Die Klägerin verletzte sich im Linienbus der Beklagten, als der Busfahrer eine Vollbremsung einleiten musste und dabei eine andere Frau auf die Klägerin stürzte. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin machten Schadensersatzansprüche nicht nur für diese, sondern auch für die stürzende Frau geltend. Die Ansprüche wurden teilweise reguliert; mittlerweile nimmt die Beklagte die andere Frau in Regress. Die Klage auf Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten hat das LG Saarbrücken abgewiesen, da keine Honorarforderung der Prozessbevollmächtigten gegen die Klägerin gegeben sei (Urteil vom 16.01.2015, Az. 13 S 124/14):
1. Dabei kann dahinstehen, ob ein Rechtsanwaltsvertrag nach § 134 BGB nichtig ist, wenn ein Rechtsanwalt entgegen § 43a Abs. 4 BRAO widerstreitende Interessen vertritt. Jedenfalls entfällt in einem solchen Fall der Anspruch auf gesetzliche Gebühren, die zu dem Zeitpunkt, zu dem der Verstoß geschieht, noch nicht verdient sind.
2. So liegt der Fall hier. Die von der Klägerin beauftragten Rechtsanwälte haben entgegen § 43a Abs. 4 BRAO widerstreitende Interessen vertreten.
a) Die Vertretung der Klägerin und der weiteren Geschädigten … erfolgte in derselben Rechtssache. Ausreichend hierfür ist jeder Sachverhalt, der zwischen mehreren Beteiligten – auch mit möglicherweise entgegenstehenden rechtlichen Interessen – nach Rechtsgrundsätzen behandelt und erledigt werden soll, wobei auch eine Teilidentität des Sachverhalts ausreicht. Diese Voraussetzungen sind bei Geltendmachung von Schadensersatz aufgrund ein und desselben Verkehrsunfalls erfüllt.
b) Zwischen den Interessen der Klägerin und der weiteren Geschädigten … bestand auch ein Interessengegensatz.
aa) Die Interessen, die der Anwalt im Rahmen des ihm erteilten Auftrags zu vertreten hat, sind objektiv zu bestimmen. Grundlage der Regelung des § 43a Abs. 4 BRAO sind das Vertrauensverhältnis von Rechtsanwalt und Mandant, die Wahrung der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts und die im Interesse der Rechtspflege gebotene Gradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung. Bei der Beurteilung der Interessen der Mandanten kommt den subjektiven Vorstellungen der Mandanten zwar entscheidende Bedeutung zu. Ein objektiv vorhandener Interessenwiderspruch lässt sich jedoch nicht durch den Hinweis darauf auflösen, dass der Mandant mit der Mandatserteilung selbst bestimmen könne, in welche Richtung und in welchem Umfang der Anwalt seine Interessen wahrnehmen möge. Der Interessengegensatz muss allerdings konkret gegeben sein, das Anknüpfen an einen möglichen, tatsächlich aber nicht bestehenden (latenten) Interessenkonflikt genügt demgegenüber nicht. Ein Vertretungsverbot nach § 43 a Abs. 4 BRAO besteht dabei schon dann, wenn der Rechtsanwalt in der Vergangenheit widerstreitende Interessen vertreten hat.
bb) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist ein Interessengegensatz hier zu bejahen. ln Verkehrsunfallsachen besteht auf Geschädigtenseite ein Interessengegensatz jedenfalls dann, wenn mehrere Geschädigte vertreten werden, von denen einer dem anderen neben dem in Anspruch genommenen Schädiger gesamtschuldnerisch haften kann. Für diese Auffassung spricht, dass der Rechtsanwalt den von ihm vertretenen Geschädigten ggf. auf die Möglichkeit einer ergänzenden Inanspruchnahme des anderen Mandanten hinweisen muss, die im Einzelfall leichter durchzusetzen sein kann als die gegen den gemeinsamen Haftungsschuldner. Selbst wenn der Mandant – wie hier – von dem weiteren Schädiger erfolgreich Schadensersatz erlangt, besteht ein Interessengegensatz auch deshalb, weil der mithaftende Geschädigte wegen der Regressmöglichkeit des in Anspruch genommenen Schädigers (§§ 426, 840 BGB) an der Geringhaltung des Haftungsumfangs auch im Außenverhältnis interessiert sein muss. Entgegen zum Teil vertretener Auffassung gilt das nicht nur für Umstände, die die Haftungsverteilung der Gesamtschuldner im Innenverhältnis zueinander betreffen, sondern auch für sonstige Umstände, die die Anspruchshöhe beeinflussen. Soweit beispielsweise die Höhe des Schmerzensgeldes durch das Ausmaß der Verletzungen mitbestimmt wird, musste die Klägerin hier ein Interesse daran haben, gegenüber der Beklagten das Gewicht dieser Verletzungen herauszustreichen, was sich im Falle eines Innenregresses nachteilig zu Lasten von Frau … auswirken konnte, die hier als potentielle Haftungsschuldnerin nach § 823 Abs. 1 BGB in Betracht kam, da sie sich -unstreitig- keinen festen Halt verschafft hatte. Dass zum Zeitpunkt der Geltendmachung des Anspruchs noch nicht absehbar war, dass es zu einem solchen Regress kommen würde, ändert am konkreten Interessengegensatz nichts. Denn die Geschädigten hatten es nicht in der Hand, ob der in Anspruch genommene Schädiger zum Regress schreiten würde.
c) Unerheblich ist, ob – wie die Klägerin zuletzt vorgetragen hat – die Sachbearbeitung beider Fälle durch unterschiedliche Rechtsanwälte der Kanzlei erfolgte. Dabei kann dahinstehen, ob § 43a Abs. 4 BRAO auch auf die Vertretung mehrerer in Sozietät verbundener Rechtsanwälte anwendbar ist. Denn die Klägerin hat – ausweislich der von ihr vorgelegten Vollmachtsurkunde – die Rechtsanwälte einheitlich bevollmächtigt. Damit lag ein Interessengegensatz unabhängig davon vor, welcher Sachbearbeiter aus der Kanzlei den Fall bearbeitete.
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