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Beim Messsystem Leivtec XV3 zeigte sich 2015, dass bundesweit in vielen Fällen Kabel zur Verbindung von Rechner- und Bedieneinheit verwendet worden sind, deren Länge die Vorgabe der PTB-Bauartzulassung verletzt. Das führte bei einigen Gerichten – z. B. beim AG Zeitz oder AG Tiergarten – zur Annahme eines höheren Toleranzwerters als üblich. Im Saarland erging eine Weisung des Innenministeriums, dass entsprechende Bußgeldverfahren einzustellen sind. Der Betroffene wurde jedoch vom AG Saarlouis wegen eines Geschwindigkeitsverstoßes, dem eine Messung mit XV3-Messgerät mit einem – möglicherweise – zu langen Kabel zugrunde lag, verurteilt. Der Verteidiger beantragte die Zulassung der Rechtsbeschwerde und regte eine Einstellung des Verfahrens an. Entsprechend werde auch beim AG Saarbrücken und beim AG Völklingen verfahren. Das Rechtsmittel wurde verworfen: Selbst bei unterstelltem Verwenden eines zu langen Kabels lägen keine Anhaltspunkte für ein unrichtiges Messergebnis vor. Eine vom Gerätehersteller veranlasste Überprüfung, auf die in einem Schreiben der PTB vom 22.05.2015 hingewiesen werde, habe ergeben, dass das Messgerät dennoch die maßgeblichen Fehlergrenzen einhält (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 20.10.2015, Az. Ss (RS) 22/2015 (40/15 OWi)).

Der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Saarlouis vom 21. Mai 2015 wird kostenpflichtig als unbegründet

v e r w o r f e n.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerorts um 26 km/h eine Geldbuße in Höhe von 100,– € festgesetzt.

Gegen das in der Hauptverhandlung vom 21. Mai 2015 in Abwesenheit des Betroffenen und seines Verteidigers verkündete, dem Verteidiger am 19.06.2015 zugestellte Urteil hat der Betroffene mit am 22.06.2015 beim Amtsgericht eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers vom selben Tag die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt und diesen Antrag sowie die Rechtsbeschwerde mit am 27.07.2015, einem Montag, beim Amtsgericht eingegangenen Schriftsätzen seines Verteidigers vom selben Tag mit der unausgeführten Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet.

Zugleich hat er die Einstellung des Verfahrens nach § 47 Abs. 2 OWiG mit der mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 29. September 2015 weiter ausgeführten Begründung angeregt, die Zentrale Bußgeldbehörde des Landesverwaltungsamtes des Saarlandes habe in den letzten Wochen eine große Anzahl von Bußgeldverfahren, in denen das auch im vorliegenden Fall zum Einsatz gekommene Infrarot-Geschwindigkeitsmessgerät LEIVTEC XV 3 verwendet worden sei, nach einer Mitteilung der Herstellerfirma an alle Bußgeldbehörden und Polizeidienststellen, dass durch zahlreiche Gemeinden eine Kabellänge zum Einsatz gekommen sei, die keine ordnungsgemäße Messung gewährleiste, ohne dass dies von der Polizei oder dem Messgerät bemerkt worden sei, eingestellt und in der Folge seien in jeweils einem Fall auch entsprechende Einstellungsbeschlüsse durch die Amtsgerichte Saarbrücken und Völklingen ergangen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Zulassungsantrag als unbegründet zu verwerfen. Der beantragten Verfahrenseinstellung ist sie entgegengetreten. Die diesbezügliche Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 11. September 2015 ist dem Verteidiger von dort aus übersandt worden.
II.

1. Der form- und fristgerecht eingelegte sowie begründete Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde (§§ 80 Abs. 3 S. 1 und 3, 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, 341, 344, 345 StPO) bleibt in der Sache ohne Erfolg, da die Überprüfung des angefochtenen Urteils keinen Zulassungsgrund erkennen lässt.

a) Wegen der Anwendung von Rechtsnormen über das Verfahren sowie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 OWiG) ist die Zulassung der Rechtsbeschwerde im vorliegenden Fall bereits gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG ausgeschlossen, da lediglich eine Geldbuße von nicht mehr als 100,– € verhängt worden ist. Der Zulassungsgrund der Versagung rechtlichen Gehörs (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG) liegt nicht vor, da er – was mit der Verfahrensrüge hätte geschehen müssen – nicht geltend gemacht worden ist (vgl. Senatsbeschluss vom 17.04.2015 – Ss (Z) 3/2015 (6/15 OWi) -).

b) Auch eine Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung materiellen Rechts (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1, Abs. 2 Nr. 1 OWiG) kommt nicht in Betracht.

aa) Der Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts kommt nur bei Rechtsfragen in Betracht, die entscheidungserheblich, klärungsbedürftig und als abstraktionsfähige (durch Aufstellen von abstrakt generellen Leitsätzen) Regeln von praktischer Bedeutung sind (vgl. Göhler/Seitz, OWiG, 16. Aufl., § 80 Rn. 3). Er ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht gegeben, wenn die sich stellenden Rechtsfragen in der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Wesentlichen geklärt sind oder die Beurteilung des festgestellten Sachverhalts in rechtlicher Hinsicht entscheidend von den konkreten Gestaltungen des Einzelfalls abhängt (z.B. Senatsbeschlüsse vom 10.02.2010 – Ss (Z) 204/10 [18/10] -, 04.04.11 – Ss (Z) 204/11 [13/11] -, vom 05.05.11 – Ss (Z) 212/11 [46/11] -, vom 12.12.2011 – Ss (Z) 244/11 [148/11] -, vom 06.03.13 – Ss (Z) 203/13 [8/13] -, vom 16.10.2013 – Ss (Z) 235/13 [78/13] -, vom 18.2.2014 – Ss (Z) 206/2014 [12/14 OWi] -, vom 02.05.2014 – Ss (Z) 209/2014 [27/14 OWi] – und vom 22.07.2014 – Ss (Z) 217/2014 [38/14 OWi] -). Selbst eine falsche Entscheidung im Einzelfall rechtfertigt für sich allein die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts nicht, weil die Vorschrift nicht der Einzelfallgerechtigkeit dient (vgl. vorgenannte Senatsbeschlüsse sowie Beschlüsse des Senats vom 28.02.2007 – Ss (Z) 204/07 [10/07] -, 21.01.2008 – Ss (Z) 203/08 [6/08] – und 17.01.2011 – Ss (Z) 202/11 [4/11] -). Daneben muss die Nachprüfung i.S. eines Sich-Aufdrängens „geboten“ sein, die Zulassung zur Überprüfung der Anwendung des Rechts also nicht etwa nur nahe liegen, vertretbar, sinnvoll oder wünschenswert sein (Göhler/Seitz, a. a. O., § 80 Rn. 15; KK OWiG-Senge, 4. Aufl., § 80 Rn. 39); selbst wenn zu einer bestimmten Sachverhaltskonstellation bisher keine obergerichtliche Entscheidung veröffentlicht ist, gebietet dies die Zulassung der Rechtsbeschwerde ebenfalls nicht (z.B. Senatsbeschlüsse vom 04.04.11 – Ss (Z) 204/11 [13/11] -, vom 05.05.11 – Ss (Z) 212/11 [46/11] -, vom 12.12.2011 – Ss (Z) 244/11 [148/11] -, vom 06.03.13 – Ss (Z) 203/13 [8/13] -, vom 16.10.2013 – Ss (Z) 235/13 [78/13] -, vom 18.2.2014 – Ss (Z) 206/2014 [12/14 OWi] -, vom 02.05.2014 – Ss (Z) 209/2014 [27/14 OWi] – und vom 22.07.2014 – Ss (Z) 217/2014 [38/14 OWi] -).

bb) Gemessen hieran sind keine Rechtsfragen aufgeworfen, die die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des materiellen Rechts erforderlich erscheinen lassen. Vielmehr sind die im vorliegenden Fall entscheidungserheblichen Rechtsfragen, insbesondere die Frage der Darstellungsanforderungen an ein tatrichterliches Bußgeldurteil in den Fällen der Verurteilung wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung, die mit Hilfe eines standardisierten Messverfahrens festgestellt worden ist, in der Rechtsprechung – auch derjenigen des Senats – sowie in der Literatur bereits ausgetragen. Danach handelt es sich bei dem vorliegend verwendeten Messverfahren mit dem Infrarot-Geschwindigkeitsmessgerät LEIVTEC XV3 um ein standardisiertes Messverfahren (vgl. Senatsbeschlüsse vom 14. August 2012 – Ss (Z) 236/2012 [62/12 OWi] -, vom 5. November 2012 – Ss (B) 106/2012 [80/12 OWi] – und vom 20. Juli 2015 – Ss (RS) 10/2015 [22/15 OWi] -; König in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., § 3 StVO Rn 61) mit den sich daraus ergebenden weniger strengen Anforderungen an die Darstellung in den Urteilsgründen. Bei einer Verurteilung wegen eines Geschwindigkeitsverstoßes, die sich auf das Ergebnis eines standardisierten Messverfahrens stützt, genügt es in der Regel – soweit sich keine Anhaltspunkte für konkrete Messfehler ergeben haben –, neben der Wiedergabe der als erwiesen erachteten Geschwindigkeit lediglich das angewandte Messverfahren und den berücksichtigten Toleranzwert in den Urteilsgründen mitzuteilen, um dem Rechtsbeschwerdegericht die Kontrolle der Beweiswürdigung zu ermöglichen (vgl. BGHSt 39, 291, 303; st. Rspr. des Senats, nur Beschlüsse vom 8. August 2013 – Ss (B) 48/2012 [37/12 OWi] – m.w.N., vom 8. November 2013 – Ss (B) 88/2013 [71/13 OWi] – und vom 20. Juli 2015 – Ss (RS) 10/2015 [22/15 OWi] -; König, a. a. O., § 3 StVO Rn. 56b). Die Anforderungen an die Darstellung der tatrichterlichen Überzeugungsbildung im Bußgeldurteil sind in dieser Weise eingeschränkt, so dass es – soweit nicht konkrete Messfehler von dem Betroffenen behauptet werden oder sonst Anhaltspunkte hierfür ersichtlich sind – keiner weitergehenden Mitteilung wie beispielsweise des verwendeten Gerätetyps und der Einhaltung der zugehörigen Betriebsvorschriften in den Urteilsgründen bedarf (vgl. BGHSt 39, 291, 301, 303; Senatsbeschlüsse vom 8. November 2013 – Ss (B) 88/2013 [71/13 OWi] – und vom 20. Juli 2015 – Ss (RS) 10/2015 [22/15 OWi] -).

2. Das Verfahren ist auch nicht entsprechend der Anregung des Verteidigers gemäß § 47 Abs. 2 OWiG einzustellen. Zwar ist eine solche Einstellung nach einem – wie hier –  form- und fristgerecht gestellten Zulassungsantrag auch im Zulassungsverfahren möglich (vgl. Göhler/Seitz, a. a. O., § 47 Rn. 41; Senatsbeschlüsse vom 18. September 2009 – Ss (Z) 218/2009 [94/09] – und vom 31. März 2014 – Ss (Z) 237/2011 [127/11] -, jeweils m. w. N.) und ist die hierzu nach § 47 Abs. 2 Satz 1 OWiG grundsätzlich erforderliche Zustimmung der Staatsanwaltschaft im vorliegenden Fall gemäß § 47 Abs. 2 Satz 2 OWiG entbehrlich, da lediglich eine Geldbuße in Höhe von 100,– € verhängt worden ist und die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 10. Februar 2015 (Bl. 28 d. A.) erklärt hat, sie nehme an der Hauptverhandlung nicht teil. Der Senat hält jedoch eine Ahndung der Ordnungswidrigkeit auch unter Berücksichtigung der von dem Verteidiger mit Schriftsatz vom 29. September 2015 vorgelegten Mitteilung der Zentralen Bußgeldbehörde des Landesverwaltungsamtes des Saarlandes vom 18. September 2015, deren Sachbearbeiter seien am 1. Juli 2015 „aufgrund des bekannten Sachverhaltes“ angewiesen worden, alle „laufenden“, nicht durch Bußgeldbescheid abgeschlossenen Verfahren einzustellen, sowie der daraufhin in jeweils einem Fall ergangenen Einstellungsbeschlüsse der Amtsgerichte Saarbrücken und Völklingen für geboten. Denn weder aus den Gründen des angefochtenen Urteils noch aus den nach dem Erlass des erstinstanzlichen Urteils bekannt gewordenen Umständen ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass das zum Einsatz gekommene Geschwindigkeitsmessgerät im vorliegenden Fall ein unzutreffendes Ergebnis geliefert haben könnte. Es fehlt schon an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass bei der im vorliegenden Fall durchgeführten Geschwindigkeitsmessung überhaupt ein nicht der Bauartzulassung entsprechendes Verbindungskabel zwischen der Rechnereinheit und dem Bedien-Funkempfänger von mehr als drei Meter Länge verwendet wurde und deshalb entgegen der in dem angefochtenen Urteil getroffenen Feststellung nicht von einem standardisierten Messverfahren auszugehen ist. Es steht daher entgegen der anders lautenden Behauptung des Verteidigers nicht fest, dass ein nicht zugelassenes Messverfahren eingesetzt wurde. Selbst wenn dies aber der Fall gewesen, also ein Verbindungskabel von mehr als drei Meter Länge verwendet worden wäre, wäre dies – wie sich aus dem von der Generalstaatsanwaltschaft vorgelegten, an die Geräteherstellerin gerichteten Schreiben der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt vom 22. Mai 2015 ergibt –  auf das Messergebnis ohne Einfluss geblieben. Danach hat die auf Veranlassung der Herstellerin in einem akkreditierten Prüflabor durchgeführte Überprüfung  ergeben, dass „auch unter diesen Bedingungen die korrekte Gerätefunktion (Einhaltung der gesetzlich geforderten Fehlergrenzen) sichergestellt ist.“ Unter diesen Umständen ist es nicht geboten, das Verfahren entsprechend der Praxis der Zentralen Bußgeldbehörde auch im Zulassungsverfahren einzustellen.

3. Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde war daher mit der Kostenfolge aus §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 S. 1 StPO als unbegründet zu verwerfen.