Der Angeklagte fuhr mit seinem Pkw auf ein vorausfahrendes Fahrzeug, das verkehrsbedingt anhalten musste, auf. Drei Insassen dieses Fahrzeugs wurden dabei verletzt. Die Lebensgefährtin des Angeklagten war “intern” verpflichtet, die Beiträge zur Haftpflichtversicherung zu bezahlen, hat dies aber bereits seit Monaten zuvor unterlassen, sodass der Versicherungsvertrag gekündigt wurde, was dem Angeklagten nicht bekannt war, aber “bei besserer Kommunikation” hätte bekannt sein können. Durch Versäumnisurteil wurde der Angeklagte zur Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld verurteilt. In seinem Strafverfahren wegen fahrlässigen Gebrauchs eines nicht haftpflichtversicherten Fahrzeugs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung in 3 Fällen stellte das AG Eilenburg zur finanziellen Situation fest, dass er ein Einkommen von netto 1.500 € hat, der Lohnpfändung in Höhe von 200 € unterliegt und Kindesunterhalt in Höhe von 200 € zahlt. Es hat den Angeklagten verwarnt und die Verurteilung zu einer Geldstrafe vorbehalten, da eine unbedingte Geldstrafe den Geschädigten die Möglichkeit nehmen würde, ihre zivilrechtlichen Ansprüche gegen den Angeklagten durchzusetzen (AG Eilenburg, Urteil vom 16.06.2015, Az. 8 Cs 818 Js 61559/14).

Der Angeklagte war wegen dieser Straftat nach § 59 StGB zu verwarnen. Die Verurteilung zu einer tat- und schuldangemessenen Geldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen zu je 30,00 € war vorzubehalten. Die Bewährungszeit war auf 13 Monate festzusetzen. Beginnend im Juli 2015 hat der Angeklagte auf das Konto der Geschädigten jeweils zum 20. eines Monats monatlich 100,00 € einzuzahlen, insgesamt 12 Monate lang. Diese Zahlungen sind auf die durch Urteil des Landgerichts Leipzig vom 12.01.2015 titulierte Schmerzensgeldforderung anzurechnen.

Die gewählte Rechtsfolge, nämlich der Ausspruch einer Verwarnung mit Strafvorbehalt, war nach Auffassung des Gerichts von Verfassungs wegen geboten. Dies folgt einerseits aus dem das Strafrecht im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes beherrschenden ultima-ratio-Prinzps, andererseits aus der dem Rechtsgüterschutz dienenden Funktion, die auch und gerade dem Strafrecht zukommt.

Der Straftatbestand des Verstoßes gegen das Haftpflichtversicherungsgesetz dient dazu zu gewährleisten, dass im Falle eines Verkehrsunfalls der entstandene Fremdschaden finanziell ausgeglichen wird. Er ist darauf ausgerichtet, die finanzielle Entschädigung der Geschädigten zu gewährleisten. Auch die Strafbarkeit der fahrlässigen Körperverletzung ist, da das Verhaltensunrecht nur in Kombination mit dem eingetretenen Verletzungserfolg die Strafbarkeit begründet, zwar auch auf Beachtung der jeweils erforderlichen Sorgfalt, letztendlich aber auf die Vermeidung eines Schadenseintritts gerichtet.

Der Ausspruch einer unbedingten Geldstrafe führte insofern zu einem sachwidrigen Ergebnis, als den Geschädigten die Möglichkeiten der Befriedigung ihrer berechtigten Schadensersatzansprüche durch die vorrangige Bedienung des staatlichen Strafanspruchs genommen würde. Dieser Eingriff des Staates in die berechtigten Interessen der Geschädigten bedürfe einer Rechtfertigung auch gegenüber den mittelbar hiervon Betroffenen, also den Geschädigten. Dies gilt umso mehr, wenn Einkommen und Vermögen des Schadensverursachers im Bereich der Pfändungsfreigrenze liegen. Dann bereicherte sich der Staat zulasten derjenigen, die zu schützen er vorgäbe.

Von den drei Funktionen des Strafrechts, dem Risikomanagement, der Konfliktlösung und der kontrafaktischen Bestätigung der verletzten Norm(en) könnte nur der Aspekt des Risikomanagements als der gegenüber der Konfliktlösung vorrangigen Funktion deren Nichtbefriedigung rechtfertigen. Da vorliegend nicht ersichtlich ist, dass von dem Angeklagten eine Gefahr weiteren erheblichen strafbaren Verhaltens ausgeht, und weil der Angeklagte gerade durch die Wiedergutmachung des Schadens die Gültigkeit der von ihm verletzen Rechtsnormen anerkennt, gebietet die Rechtsordnung nicht nur nicht die Vollstreckung einer Geldstrafe, sondern sie verbietet sie zugunsten der Erfüllung der berechtigten Interessen der Geschädigten.

§ 59 StGB eröffnet insofern die Möglichkeit, schädliche Nebenfolgen des Strafens zumindest abzumildern, wenn nicht gar zu verhindern. Die festgesetzte Strafe erhält ihre Funktion als Druckmittel für den Fall der Nichterfüllung der im Rahmen des Bewährungsbeschlusses angeordneten Schadenswiedergutmachungspflicht. Im Sinne der hier vertretenen Anwendung der Norm kann es indessen auf eine besondere „Würdigkeit“ des Angeklagten (§ 59 Abs.1 Nr.2 StGB) nicht ankommen, weil auch die Strafrechtsordnung letztlich nicht um ihrer selbst willen, sondern zur Verwirklichung des bestmöglichen Rechtsgüterschutzes besteht. Danach ist die Anwendung des § 59 StGB nicht aus persönlichen Gründen des Angeklagten sondern zur Abwendung von Übel geboten, die andernfalls die Geschädigten zu tragen hätten.