Der Angeklagte, welcher sich selbst als Verkehrsaktivist bezeichnet, blockierte mit seinem Fahrrad in zwei Fällen Straßen in Münster, in dem er dieses jeweils quer vor ein Kraftfahrzeug stellte, so dass dieses und der restliche, nachfolgende Verkehr für 20 bzw. 30 Minuten an der Weiterfahrt gehindert waren und es zu erheblichen Behinderungen und Rückstauungen kam. Sein Ziel war es, von Fahrzeugführern Stellungnahmen zu vorangegangenen, vermeintlichen Verkehrsverstößen (Hupen etc.) zu erhalten. Zudem bezeichnete er einen der Autofahrer sowie einen Polizisten als „Verkehrsfaschisten“ und „Verkehrsrassisten“.

Das LG Münster sieht in dem Verhalten zwei Fälle von Nötigung sowie auch jeweils eine Beleidigung: Beim Blockieren einer Straße mittels eines Fahrrads könne dahinstehen, ob dieses das erste Fahrzeug an der Weiterfahrt (körperlich) hindern könnte und damit Gewalt gegeben ist. Hier greife die sog. Zweite-Reihe-Rechtsprechung, wonach sich der Nötigende des ersten Fahrzeugs als Werkzeug im Sinne einer mittelbaren Täterschaft bediene, um die nachfolgenden Fahrzeuge an der Weiterfahrt körperlich zu hindern. Ein Rechtfertigungsgrund folge weder aus § 32 StGB – das als Angriff empfundene Hupen war längst beendet – noch aus § 127 Abs. 1 StPO, da ein strafbares Verhalten der Fahrzeugführer nicht gegeben gewesen sei und das Blockieren der Straße für weitere Verkehrsteilnehmer gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoße. Das Verhalten des Angeklagten sei als verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB anzusehen. Schließlich stehe ihm im Hinblick auf seine Äußerungen bei keinem der Geschädigten der Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen zur Seite; die mit dem nationalsozialistischen Gedankengut und Menschenverachtung assoziierten Begriffe „Faschist“ und „Rassist“ seien in höchstem Maße herabwürdigend gewesen.

LG Münster, Urteil vom 30.05.2018 – 13 Ns 62 Js 2184/17 (86/17)

Die Berufung des Angeklagten gegen das angegriffene Urteil wird kostenpflichtig verworfen.

G r ü n d e

Mit dem einzig durch die Berufung des Angeklagten angegriffenen Urteil des Amtsgerichts Münster – Strafrichter – vom 19. September 2017 wurde dieser wegen Nötigung in zwei Fällen, davon in einem Fall tateinheitlich mit Beleidigung sowie wegen Beleidigung zu einer Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 25 Euro verurteilt. Das Amtsgericht hat auf Einzelstrafen von jeweils 40 Tagessätzen für die beiden Nötigungsdelikte und von 20 Tagessätzen für die weitere Beleidigung erkannt. Die Berufung des Angeklagten blieb insgesamt erfolglos.

I.

Der 38jährige Angeklagte wurde in Papenburg geboren und ist dort in der Nähe in einem kleinen Ort auch bei und mit seinen Eltern aufgewachsen. Geschwister hat er nicht. Er besuchte die Grundschule, später das Gymnasium und legte 1999 das Abitur ab. Danach leistete er für ein Jahr Zivildienst als Rettungssanitäter und studierte im Anschluss für kurze Zeit in Potsdam Rechtswissenschaften. Dieses Studium setzte er in Münster später fort; insgesamt studierte er 14 Semester Rechtswissenschaften, brach dieses Studium allerdings ohne eine Abschlussprüfung ab. Gegenwärtig studiert er Germanistik und Musikwissenschaften und arbeitet parallel als Kundenbetreuer in Münster. Er beabsichtigt, in der Zukunft in Germanistik einen Bachelor-Abschluss zu erreichen. Der Angeklagte hat keine Kinder und ist nicht verheiratet. Resultierend aus einem Studienkredit hat er Verbindlichkeiten in der Größenordnung von 10.000 Euro, die er monatlich mit etwa 200 Euro bedient. Er ist zwischen der Entscheidung des Amtsgerichts im September 2017 und der Berufungshauptverhandlung nach Emden verzogen, arbeitet allerdings weiter mit reduzierter Stundenzahl in Münster. Er erzielt hieraus nach wie vor Einkünfte in der Größenordnung von 1.000 Euro monatlich, verbringt aber viel Zeit im Zug und wendet hierfür Fahrtkosten in Höhe von 300 Euro auf.

Der Angeklagte ist bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten:

Am 16. April 2015 verurteilte ihn das Amtsgericht Münster wegen Nötigung zu einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu je 20 Euro. Diese ist vollständig bezahlt. Die Entscheidung ist rechtskräftig seit dem 23. Juni 2015; die dieser Verurteilung zugrundeliegende Tat hatte der Angeklagte am 5. Februar 2015 begangen.

II.

1.

Am 9. Dezember 2016 fuhr der Angeklagte kurz vor 18.00 Uhr mit seinem Fahrrad die Von-Vincke-Straße in Münster in Richtung der Kreuzung zur Windthorststraße mit der Absicht der Weiterfahrt auf die Engelenschanze. Die Von-Vincke-Straße bietet für Kraftfahrzeuge an der Kreuzung Windthorststraße die Möglichkeiten, rechts ab in die Windthorststraße in Richtung Stadtmitte, nahezu geradeaus in die Engelenschanze und weiter über die Schorlemer Straße in Richtung Ludgerikreisel und halb links in die Engelstraße zu fahren. Jede Fahrtrichtung hat an der Kreuzung eine eigene Fahrspur. Kraftfahrzeugen ist es nicht gestattet, links in die Windthorststraße Richtung Bahnhof zu fahren.

Aus der Fahrtrichtung des Angeklagten kurz vor der Kreuzung Von-Vincke-Straße/Windthorststraße befindet sich ebenso wie an dieser an der Abbiegung zur Urbanstraße eine Lichtzeichenanlage. In dieselbe Fahrtrichtung fuhr gleichzeitig der Zeuge L1 mit der Beifahrerin, der Zeugin L2, mit seinem Pkw und hielt an der Lichtzeichenanlage Urbanstraße. Als diese dem Zeugen L1 die Weiterfahrt gestattete, setzte er sein Fahrzeug in Bewegung. In diesem Moment fuhr der Angeklagte von der ganz rechten Fahrspur vor dem Fahrzeug des Zeugen L1 links hinüber auf die linke Seite der Fahrspur, die weiter in die Engelenschanze führt. Auch der Zeuge L1 beabsichtigte die Weiterfahrt in genau diese Richtung. Der Zeuge L1 nahm dieses Fahrmanöver des Angeklagten wahr und betätigte die Hupe. Dies, weil er das Fahrmanöver des Angeklagten für gefährlich hielt und insbesondere befürchtete, der Angeklagte werde weiter über eine Fahrspur fahren, die aus der Gegenrichtung auf der Engelenschanze ausschließlich für Busse und dergleichen eingerichtet ist. Er beabsichtigte, einerseits den Angeklagten, andererseits aber auch übrige Verkehrsteilnehmer zu warnen.

Der Angeklagte musste ebenso wie der Zeuge L1 an der Kreuzung Windthorststraße/Von-Vincke-Straße vor der dort befindlichen Lichtzeichenanlage warten und bewegte sich auf der linken Seite des Kraftfahrzeugs des Zeugen L1 zurück zum Fenster auf der Fahrerseite. Der Zeuge L1 ließ dieses Fenster herunter und erklärte dem Angeklagten sinngemäß, die Stadt Münster habe für viele Millionen Euro Fahrradwege erstellt; auf diesen sei er als Radfahrer doch besser aufgehoben als auf einer vielbefahrenen Straße. Dies nahm der Angeklagte zum Anlass, sich gemeinsam mit seinem Fahrrad vor das Fahrzeug des Zeugen L1 zu bewegen und diesen so an der Weiterfahrt zu hindern. Er tat dies, um von dem Zeugen L1 eine Stellungnahme zu dessen vorgehendem Verhalten – Hupen und späterer mündlicher Verweis auf die Fahrradwege – zu erhalten. Der Zeuge L1 versuchte noch einmal ein wenig zurückzusetzen, um dann rechts an dem Fahrrad und dem Angeklagten selbst vorbeizufahren. Dieser bewegte sich und sein Fahrrad daraufhin allerdings ebenfalls in diese Richtung und verhinderte die Weiterfahrt des Zeugen L1. Der Zeuge L1 bemerkte, dass der Angeklagte telefonisch die Polizei informiert hatte und verblieb an Ort und Stelle. Die Weiterfahrt war in der Folge weder dem Zeugen L1, noch zahlreichen weiteren Fahrzeugen auf der normalen Fahrspur möglich. Der Verkehr staute sich zurück; es kam auch zu Behinderungen für Busse aus der entgegengesetzten Fahrtrichtung. Dies alles hielt der Angeklagte, der sich selbst als Verkehrsaktivist bezeichnet, für möglich und nahm es zumindest billigend in Kauf.

Als nach etwa 20 Minuten noch immer keine Polizei erschienen war, versuchte die Ehefrau des Zeugen L1 abermals die Polizei zu verständigen. Kurz darauf erschien – zufällig – ein in Zivil gekleideter Beamter, der sich zu dem Angeklagten begab und erreichen konnte, dass dieser einerseits die Straße freigab und der Verkehr andererseits wieder frei fließen konnte. Insgesamt dauerte die Behinderung etwa 30 Minuten.

2.

Am 24. Januar 2017 nachmittags etwa gegen 16.00 Uhr befuhr der Angeklagte die Windthorststraße stadtauswärts in Fahrtrichtung Kreuzungsbereich Von-Vincke-Straße/Windthorststraße/Engelenschanze. Er setzte seine Fahrt fort auf der Engelenschanze und beabsichtigte, weiter in Richtung Schorlemer Straße zu fahren. Als er sich schon auf der Engelenschanze befand, hörte er ein Hupen eines Kraftfahrzeuges im Bereich der Windthorststraße. Gehupt hatte der Zeuge E, der sich in dieselbe Richtung bewegte wie der Angeklagte. Vor dem Fahrzeug des Zeugen E befanden sich auf Fahrrädern zwei junge Damen, denen das Hupen galt. Der Angeklagte befand sich etwa 20 Meter hinter dem Kreuzungsbereich auf der Engelenschanze. Die Straße hat hier zwei Fahrspuren. Die Fahrspur in Richtung Ludgeri-Kreisverkehr ist für den allgemeinen Verkehr freigegeben; einen Fahrradweg gibt es hier nicht. Die gegenläufige Fahrspur darf von dem allgemeinen Fahrzeugverkehr nicht benutzt werden; sie ist Bussen vorbehalten. Beide Fahrspuren werden durch eine breitere durchgezogene Linie abgegrenzt. Der Angeklagte befand sich etwa in der Mitte seiner Fahrspur. Ob er sich bewegte oder ob er zum Stehen gekommen war, konnte die Kammer nicht feststellen. Der Zeuge E überfuhr die beschriebene durchgezogene Linie und fuhr an dem Angeklagten vorbei bzw. überholte diesen. E setzte seine Fahrt fort über die Schorlemer Straße in Richtung Kreisverkehr und musste hier sein Fahrzeug verkehrsbedingt stoppen. Der Angeklagte fuhr hinter dem Zeugen E her und setzte auch hier sein Fahrrad und sich selbst vor das Fahrzeug des Zeugen E, wodurch diesem die Möglichkeit genommen wurde, seine Fahrt fortzusetzen. Er tat dies, um zu erreichen, dass der Zeuge E, so wörtlich, „mal vier Wochen zu Fuß geht“. Dieses Ziel der Sanktionierung mit einem Fahrverbot des Zeugen E wegen etwaigen Fehlverhaltens wollte er dadurch erreichen, dass er von dem Zeugen E zu dem Zeitpunkt eine Aussage erhält, wo dieser noch in Rage ist. Der Angeklagte hatte hierbei die Vorstellung, dass dies den Zeugen E zu wahrheitsgemäßen Angaben zu vorhergegangenem Fehlverhalten führen werde. In der Folge kam es zunächst zu einer verbal geführten Auseinandersetzung zwischen dem Zeugen E und dem Angeklagten, in dessen Folge der Angeklagte diesen u.a. als „Verkehrsfaschist“ und „Verkehrsrassist“ bezeichnete. Es wurde die Polizei gerufen, die nach etwa 20 Minuten erschien. Diesen gelang es kurz nach Eintreffen, den Angeklagten dazu zu bewegen, sein Fahrrad auf den Bürgersteig zu schieben, woraufhin der Verkehr wieder fließen konnte. Auch hier führte das Verhalten des Angeklagten zu erheblichen Verkehrsbehinderungen und zu Rückstauungen; zahlreiche hinter dem Fahrzeug des Zeugen E befindliche Fahrzeuge konnten ihre Fahrt für die genannte Zeit nicht fortsetzen. Dies alles hielt der Angeklagte abermals für möglich und nahm es zumindest billigend in Kauf.

3.

Nachdem die Polizeibeamten zu dem Vorfall am 24. Januar 2017 hinzugerufen wurden, betitelte der Angeklagte auch den Polizeibeamten F als „Verkehrsfaschisten“ und „Verkehrsrassisten“. Er tat dies, um damit seinem Unmut darüber Ausdruck zu verleihen, dass er seiner Auffassung nach als Fahrradfahrer in Münster von den Ordnungsbehörden nicht hinreichend geschützt werde.

III.

Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten beruhen auf seinen Angaben, an deren Richtigkeit die Kammer keinen Zweifel hatte. Ergänzend hierzu ist eine auf ihn bezogene Auskunft aus dem Bundeszentralregister vom 8. März 2017 verlesen worden, aus dem sich die Vorverurteilung durch das Amtsgericht Münster vom 16. April 2015 ergab. Der Angeklagte hat diese ebenso als zutreffend bestätigt, wie den weiteren Umstand, dass er zunächst gegen den gegen ihn verhängten Strafbefehl Einspruch eingelegt und es im Anschluss zu einer Hauptverhandlung vor dem Strafrichter in Münster gekommen ist. Auf Vorhalt hierzu hat er weiter als zutreffend bestätigt, dass er in diesem Verfahren von dem seinerzeitigen Vorsitzenden, der auch in dem vorliegenden Verfahren der zuständige Richter war, darauf hingewiesen wurde, dass das bloße Hupen im Straßenverkehr keine Nötigung im Sinne des § 240 StGB darstelle.

Auch zur Sache hat der Angeklagte sich im Kern zu allen drei Taten geständig – wie festgestellt – eingelassen, insbesondere auch zu den jeweiligen festgestellten Motiven seines Handelns. An der Richtigkeit dieses Geständnisses bestanden keine Zweifel. Es war kein Grund ersichtlich, warum der Angeklagte sich der Wahrheit zuwider selbst belasten sollte.

Bezogen auf das Geschehen am 9. Dezember 2015 wurde diese Einlassung bestätigt durch die Aussagen der Eheleute L. Übereinstimmend haben sie angegeben, der Angeklagte sei von rechts nach links vor ihrem KfZ hergefahren, habe sich zu dem Fahrerfenster bewegt und mit dem Zeugen L1 gesprochen. Dieser habe tatsächlich gehupt und den Angeklagten auf die Radwege hingewiesen, für die die Stadt viele Millionen Euro ausgegeben habe. Er habe den Angeklagten auf die Gefahr durch einen weiteren Fahrspurwechsel hinweisen wollen und auch die übrigen Verkehrsteilnehmer auf den Angeklagten hinweisen wollen. Der Angeklagte habe sich mit seinem Rad vor dem PKW positioniert; ein Ausweichen habe der Zeuge L1 einmal versucht. Der Angeklagte habe sich und sein Fahrrad nochmals so versetzt, dass auch dann eine Weiterfahrt nicht möglich gewesen sei. Man habe dann das Eintreffen der Polizei abgewartet. Der Verkehr sei wie festgestellt behindert worden.

Abweichend von seiner Einlassung konnte die Kammer lediglich dazu keine Feststellungen treffen, ob der Angeklagte sich bei dem Vorfall am 24. Januar 2017 auf der Engelenschanze mit seinem Fahrrad in Richtung Kreisverkehr bewegte oder – wie es der Zeuge E aussagte – in der Mitte der Fahrspur stand und der Zeuge E an dem Fahrrad des Angeklagten vorbeigefahren sei und diesen nicht überholt habe.

Der Angeklagte hat hierzu erklärt, er habe das Hupen gehört, sich umgesehen und das Fahrzeug des Zeugen E als Ursprung des Signals identifiziert und ferner gesehen, dass sich vor dem Fahrzeug des Zeugen E zwei Fahrradfahrer bewegten. Er habe die Situation so erfasst, dass der Zeuge E die Fahrradfahrerin zu einem bestimmten Verhalten habe bewegen wollen. Im Anschluss sei er noch weitergefahren und sei dann von dem Zeugen E mit hoher Geschwindigkeit überholt worden. Der Zeuge E sei dann vor ihm wieder eingeschert und er habe sich gezwungen gesehen, sein Fahrrad abzubremsen. Auf Vorhalt, dass der Zeuge E bei hoher Geschwindigkeit eine höhere Geschwindigkeit als er selbst gehabt haben müsse, anderenfalls ein Überholen nicht möglich gewesen sei, korrigierte er seine Aussage dahin, dass die Geschwindigkeit des Zeugen E einerseits doch nicht viel größer als seine eigene gewesen sei und der Zeuge E ferner sein Fahrzeug im Anschluss verkehrsbedingt wieder abgebremst habe. Er sei allerdings nicht besonders schnell, sondern allenfalls mit 20 km/h gefahren. Gleichzeitig hat er sich dahin eingelassen, der Zeuge E habe mit seinem Kraftfahrzeug die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h weit überschritten.

Obschon aufgrund dieser zumindest teilweise widersprüchlichen Angaben Zweifel an der Richtigkeit der Einlassung des Angeklagten insoweit bestanden, konnte sich die Kammer auch nicht davon überzeugen, dass der Angeklagte sich mit seinem Rad nicht bewegt hat.

Der Zeuge E hat hierzu zwar erklärt, der Angeklagte habe auf der Mitte der Fahrspur gestanden und er habe unter Überfahren der durchgezogenen Linie sein Fahrzeug an dem Hindernis vorbeigelenkt. Die Aussage des Zeugen E war allerdings geprägt von einer Animosität gegen den Angeklagten, so dass die Kammer bezogen auf diesen – letztlich für die Entscheidung nicht erheblichen – Teil des Geschehens von der Richtigkeit der Aussage des Zeugen nicht uneingeschränkt überzeugt war.

Übereinstimmend mit dem Geständnis des Angeklagten hat aber auch der Zeuge E ausgesagt, dass er im Verlauf der Weiterfahrt am Ludgeri-Kreisverkehr verkehrsbedingt habe anhalten müssen und der Angeklagte sich dann mit seinem Fahrrad zu ihm bewegt und ihn in der weiteren Folge nicht nur beleidigt, sondern auch sich und sein Fahrrad vor sein Fahrzeug gestellt und ihn so an der Weiterfahrt gehindert habe.

Die Kammer hatte keinen Zweifel daran, dass die geständigen Einlassungen des Angeklagten insgesamt zutreffend sind, dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass er sein Verhalten unter Bezugnahme auf Artikel 5 des Grundgesetzes einerseits und § 127 StPO andererseits insgesamt für nicht strafbar erachtet.

Die Feststellungen zur subjektiven Tatseite folgen zur Überzeugung der Kammer aus den Umständen. Der Angeklagte wohnte seinerzeit seit vielen Jahren in Münster, bezeichnet sich als Verkehrsaktivist und war bestens vertraut mit den Gegebenheiten in den in Rede stehenden Verkehrs- und Kreuzungsbereichen. Er wusste um die jeweilige Tageszeit und das jeweilige Verkehrsaufkommen. Daraus folgt zur Überzeugung der Kammer, dass er die erheblichen Behinderungen der genannten Zeugen und auch des übrigen, insbesondere des jeweils nachfolgenden Verkehrs für möglich hielt. Da er sich und sein Rad dennoch vor den Fahrzeugen der Zeugen L und E postierte nahm er diese auch jeweils billigend in Kauf.

IV.

1. und 2.

Der Angeklagte hat sich durch die ersten beiden Taten der Nötigung gem. § 240 Abs. 1 StGB schuldig gemacht, indem er sein Fahrrad quer vor den Fahrzeugen der Zeugen L und E stellte und die Fahrbahn versperrte.

Er hat die Zeugen L und E sowie namentlich nicht bekannte Kraftfahrer vorsätzlich, rechtswidrig und gegen ihren Willen an der Weiterfahrt für einen spürbaren Zeitraum von 20-30 Minuten gehindert. Dabei kann dahinstehen, ob das Fahrrad derart überlegen war, dass es ein körperliches Hindernis darstellte, da er jedenfalls durch die angehaltenen Fahrzeuge der Zeugen L und E Gewalt zum Nachteil der Fahrer der nachfolgenden Fahrzeuge ausübte.

Nach der Zweiten-Reihe-Rechtsprechung des BGH begeht zwar derjenige, der durch psychisch vermittelten Zwang eine „Barriere“ errichtet und den ersten Kraftfahrer zum Anhalten bringt, diesem gegenüber keine Nötigung mit Gewalt. Dies tut er jedenfalls aber gegenüber denjenigen nachfolgenden Fahrzeugführern, die hinter dem zuerst anhaltenden Fahrzeug ebenfalls anhalten. Das zuerst von ihm angehaltene Fahrzeug stellte ein physisch unüberwindbares Hindernis für die nachfolgenden Fahrzeuge dar. Die Sperrwirkung des ersten Fahrzeuges auf die nachfolgenden Fahrzeuge ist ihm gem. § 25 Abs. 1 2. Fall StGB zuzurechnen, da er auf die Zeugen L und E als Tatmittler psychischen Druck ausübte, der diese dazu brachte, ihre Fahrt nicht fortzusetzen.

Der Angeklagte handelte auch rechtswidrig.

Auf etwaige Rechtfertigungsgründe kann sich der Angeklagte nicht berufen. Einem gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff gem. § 32 StGB war der Angeklagte nicht ausgesetzt, zumal sogar das als „Angriff“ empfundene Hupen jeweils bereits beendet und damit nicht mehr gegenwärtig war.

Auf ein Festnahmerecht gem. § 127 Abs. 1 StPO kann sich der Angeklagte aus mehreren Gründen ebenfalls nicht berufen. Nach § 127 StPO hat zwar jedermann das Recht zur vorläufigen Festnahme eines anderen, wenn dieser auf frischer Tat betroffen oder verfolgt wird, der Flucht verdächtig ist oder seine Identität nicht sofort festgestellt werden kann.

Zunächst fehlte es aber bereits an einem strafbaren Verhalten der Zeugen L und/oder E.

Der Zeuge L1 hat die Hupe nicht mit Nötigungsvorsatz betätigt, sondern um den Angeklagten sowie den nachfolgenden Verkehr zu warnen. Gleiches gilt für den Zeugen E.

Der Angeklagte handelte auch in beiden Fällen nicht mit der erforderlichen Absicht, vermeintliche Täter der Strafverfolgung zuzuführen, sondern um „eine Stellungnahme“ (L1) bzw. eine Erklärung „in Rage“ (E) zu erhalten. Auch wenn im Fall E sein erklärtes letztendliches Ziel darin bestand, dass E seine Fahrerlaubnis für eine gewisse Zeit verliert, gilt nichts anderes, weil sein primäres Ziel auch hier eine sofortige Stellungnahme war.

Schließlich hat der Angeklagte gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen. Die Befugnis zur vorläufigen Festnahme schließt zwar notwendigerweise das Recht zur Vornahme von Handlungen ein, die tatbestandsmäßig als Freiheitsberaubung und Nötigung anzusehen sind. Derartige Maßnahmen sind jedoch nur gerechtfertigt, wenn sie sich gegen den Täter richten. Der Angeklagte hat jedoch jeweils eine Vielzahl von Verkehrsteilnehmern an der Weiterfahrt gehindert. Er handelte daher pflichtwidrig und verstieß gegen das Übermaßverbot.

Das Verhalten des Angeklagten war auch jeweils verwerflich gem. § 240 Abs. 2 StGB. Hiernach ist die Tat rechtswidrig, wenn die Anwendung der Gewalt zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Es ist eine Mittel-Zweck-Relation anzustellen. Bei Behinderungen im Straßenverkehr ist die Verwerflichkeit in Fällen anzunehmen, in denen die Nötigung allein der rücksichtslosen Durchsetzung eigener Interessen dient, insbesondere bei schikanösem Verhalten mit dem Zweck einer „verkehrserzieherischen“ Maßregelung. Vorliegend hat sich der Angeklagte als Gesetzeshüter geriert und zur Durchsetzung seiner Belange die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs gefährdet. Zudem hat er eine Vielzahl unbeteiligter Verkehrsteilnehmer zur Durchsetzung seiner Ziele in Mitleidenschaft gezogen. Sofern der Angeklagte mit der Zwangseinwirkung das Ziel verfolgte, ein gesteigertes Aufsehen in der Öffentlichkeit zu erregen und andere dem Zwang auszusetzen, fremde Meinungen anzuhören, konnte dies auch nicht etwa durch Art. 5 Abs. 1 GG gerechtfertigt werden, da er zugleich andere an der Ausübung der Freiheitsrechte hinderte. Zudem darf die zeitliche Intensität der Einwirkung nicht außer Betracht bleiben, in der die Straße für eine Vielzahl von Verkehrsteilnehmern jeweils über 20 Minuten blockiert war.

Der Angeklagte handelte auch schuldhaft. Er ist insbesondere nicht gem. § 17 S. 1 StGB entschuldigt. Soweit der Angeklagte davon ausging, das Hupen erfülle den Tatbestand der Nötigung gem. § 240 Abs. 1 StGB, so dass sein Verhalten von § 127 Abs. 1 StPO gedeckt sei, lässt dies den Schuldvorwurf nicht entfallen. Er hat sich gem. § 17 StGB in einem vermeidbaren Verbotsirrtum befunden. Denn der Angeklagte irrte nicht über Tatsachen, sondern unterlag einem Wertungsirrtum im normativen Bereich. Ein unter § 17 StGB fallender Irrtum ist dann vermeidbar, wenn der Täter nach seinen individuellen Fähigkeiten unter Einsatz all seiner Erkenntniskräfte und sittlichen Wertvorstellen, ggf. auch durch Einholung fachkundigen Rates, zur Unrechtseinsicht hätte kommen können. Bei gehöriger Anspannung hätte der Angeklagte erkennen können, dass das Hupen nicht den Tatbestand der Nötigung erfüllt und dass er durch sein Verhalten gegen die Rechtsordnung verstößt. Zudem wurde der Angeklagte 2015 wegen einer begangenen Nötigung gem. § 240 Abs. 1, 2 StGB verurteilt. Schon dort wurde er im Rahmen der Hauptverhandlung darauf hingewiesen, dass das bloße Hupen keine Nötigung i.S.v. § 240 StGB darstelle.

Indem der Angeklagte den Zeugen E als „Verkehrsfaschist“ und „Verkehrsrassist“ beleidigte, hat er sich in diesem Fall zudem tateinheitlich wegen einer Beleidigung gem. § 185 StGB strafbar gemacht. Hierbei handelt es sich um objektiv beleidigende Äußerungen, die nicht gem. § 193 StGB gerechtfertigt sind.

Unter einer Beleidigung ist der Angriff auf die Ehre eines anderen durch vorsätzliche Kundgabe der Missachtung oder Nichtachtung zu verstehen. Die Ehre kann auch durch Vorwürfe verletzt werden, die sich auf das Sozialverhalten des Betroffenen beziehen. Nicht jede kritische Bemerkung ist aber bereits ehrenrührig. Diese Grenze überschreitet erst eine Äußerung, die dem Betroffenen die sittliche Integrität abspricht. Das ist der Fall, wenn ihm unverdientermaßen ein pflichtwidriges Versagen von einigem Gewicht zur Last gelegt wird. Dies ist vorliegend der Fall. Die Äußerungen des Angeklagten sind ausschließlich dahingehend zu deuten, dass er dem Zeugen E eine Gesinnung unterstellt, nach der dieser Menschen aufgrund bestimmter Merkmale und Eigenschaften dahin kategorisiert, dass er alle Autofahrer als höherwertig betrachte, während er alle Fahrradfahrer als geringwertig abstufe und diskriminiere. Zudem bezichtigt er ihn eines ideologischen Denkens, wonach öffentliche Straßen nur dem motorischen Verkehr gewidmet seien und daher nur von dieser Menschengruppe beansprucht werden können.

Die Aussage ist auch nicht gem. § 193 StGB gerechtfertigt. In § 193 StGB findet sich der Gedanke der Wechselwirkungslehre wieder, wonach die allgemeinen Gesetze – wie § 185 StGB – ihrerseits im Lichte der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit im freiheitlich demokratischen Staat ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung wieder selbst eingeschränkt werden müssen. Es ist mithin eine Güterabwägung zwischen der persönlichen Ehre und der Meinungsäußerungsfreiheit vorzunehmen. Die Grenzen der Meinungsfreiheit finden sich grundsätzlich dann, wenn u.a. die Menschenwürde der Geschädigten verletzt ist.

Die auch hier gebotene Abwägung fällt abermals zu Lasten des Angeklagten aus. Zwar wird das sachliche Anliegen nicht völlig in den Hintergrund gedrängt, da es dem Angeklagten auch darum ging, das Fahrverhalten des Zeugen E vehement zu kritisieren. Die negativ belasteten Begriffe „Faschist“ und „Rassist“, die mit dem nationalsozialistischen Gedankengut und Menschenverachtung assoziiert werden, waren zur Kritikäußerung aber keinesfalls geeignet. Vielmehr war dieser Angriff auf die Ehre der Person in höchstem Maße herabwürdigend. Dem Geschädigten wurde eine rassenideologische Herabsetzung unterstellt, die geeignet war, dem Betroffenen die soziale und sittliche Integrität abzusprechen.

Der Angeklagte handelte auch vorsätzlich. Ihm war sowohl die Wortwahl als auch die Bedeutung und Wirkung bewusst.

3.

Indem er auch den zugezogenen Polizisten F als „Verkehrsrassist“ und „Verkehrsfaschist“ bezeichnete, hat er sich schließlich einer weiteren Beleidigung gem. § 185 StGB schuldig gemacht.

Die Ehre kann zunächst auch durch Vorwürfe verletzt werden, die sich auf das Sozialverhalten des Betroffenen, wie etwa die Art seiner Dienst- oder Berufsausübung, beziehen. Auch hier gelten die vorangegangenen rechtlichen Ausführungen. Auch war dies keine erlaubte Kritik an der Institution Polizei, angesichts der konkreten Situation stand vielmehr die Diffamierung der vor ihm stehenden Person im Vordergrund.

Auch hier gilt, dass die erhobene Kritik mit den ehrverletzenden Worten im Rahmen der gebotenen Güterabwägung und der Ausübung des Amtes nicht hinnehmbar war. Die Grenze zur Ausübung der Meinungsfreiheit ist auch in diesem Fall bei Weitem überschritten. Die ehrverletzenden Äußerungen stellen eine Herabsetzung des Amtsträgers auf der untersten sittlichen Stufe dar. Gerade im Bereich der Tätigkeit der Ordnungsbehörden ist die Verwendung dieser Begriffe, die dem Polizeibeamten ein menschenverachtendes und verfassungswidriges Verhalten vorwerfen, als eine nicht zu rechtfertigende Ehrverletzung zu werten.

V.

Für die ersten beiden Fälle war der Strafrahmen dem § 240 Abs. 1 StGB zu entnehmen, der Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vorsieht; für die Beleidigung zum Nachteil des Zeugen F war der Strafrahmen dem § 185 StGB zu entnehmen, der Geldstrafe oder Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr vorsieht. Die Kammer hat jeweils vorab geprüft, ob dieser Strafrahmen gemäß § 17 S. 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB zu mildern war, dies im Ergebnis allerdings insbesondere deshalb verneint, weil der Angeklagte bereits zuvor durch einen Strafrichter im Rahmen einer Hauptverhandlung darauf hingewiesen worden ist, dass regelmäßig aufgrund der Wahrnehmung von akustischen Signalen bei Teilnahme am Straßenverkehr durch eine Privatperson keine Zwangsmaßnahmen gegenüber dem Verkehrsteilnehmer, von dem das Signal ausgegangen ist, angezeigt oder gar gerechtfertigt sind. In gleicher Weise ist die Argumentation des Angeklagten, er könne wegen allgemeinem Ärger gegenüber einer Ordnungsbehörde einer größeren Stadt – der Polizei in Münster – im Anschluss an das Eintreffen eines einzelnen Polizeibeamten diesen unmittelbar beleidigen, was aus seiner Sicht über Artikel 5 GG gerechtfertigt sei, derart abwegig, dass auch hier eine Milderung ausschied.

Zu Gunsten und zu Lasten des Angeklagten hat die Kammer im Wesentlichen die folgenden Gesichtspunkte berücksichtigt:

Der Angeklagte hat sich durchgängig geständig im Sinne der Feststellungen eingelassen; es ist weiter berücksichtigt worden, dass er in beiden Fällen der Nötigung in gewisser Weise von den Zeugen L und E provoziert wurde. So hatte der Angeklagte selbstverständlich das Recht, als Fahrradfahrer die von-Vincke-Straße zu nutzen und muss sich nicht allgemein auf die Nutzung von Fahrradwegen beschränken, soweit an einzelnen Straßen solche nicht vorhanden sind. Auch der Zeuge E hat sich durch Überfahren der durchgezogenen Linie verkehrsordnungswidrig verhalten, was den Angeklagten provoziert haben mag. Insbesondere wegen dieses verkehrsordnungswidrigen Verhaltens des Zeugen E war der Schuldgehalt dieser Tat, obschon zeitgleich auch eine Beleidigung verwirklicht wurde, auch aus Sicht der Kammer nicht höher einzustufen als bei der Tat zum Nachteil des Zeugen L1.

Zu Lasten des Angeklagten musste seine einschlägige Vorverurteilung Berücksichtigung finden und auch, dass er in zwei Fällen für nicht nur recht kurze Zeit, sondern immerhin für jeweils gut 20 Minuten, für beträchtliche Verkehrsbehinderungen verantwortlich war.

Insgesamt hielt die Kammer, ebenso wie das Amtsgericht, Einzelstrafen von 40, 40 und 20 Tagessätzen für tat- und schuldangemessen und hat, ebenso wie das Amtsgericht, hieraus auf eine

Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen

erkannt, dessen Tagessatzhöhe entsprechend der wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten zutreffend mit 25 Euro bemessen wurde.

Bei der Gesamtstrafe ist in Ergänzung zu den o.g. Umständen noch berücksichtigt worden, dass der Angeklagte innerhalb doch recht kurzer Zeit von weniger als zwei Monaten drei Straftaten in vergleichbarem Zusammenhang verwirklicht hat, die ihrerseits auf der identischen Linie lagen wie die einschlägige Vorverurteilung.

VI.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.