Bernd Schwabe in Hannover, Wikimedia Commons

Der Betroffene hatte einen verkehrsberuhigten Bereich mit einer Geschwindigkeit von 42 km/h befahren. Das AG meinte, die dort geltende Schrittgeschwindigkeit betrage maximal 15 km/h, danach sei von einer Überschreitung um 27 km/h auszugehen. Das OLG Naumburg hingegen sieht maximal 10 km/h als Schrittgeschwindigkeit an, wobei es nicht auf die jeweiligen örtlichen Gegebenheiten ankomme. Höhere Geschwindigkeiten könnten bei Fußgängern nicht mehr als Gehen oder Schreiten, sondern bereits als Laufen angesehen werden. Der Wert von 10 km/h sei am Autotacho feststellbar und werde bei normalen Stadgas nicht überschritten. Auch fahrtüchtige Radfahrer würden bei dieser Geschwindigkeit nicht zu schwanken beginnen (OLG Naumburg, Beschluss vom 21.03.2017 – 2 Ws 45/17).

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Halle wird das Urteil des Amtsgerichts Weißenfels vom 5. Dezember 2016 aufgehoben, jedoch bleiben die Feststellungen zur Fahrereigenschaft und zur gefahrenen Geschwindigkeit bestehen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an die bisher zuständige Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der durch Verkehrszeichen angeordneten Höchstgeschwindigkeit zur Geldbuße von 150 € verurteilt.

Es hat festgestellt: Der Betroffene führte am 7. November 2015 nachmittags einen PKW in W., in der N. Straße, Fahrtrichtung S. Straße, mit einer Geschwindigkeit von mindestens 42 km/h. Die N. Straße ist ein verkehrsberuhigter Bereich, durch Zeichen 325.1 ist angeordnet, dass Fahrzeugführer nur mit Schrittgeschwindigkeit fahren dürfen.

Zum Rechtsfolgenausspruch hat das Amtsgericht ausgeführt: Im konkreten Fall handele es sich um eine verhältnismäßig breite Straße, wo zumindestens zwei Fahrzeuge, auch LKW, aneinander vorbei fahren könnten und dürften. Die Straße sei kerzengerade und gut einzusehen. Angesichts dieser Umstände sei eine Geschwindigkeit von 15 km/h ungefährlich und geeignet, Unfälle mit Sicherheit zu vermeiden. Aus diesem Grunde betrage die Schrittgeschwindigkeit hier maximal 15 km/h, diese habe der Betroffene um 27 km/h überschritten, sodass die Regelsanktion (Nr. 11.3.5 BKat) eine Geldbuße von 100 € sei. Wegen der Voreintragung habe das Gericht diese auf 150 € erhöht.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, mit der die Sachrüge erhoben wird. Die Staatsanwaltschaft vertritt die Auffassung, dass eine Geschwindigkeit von 15 km/h nicht als Schrittgeschwindigkeit angesehen werden könne. Schrittgeschwindigkeit betrage höchstens 11 km/h, diese habe der Betroffene um 31 km/h überschritten, weshalb das Gericht von einer Regelgeldbuße in Höhe von 160 € und von einem Regelfahrverbot von einem Monat (Nr. 11.3.6 BKat) hätte ausgehen müssen.

II.

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

Der Senat teilt die Auffassung des Amtsgerichts, Schrittgeschwindigkeit sei angesichts der örtlichen Gegebenheiten hier eine solche von bis zu 15 km/h, nicht. Eine Geschwindigkeit von mehr als 10 km/h kann nach dem Wortsinn nicht mehr als Schrittgeschwindigkeit angesehen werden. Der Begriff “Schrittgeschwindigkeit” kann auch nicht je nach den örtlichen Gegebenheiten oder dem Grad der Gefährdung unterschiedliche Geschwindigkeiten bezeichnen. Wäre solches vom Gesetzgeber beabsichtigt gewesen, hätte er nicht den Begriff Schrittgeschwindigkeit gewählt, sondern etwa die “den Umständen entsprechend ungefährliche Geschwindigkeit” angeordnet.

Nach der Rechtsprechung gilt teilweise eine Geschwindigkeit von 4 bis zu 7 km/h als Schrittgeschwindigkeit (Brandenburgisches OLG, DAR 2005, 570; OLG Düsseldorf NZV 1993, 158; OLG Köln VRS 68, 382), das OLG Hamm nennt eine Spanne von 4 bis 10 km/h (VRS 6, 222). Das Amtsgericht Leipzig (DAR 2005, 703) hält eine Geschwindigkeit von 15 km/h noch für Schrittgeschwindigkeit. Zur Begründung führt es im Anschluss an Hentschel u. a. (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, RdNr. 181 zu § 42 StVO) aus, dass eine bestimmte Geschwindigkeit zwischen 4 und 10 km/h nicht als Grenzwert in Betracht komme, denn eine solche wäre mittels Tacho nicht zuverlässig messbar, außerdem würden Radfahrer, die Fußgängergeschwindigkeit fahren, unsicher werden und zu schwanken beginnen. Der Senat ist der Auffassung, dass das höchste vom Oberlandesgericht Hamm als Schrittgeschwindigkeit bezeichnete Tempo von 10 km/h gerade noch als solche angesehen werden kann. Wer sich noch schneller fortbewegt, geht bzw. schreitet nicht, sondern läuft. Mit dem vom Amtsgericht zu Grunde gelegten Tempo von 15 km/h wäre etwa ein Teilnehmer des Berlin Marathon 2016 mit einer Zeit von ca. 2 Stunden und 50 Minuten unter den besten 4 % der 35.999 Läufer, die das Ziel erreicht haben, gelandet. Eine solche Geschwindigkeit lässt sich nicht mehr als Schrittgeschwindigkeit definieren.

Mit einer Höchstgrenze von 10 km/h ist auch den Hinweisen von Hentschel u. a. hinreichend Rechnung getragen. Eine Überschreitung von 10 km/h lässt sich am Autotacho feststellen, auch kann jeder Autofahrer dieses Tempo problemlos einhalten, wenn das Standgas nicht zu hoch eingestellt ist. Soweit Radfahrer bei einer Geschwindigkeit von 10 km/h unsicher werden und zu schwanken beginnen, sind sie volltrunken und müssen ihr Fahrrad deshalb schon zur Vermeidung einer Strafbarkeit nach § 316 StGB schieben.