Ein Bußgeldbescheid hat u. a. die Funktion, die vorgeworfene Ordnungswidrigkeit von anderen denkbaren Tatvorwürfen abzugrenzen. Daher muss er diese Tat hinreichend genau bezeichnen. Diese Grundsätze sah das OLG Jena in einem Fall verletzt, in dem dem Betroffenen – einem Lkw-Fahrer – ein Verstoß gegen eine Ausnahmegenehmigung vorgeworfen wurde. Der Bußgeldbescheid enthielt außer “Fahrzeit und Brückenauflagen nicht eingehalten” keine weiteren Angaben hinsichtlich der genauen Auflagen. Diese Angaben sei so ungenau, dass auch nicht – ausnahmsweise – auf den restlichen Akteninhalt zurückgegriffen werden könne, um den Vorwurf weiter einzugrenzen. Außerdem könne der Betroffene nicht erkennen, auf welche Tat er seine Verteidigung ausrichten muss. Dies stelle eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar, mit der Folge, dass trotz der Geldbuße von 60 EUR das Verfahren eingestellt wurde (OLG Jena, Beschluss vom 18.04.2016, Az. 1 OLG 121 SsRs 6/16).

1. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
2. Das Urteil des Amtsgerichts Heilbad Heiligenstadt vom 14.10.2015 wird aufgehoben.
3. Das Verfahren wird eingestellt.
4. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:

I.

Mit Bußgeldbescheid vom 19.02.2015 verhängte die Thüringer Polizei – Zentrale Bußgeldstelle in Artern – gegen den Betroffenen wegen des Vorwurfs, er habe als Fahrer des Lkw mit dem amtlichen Kennzeichen: … am … von … Uhr bis … Uhr, in Kirchworbis, BAB 38, RF Leipzig, km 43,5, eine vollziehbare Auflage einer Ausnahmegenehmigung  oder Erlaubnis nicht befolgt, indem er  Fahrzeit und Brückenauflagen nicht eingehalten habe, eine Geldbuße in Höhe von 60,00 EUR.

Auf den hiergegen form- und fristgerecht eingelegten Einspruch des Betroffenen verhängte das Amtsgericht Heilbad Heiligenstadt mit Urteil vom 14.10.2015 gegen ihn wegen einer fahrlässig begangenen Ordnungswidrigkeit – Nichtbefolgen einer vollziehbaren Auflage einer Ausnahmegenehmigung  oder Erlaubnis – Fahrzeug (richtig: Fahrzeit) und Brückenauflage nicht eingehalten – nach §§ 46 Abs. 3, 49 StVO, 24 StVG, 166 BKat eine Geldbuße in Höhe von 60,00 EUR.

Am 21.10.2015 beantragte der Betroffene, die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil vom 14.10.2015 zuzulassen.

Nach Zustellung des schriftlichen Urteils am 16.11.2015 begründete er am 16.12.2015 den Zulassungsantrag mit der Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs und die Rechtsbeschwerde mit der Verletzung sowohl formellen wie materiellen Rechts.
In ihrer Zuschrift an den Senat vom 27.01.2016 hat die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zu verwerfen.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt worden. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, weil dem Betroffenen rechtliches Gehör versagt worden ist. Das Urteil ist aufzuheben und das Bußgeldverfahren nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 206a Abs. 1 StPO einzustellen, weil ein Verfahrenshindernis besteht; es fehlt an der Verfahrensvoraussetzung eines wirksamen Bußgeldbescheides.

1. Da gegen den Betroffenen eine Geldbuße von nicht mehr als 100,00 EUR festgesetzt worden ist, kann die Rechtsbeschwerde nur zugelassen werden, wenn es geboten ist, die Nachprüfung des angefochtenen Urteils zur Fortbildung des materiellen Rechts zu ermöglichen (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 i.V.m. § 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG) oder das Urteil wegen Versagung rechtlichen Gehörs aufzuheben (§§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG).

Letztgenannter Zulassungsgrund liegt nach den den Erfordernissen des § 344 Abs. 2 StPO i.V.m. §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 OWiG genügenden Ausführungen der Rechtsbeschwerdebegründung vor. Nach dem Sinn der Regelung ist die Zulassungsvoraussetzung „Versagung des rechtlichen Gehörs“ nach den Abgrenzungsmerkmalen zu bestimmen, die für das Grundrecht des rechtlichen Gehörs im Sinne von Art. 103 Abs.1 GG maßgebend sind (vgl. Göhler, OWiG, 15. Aufl., § 80 Rdnr.16a m.w.N.), d. h. dass einerseits die Grenzen des rechtlichen Gehörs weiter gesteckt sein können, als sie durch die Regel des Prozessrechts abgesteckt sind, und dass andererseits eine Verletzung von Prozessregeln, die unter dem Gesichtspunkt des rechtlichen Gehörs statuiert sind, nicht stets einer Versagung des rechtlichen Gehörs im Sinne von Art. 103 Abs. 1 GG und damit von § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG darstellen (vgl. Göhler, a.a.O., m.w.N.). Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist daher (nur) dann verletzt, wenn dem Betroffenen keine Möglichkeit eingeräumt wird, sich zu allen entscheidungserheblichen und ihm nachteiligen Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern (vgl. Göhler, a.a.O. m.w.N.).

Dies setzt voraus, dass der Bußgeldbescheid die Tat, die dem Betroffenen zur Last gelegt wird, sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau bezeichnet, dass der Betroffene erkennen kann, welches Tun oder Unterlassen den Gegenstand des Verfahrens bildet, gegen welchen Vorwurf er daher seine (mögliche) Verteidigung richten muss (vgl. Göhler, a.a.O., § 66 Rdnr.12 m.w.N.). Anzugeben ist, was sich tatsächlich ereignet hat, und zwar so, dass dadurch die tatsächlichen Merkmale des Bußgeldtatbestandes konkret hervortreten (vgl. Göhler, a.a.O., § 66 Rdnr.13a). Diesen in § 66 Abs. 1 Nr. 3 OWiG normierten Anforderungen genügt der Bußgeldbescheid nicht. Zur Bezeichnung der Tat beschränkt er sich auf folgende Angaben:

„Feststellungsort: 37339 Kirchworbis, BAB 38, RF Leipzig, km 43,5
Feststellungstag: …, von … Uhr bis …Uhr  Fahrzeugart: LKW amtl. Kennzeichen: …
Sie befolgten eine vollziehbare Auflage einer Ausnahmegenehmigung oder Erlaubnis nicht. Fahrzeit und Brückenauflagen nicht eingehalten.
§ 46 Abs. 3, § 49 StVO, § 24 StVG, 166 BKat“

Damit stellt der Bußgeldbescheid schon nicht dar, welchen konkreten Inhalt die Auflage „Fahrzeit“ und die „Brückenauflagen“ hatten und konkretisiert demzufolge auch nicht, wodurch der Betroffene gegen die Auflagen verstoßen hat. Die Tat, die dem Betroffenen zur Last gelegt wird, ist damit nicht so bezeichnet  dass der Betroffene erkennen kann, welches Tun oder Unterlassen den Gegenstand des Verfahrens bildet, gegen welchen Vorwurf er daher seine (mögliche) Verteidigung richten muss (vgl. Göhler, a.a.O., § 66 Rdnr.12 m.w.N.). Dieser Verstoß gegen den Anspruch des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs rechtfertigt die Zulassung der Rechtsbeschwerde.

2. Zugleich genügt der Bußgeldbescheid damit nicht den Anforderungen, die an ihn als Verfahrensvoraussetzung zu stellen sind, und ist deshalb nicht geeignet, Grundlage des gerichtlichen Bußgeldverfahrens zu sein. Nur mit im oben genannten Sinne ausreichend konkretisierten Angaben zum Tatvorwurf erfüllt der Bußgeldbescheid, der insoweit den Anforderungen an die Anklageschrift (§ 200 Abs. 1 Abs. 1 Satz 1 StPO) und an den Strafbefehl (§ 409 Abs. 1 Nr.3 StPO) nachgebildet ist, seine Aufgabe, den Tatvorwurf von anderen denkbaren Tatvorwürfen abzugrenzen und zweifelsfrei festzustellen, welcher geschichtliche Lebensvorgang erfasst und geahndet werden soll (vgl. BGHSt 23, 336, 340).

Zwar ist es nach herrschender Ansicht nicht erforderlich, dass sich allein aus dem Inhalt des Bußgeldbescheides die dem Betroffenen zur Last gelegte Handlung eindeutig entnehmen lässt. Vielmehr soll zur Klärung des Tatvorwurfs der Akteninhalt herangezogen werden können (vgl. Göhler, a.a.O., § 66 Rdnr.39a m.w.N.). Ob der herrschenden Ansicht zu folgen ist, bedarf indes keiner Entscheidung. Denn jedenfalls könnte der Akteninhalt zur Konkretisierung des Tatvorwurfs lediglich ergänzend herangezogen werden (vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 27.04.1995, Az. 1 Ss (B) 74/94, bei juris). Dagegen würde das Erfordernis der abgrenzenden Funktion des Bußgeldbescheides letztlich aufgegeben, wenn er auch in solchen Fällen als Verfahrensgrundlage ausreichen würde, in denen der Tatvorwurf, wie es hier erforderlich wäre, in nahezu allen wesentlichen Punkten nachträglich aus der Akte rekonstruiert werden muss.

Ein Rückgriff auf den Akteninhalt in diesem Umfang ist daher zur Konkretisierung des Akteninhalts nicht mehr möglich (vgl. OLG Naumburg, a.a.O. m.w.N.). Der Bußgeldbescheid vom 19.02.2015 ist daher keine ausreichende Verfahrensgrundlage. Mängel in dieser Hinsicht lassen sich auch nicht nachträglich – etwa durch Hinweise in der Hauptverhandlung – „heilen“. Der Bußgeldbescheid wird rechtskräftig, wenn er nicht angefochten wird, und muss deshalb auch selbst die für seine Wirksamkeit notwendigen Voraussetzungen erfüllen (vgl. OLG Düsseldorf, VRS Bd. 95/98, 40 f., m.w.N.).

3. Der danach (jedenfalls zur Klarstellung) gebotenen Aufhebung des Urteils und Einstellung des Verfahrens – Verfahrenshindernisse sind in jeder Lage des Verfahrens, also auch im Rechtsbeschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfen – steht § 80 Abs. 5 OWiG nicht entgegen. Denn nach der hier erfolgten Zulassung der Rechtsbeschwerde muss auch ein Verfahrenshindernis, das – wie hier – nicht erst nach Erlass des Urteils eingetreten ist, beachtet werden, so dass dann das Verfahren mit der Einstellung zu enden hat (vgl. Göhler, a.a.O., § 80 Rdnr. 23 m.w.N.).

4. Die Kostenentscheidung hat ihre Grundlage in §§ 46 Abs. 1 OWiG, 467 Abs. 1 StPO.