StVO Rn 18, 23; auch Heß, in: Burmann u.a., Straßenverkehrsrecht, 25. Auflage 2018, § 38 StVO Rn 5).

(bb)

Bei Anwendung dieser Maßstäbe kann jedenfalls mit der Begründung des Landgerichts das Vorliegen einer Einsatzfahrt nicht verneint werden. Verfahrensfehlerhaft hat das Landgericht diesbezüglichen erheblichen Vortrag der Klägerin unberücksichtigt gelassen und ist – wenn auch aus seiner Sicht folgerichtig – Beweisangeboten nicht nachgegangen. Es hat damit den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt.

(1)

Darlegungs- und beweisbelastet ist derjenige, der sich auf das Vorliegen einer Einsatzfahrt im Sinne des § 35 Abs. 5a StVO beruft (Heß, in: Burmann u.a., Straßenverkehrsrecht, 25. Auflage, 2018, § 35 Rn 16).

Die bloße Vorlage des Einsatzprotokolls reicht zur substantiierten Darlegung nicht aus. Vielmehr sind grundsätzlich konkrete Angaben, auf welcher Fahrt, von welchem Ausgangsort, mit welchem Ziel und mit welcher Aufgabe der Rettungswagen zur Zeit des Unfalles unterwegs gewesen ist, erforderlich. Unter Benennung konkreter Tatsachen ist auszuführen, dass im Sinne des § 35 Abs. 5a StVO Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden (vgl. dazu auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.11.1991, Az.1 U 129/90). Auch der Entscheidung des OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.2.2008, Az. 1 U 114/07, BeckRS 2011, 24812, auf die sich die Klägerin mit der Berufungsbegründung bezieht, ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen.

Solche konkreten Angaben hat die Klägerin zwar nicht gemacht. Letztlich ist sie aber durch Vorlage des Einsatzprotokolls Anlage K 7 (Bl. 158 d.GA.) in Verbindung mit den ergänzenden Erläuterungen im Schriftsatz vom 20.4.2017 ihrer Substantiierungslast gerade noch gerecht geworden.

Im Einzelnen:

Die Klägerin hat in der Klageschrift zunächst nur pauschal vorgetragen, es habe eine „Fahrt unter Nutzung von Sonderrechten“ vorgelegen. Das mit der Klageschrift vorgelegte Einsatzprotokoll Anlage K 1 (Bl. 9 d. GA.) betraf allerdings die Einsatzfahrt zum streitgegenständlichen Unfallort; nicht aber den vorherigen, den Unfall auslösenden Einsatz. Da die Beklagte in der Klageerwiderung das Vorliegen einer Einsatzfahrt in zulässiger Weise mit Nichtwissen bestritten hatte, wäre die Klägerin zu weiterem konkreten Vortrag aufgefordert gewesen. Dem ist sie indes nicht nachgekommen, sondern sie hat mit Schriftsatz vom 3.11.2016 lediglich ausgeführt „das Fahrzeug der Klägerin befand sich auf einer Einsatzfahrt […]. Hiervon wird die Gegenseite nicht ablenken können“ (Bl. 146 d.GA.).

Nachdem das Landgericht daraufhin in der mündlichen Verhandlung vom 14.11.2016 zu Recht darauf hingewiesen hatte, dass kein ausreichender Vortrag bezüglich der Voraussetzungen des § 35 Abs. 5a StVO vorliege, insbesondere die Voraussetzungen nicht durch Vorlage eines entsprechenden Einsatzprotokolls nachgewiesen seien (Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 14.11.2016, Bl. 148 f. d.GA.), hat die Klägerin allerdings mit Schriftsatz vom 28.12.2016 das Einsatzprotokoll Anlage K 7 (Bl. 158 d.GA.) vorgelegt. Hieraus ergebe sich, „dass sich das Fahrzeug in einer Einsatzfahrt befunden habe“ (Bl. 156 d.GA.).

Entgegen der Ansicht der Beklagten war sie damit nicht verspätet. Denn ihr war zunächst eine Schriftsatzfrist bis zum 28.11.2016 eingeräumt worden (Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 14.11.2016, Bl. 148 f. d.GA.), die auf Antrag bis zum 19.12.2016 verlängert worden war (Bl. 150 d.GA.). Am 19.12.2016 ging ein weiterer Antrag auf Fristverlängerung bis zum 28.12.2016 ein, dem entsprochen wurde (Bl. 152 d.GA.). Diese wiederholte Fristverlängerung widersprach zwar den Vorgaben des § 225 Abs. 2 ZPO, da sie ohne Anhörung der Beklagten erfolgte. Mängel bei der Fristverlängerung lassen deren Wirksamkeit aber unberührt, weil sich Fehler des Gerichts nicht zu Lasten des Antragstellers auswirken dürfen. Sowohl das Gericht als auch das übergeordnete Rechtsmittelgericht sind im Rahmen ihrer Entscheidung in der Sache an eine fehlerhafte, aber wirksame Fristverlängerung durch den Vorsitzenden gebunden (BeckOK ZPO/Jaspersen, 27. Ed. 1.12.2017, ZPO § 225 Rn. 8 mwN.). Der Antragsteller genießt grundsätzlich Vertrauensschutz. Er darf sich auf den objektiven Inhalt der ihm zugehenden Erklärung verlassen (Heßler in: Zöller, ZPO, 32. Auflage, 2018, § 520 ZPO Rn 20). Dies gilt jedenfalls bei Mängeln im Verfahren wie z.B. bei der Entscheidung durch einen unzuständigen Vorsitzenden (BGH, Urteil vom 16.5.1962, Az. V ZR 155/60) oder dem Fehlen einer Einwilligung des Gegners (BGH, Beschluss vom 30.4.2008, Az. III ZB 85/07). Ein Verstoß gegen § 225 Abs. 2 ZPO steht der Wirksamkeit der Friständerung daher nicht entgegen (Feskorn in: Zöller, Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, § 225 Rn 7).

Durch Vorlage dieses Einsatzprotokolls Anlage K 7 in Verbindung mit dem Vortrag im letzten Schriftsatz vom 20.4.2017 genügte die Klägerin gerade noch ihrer Substantiierungspflicht. Mit diesem Schriftsatz hat sie nämlich ergänzend ausgeführt, dass es sich ausweislich des Einsatzprotokolls um eine sogenannte R1-Fahrt gehandelt habe. Eine solche R1-Fahrt liege immer vor bei Lebensbedrohung; Krankentransporte würden unter das Stichwort R0 fallen. Wenn sich aber, worüber Beweis zu erheben wäre, tatsächlich aus dem Stichwort „R1“ automatisch eine Lebensbedrohung ergibt, ist von einer Einsatzfahrt im Sinne der Vorschrift auszugehen, ohne dass es auf den konkreten Anlass der Fahrt, Ausgangsort oder Ziel ankommt.

(2)

Die Zurückweisung dieses gerade noch den Substantiierungsanforderungen genügenden Vortrags durch das Landgericht hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Dem steht nicht entgegen, dass der Schriftsatz vom 20.4.2017 erst nach der durch gerichtliche Verfügung vom 2.3.2017 (Bl. 186 d. GA.) bis zum 16.3.2017 verlängerten Stellungnahmefrist bei Gericht eingegangen ist. Denn das Landgericht hat den Vortrag gemäß § 296 ZPO als verspätet zurückgewiesen, ohne die Voraussetzungen des § 296 ZPO auch nur ansatzweise zu beachten. Es differenziert nicht zwischen § 296 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO, lässt Tatbestandsvoraussetzungen ungeprüft und übt ihm zustehendes Ermessen nicht aus. Damit verletzt es das Recht der Klägerin auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG.

(a)

Der erstinstanzliche Vortrag der Klägerin konnte nicht nach § 296 Abs. 1 ZPO zurückgewiesen werden.

Danach sind Angriffs- und Verteidigungsmittel, die erst nach Ablauf einer hierfür gesetzten Frist (§ 273 Abs. 2 Nr. 1 und, soweit die Fristsetzung gegenüber einer Partei ergeht, 5, § 275 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 4, § 276 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3, § 277) vorgebracht werden, nur zuzulassen, wenn nach der freien Überzeugung des Gerichts ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder wenn die Partei die Verspätung genügend entschuldigt.

Eine Zurückweisung ist nur zulässig, wenn eine der in § 296 Abs. 1 ZPO aufgeführten Fristen versäumt worden ist. Eine analoge Anwendung auf andere Fristen ist wegen des allen Präklusionsvorschriften zukommenden Ausnahmecharakters nicht möglich (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30.1.1985, Az. 1 BvR 876/84). In Betracht kommt vorliegend allein § 273 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, wonach den Parteien zur Vorbereitung des Termins die Ergänzung oder Erläuterung ihrer vorbereitenden Schriftsätze aufgegeben, insbesondere eine Frist zur Erklärung über bestimmte klärungsbedürftige Punkte gesetzt werden kann.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 7.2.2017 (Bl. 184 d.GA.) in Abrede gestellt, dass sich aus dem mit Schriftsatz vom 28.12.2016 vorgelegten Einsatzprotokoll ergebe, dass eine Einsatzfahrt vorgelegen habe. Dieser Schriftsatz ist der Klägerin mit einer Frist zur Stellungnahme „binnen 2 Wochen“ übersandt worden (vgl. Vfg. Bl. 184 d.GA.).

Diese Fristsetzung genügte den Anforderungen des § 273 Abs. 2 Nr. 1 ZPO indes nicht. Denn die allgemeine Aufforderung, zu einem Schriftsatz des Gegners Stellung zu nehmen, stellt keine wirksame Fristsetzung im Sinne der Norm dar; es ist vielmehr die Aufforderung zur Erklärung über bestimmte klärungsbedürftige Einzelpunkte erforderlich. Das Gericht muss alle aufzuklärenden Punkte genau bezeichnen (MüKoZPO/Prütting, 5. Aufl. 2016, ZPO § 273 Rn. 21 und § 296 Rn 61).

Zudem leidet die Fristbestimmung daran, dass der Beginn der Frist nicht konkret bestimmt ist. Die Anwendung von § 296 Abs. 1 ZPO setzt voraus, dass das Gericht eine genaue Fristbestimmung trifft, innerhalb derer die Erklärung abgegeben werden muss (MüKoZPO/Prütting, 5. Aufl. 2016, ZPO § 273 Rn. 21). Bei einer Frist zur Stellungnahme „binnen 2 Wochen“ ist nicht eindeutig, ob die Frist ab dem Datum des Schriftsatzes oder erst mit Zugang des Schriftsatzes beginnt. Präklusionsvorschriften haben aber, weil sie das Grundrecht auf rechtliches Gehör einschränken, sich zwangsläufig nachteilig auf das Bemühen um eine materiell richtige Entscheidung auswirken und für die säumige Partei einschneidende Folgen nach sich ziehen, strengen Ausnahmecharakter. Ihre Anwendung steht in ganz besonderem Maße unter dem Gebot der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. So können den Parteien die schwerwiegenden Folgen der Versäumung richterlicher Erklärungsfristen nur dann zugemutet werden, wenn über Beginn und Ende der Frist bereits zu Beginn der Frist Gewissheit besteht (BGH, Urteil vom 5.3.1990, Az. II ZR 109/89). Diese ursprünglich unwirksam gesetzte Frist ist auch nicht durch die mit Verfügung vom 3.3.2017 bewilligte Fristverlängerung (Bl. 186 d.GA.), bei der ein konkretes Fristende (16.3.2017) bestimmt wurde, geheilt worden – abgesehen davon, dass es auch insoweit an einer konkreten Aufforderung zu dem aufklärungsbedürftigen Punkt “Einsatzfahrt” fehlt.

(b)

Ebenso wenig ist eine verfahrensgemäße Zurückweisung nach § 296 Abs. 2 ZPO erfolgt. Danach können Angriffs- und Verteidigungsmittel, die entgegen § 282 Abs. 1 ZPO nicht rechtzeitig vorgebracht oder entgegen § 282 Abs. 2 ZPO nicht rechtzeitig mitgeteilt werden, zurückgewiesen werden, wenn ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und die Verspätung auf grober Nachlässigkeit beruht.

(aa)

Zwar ist der klägerische Vortrag nicht rechtzeitig erfolgt.

So hat nach § 282 Abs. 1 ZPO jede Partei in der mündlichen Verhandlung ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel, insbesondere Behauptungen, Bestreiten, Einwendungen, Einreden, Beweismittel und Beweiseinreden, so zeitig vorzubringen, wie es nach der Prozesslage einer sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens bedachten Prozessführung entspricht. Die Vorschrift kommt nur zum Tragen, wenn – wie hier- innerhalb einer Instanz mehrere Verhandlungstermine stattfinden (BeckOK ZPO/Bacher, 28. Ed. 1.3.2018, ZPO § 282 Rn 2). Die Klägerin hat hiergegen verstoßen. Denn sie hat auf den Hinweis des Gerichts in der ersten mündlichen Verhandlung vom 14.11.2016 (vgl. Protokoll zur mündlichen Verhandlung, Bl. 148 d.GA.), dass zu den Voraussetzungen des § 35 Abs. 5a StVO nicht hinreichend vorgetragen sei, nur das Einsatzprotokoll ohne weitere Erläuterung, insbesondere zu der Bedeutung der Abkürzung „R1“, vorgelegt.

Daneben hat sie auch gegen § 282 Abs. 2 ZPO verstoßen, wonach Anträge sowie Angriffs- und Verteidigungsmittel, auf die der Gegner voraussichtlich ohne vorhergehende Erkundigung keine Erklärung abgeben kann, vor der mündlichen Verhandlung durch vorbereitenden Schriftsatz so zeitig mitzuteilen sind, dass der Gegner die erforderliche Erkundigung noch einzuziehen vermag.

Der Schriftsatz vom 20.4.2017 ist nämlich erst am 20.4.2017, einem Donnerstag, um 17:53 h, d.h. nach Dienstschluss, per Fax bei Gericht eingegangen (vgl. Bl. 188 d.GA.). Die Klägerin konnte nicht damit rechnen, dass er noch rechtzeitig vor dem Verhandlungstermin am Montag, dem 24.4.2017, an die Beklagtenseite gelangen würde, so dass diese sich mit dem Vorbringen auseinandersetzen und insbesondere Erkundigungen zur der Bedeutung der Bezeichnung „R1“ einholen konnte. Tatsächlich ist der Schriftsatz dem Beklagtenvertreter erst im Termin überreicht worden (vgl. Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 24.4.2017, Bl. 191 d.GA.).

(bb)

Gleichwohl ist die Zurückweisung ihres Vorbringens durch das Landgericht in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft gewesen und hat damit das rechtliche Gehör der Klägerin (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt.

So ist die Zurückweisung verspäteten Vorbringens in den Entscheidungsgründen des Urteils auszusprechen. Es müssen die Tatsachen, die die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zurückweisung erfüllen, angegeben werden. Der Ausspruch der Zurückweisung muss sich auf die konkreten Angriffs- und Verteidigungsmittel beziehen und darf nicht pauschal einen Schriftsatz zurückweisen (BGH, Beschluss vom 17.04.1996, Az. XII ZB 60/95; MüKoZPO/Prütting, 5. Aufl. 2016, ZPO § 296 Rn. 178).

Zwar hat das Landgericht nicht den klägerischen Schriftsatz vom 20.4.2017 pauschal zurückgewiesen, sondern sich auf die Behauptung, dass es sich wegen des Vermerks „R1“ um eine Einsatzfahrt gehandelt habe, beschränkt. Offenbar ist es aber der Auffassung gewesen, den Vortrag nur aufgrund der Versäumung der Frist zurückweisen zu können. Zu den sonstigen Voraussetzungen des § 296 Abs. 2 ZPO finden sich keinerlei Ausführungen.

So muss die Verspätung auf grober Nachlässigkeit beruhen. Solche liegt nur dann vor, wenn eine Prozesspartei ihre Pflicht zur Prozessführung in besonders gravierender Weise vernachlässigt, wenn sie also dasjenige unterlässt, was nach dem Stand des Verfahrens jeder Partei hätte als notwendig einleuchten müssen. Dies muss das erstinstanzliche Gericht hinreichend begründen (vgl. BGH, Urteil vom 15.10.2002, Az. X ZR 69/01, NJW 2003, 200, 202; BGH, Beschluss vom 2.9.2013, Az. VII ZR 242/12). Ausführungen hierzu enthält das erstinstanzliche Urteil jedoch nicht.

Ebenso wenig finden sich Feststellungen dazu, warum eine Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts den Rechtsstreit verzögern würde.

Es ist daher nicht auszuschließen, dass sich das Landgericht schon der Notwendigkeit nicht bewusst gewesen ist, das Vorliegen dieser Voraussetzungen zu prüfen und zu bejahen (vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 28.01.1987, Az. 1 BvR 848/85).

Zudem ist dem Urteil des Landgerichts nicht zu entnehmen, dass es das ihm nach § 296 Abs. 2 ZPO zustehende Ermessen (so die h.M. vgl. BeckOK ZPO/Bacher, 28. Ed. 1.3.2018, ZPO § 296 Rn. 61 mwN.; a.A. MüKoZPO/Prütting, 5. Aufl. 2016, ZPO § 296 Rn. 180) ausgeübt hat; nicht einmal, dass es sich dessen bewusst war (vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 2.9.2013, Az. VII ZR 242/12).

(3)

Das angefochtene Urteil beruht auf dieser Verletzung des Rechts der Klägerin auf rechtliches Gehör. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Landgericht zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis gelangt wäre, wenn es den Vortrag im Schriftsatz vom 20.4.2017 nicht unberücksichtigt gelassen hätte.

3.

Das im Rechtsmittelzug übergeordnete Gericht darf eine fehlerhafte Begründung des erstinstanzlichen Gerichts für eine Zurückweisung von Angriffsmitteln nicht durch eine andere Begründung ersetzen und insbesondere nicht eine dem erstinstanzlichen Gericht vorbehaltene Ermessensentscheidung als Begründung für die Zurückweisung nachschieben (BGH, Beschluss vom 2.9.2013, Az. VII ZR 242/12). Vielmehr ist die Entscheidung aufzuheben und das Verfahren gemäß § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO an das Landgericht zurückzuverweisen, wenn der Verfahrensmangel zu einer aufwändigen und umfangreichen Beweisaufnahme führt.

Das ist vorliegend der Fall, da zumindest Beweis über das Vorliegen einer Einsatzfahrt zu erheben sein wird. Anschließend sind gegebenenfalls noch die Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens und/oder die Vernehmung von Zeugen zu dem Hergang des Unfalls und zu den entstandenen Schäden angezeigt. Durch die gebotene Beweisaufnahme würde der Senat zu einer mit der Funktion eines Rechtsmittelgerichts unvereinbaren teilweise erstmaligen Beweiserhebung gezwungen. Der durch die Zurückverweisung entstehende grundsätzliche Nachteil einer Verzögerung und Verteuerung des Prozesses muss hingenommen werden, wenn ein ordnungsgemäßes Verfahren in erster Instanz nachzuholen ist und den Parteien die vom Gesetz zur Verfügung gestellten zwei Tatsachenrechtszüge erhalten bleiben sollen (vgl. OLG München, Urteil vom 4.9.2015, Az. 10 U 3814/14).

Die weitere Voraussetzung, dass eine Partei die Zurückverweisung beantragt (§ 538 Abs. 2 S. 1 ZPO), liegt vor.

III.

1.

Die Kostenentscheidung war dem Erstgericht vorzubehalten, da der endgültige Erfolg der Berufung erst nach der abschließenden Entscheidung beurteilt werden kann.

Die Gerichtskosten waren gemäß § 21 Abs. 1 S. 1 GKG niederzuschlagen, weil ein wesentlicher Verfahrensmangel – nur ein solcher kann zur Aufhebung und Zurückverweisung führen (§ 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO) -, denknotwendig eine unrichtige Sachbehandlung i. S. des § 21 Abs. 1 S. 1 GKG darstellt (vgl. OLG München, Urteil vom 4.9.2015, Az. 10 U 3814/14).

2.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 S. 1 ZPO. Auch im Falle einer Aufhebung und Zurückverweisung ist im Hinblick auf §§ 775 Nr. 1, 776 ZPO ein Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit geboten, allerdings ohne Abwendungsbefugnis. Letzteres gilt umso mehr, als das vorliegende Urteil nicht einmal hinsichtlich der Kosten einen vollstreckungsfähigen Inhalt aufweist BGH, Urteil vom 24.11.1976, Az. IV ZR 3/75–, juris; OLG München, Urteil vom 4.9.2015, Az. 10 U 3814/14; Heßler in: Zöller, Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, § 540 ZPO Rn 23).

3.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO bestehen nicht.