Quelle: pixabay.com

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Wenn ein Fahrzeugführer an einer Lichtzeichenanlage mit rotem Wechsellicht vor der Haltelinie zunächst hält, Fußgänger passieren lässt und danach so vorsichtig den geschützten Bereich überfährt, dass keine Gefährdung von Fußgängern eintritt, stellt dies einen atypischen Rotlichtverstoß dar. Dann kann nach einer Entscheidung des Kammergerichts ein Wegfall des an sich vorgesehenen Fahrverbots in Betracht kommen (Beschluss vom 03.02.2014, Az. 3 Ws (B) 15/14):

Die Ansicht des Amtsgerichts, angesichts dieser Feststellungen seien Gründe für ein Absehen von dem in Nr. 132.3 BKat für Rotlichtverstöße bei schon länger als eine Sekunde andauernder Rotphase eines Wechsellichtzeichens (“qualifizierter Rotlichtverstoß”) vorgesehenen Fahrverbot nicht ersichtlich, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Die Erfüllung des Tatbestandes von Nr. 132.3 BKat indiziert nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BKatV in der Regel das Vorliegen einer groben Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers. Deswegen kommt die Anordnung eines Fahrverbots in derartigen Fällen in der Regel in Betracht. Das Vorliegen eines Regelbeispiels entbindet den Tatrichter jedoch nicht von der Pflicht, im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände des konkreten Einzelfalls zu prüfen, ob das Tatbild vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in objektiver oder subjektiver Hinsicht so erheblich abweicht, dass ein “atypischer” Rotlichtverstoß vorliegt, der die Regelsanktion als unangemessen erscheinen lässt. Die Verhängung eines Fahrverbots im Falle des Vorliegens eines qualifizierten Rotlichtverstoßes hat ihre Ursache darin, dass sich bei länger als einer Sekunde andauernder Rotlichtphase bereits Querverkehr in dem durch das Rotlicht gesperrten Bereich befinden kann und die Einfahrt in den durch das rote Wechsellichtzeichen geschützten Bereich regelmäßig mit nicht unerheblicher Geschwindigkeit erfolgt. Für diesen Fall sieht Nr. 132.3 BKat daher ein Regelfahrverbot vor.

Sind jedoch Umstände ersichtlich, die einer abstrakten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer entgegenstehen, bedarf es regelmäßig näherer Prüfung, ob das Regelfahrverbot gleichwohl schuldangemessen ist. Eine nähere Erörterung drängt sich insbesondere dann auf, wenn – wie hier – ein Betroffener vor der Haltelinie anhält und dann trotz andauerndem Rotlicht seine Fahrt fortsetzt. Denn in einem derartigen Fall liegt es nahe, dass der Fahrzeugführer mit geringer, ein sofortiges Reagieren ermöglichender (Anfahr-)Geschwindigkeit in den geschützten Bereich einfährt. Im Übrigen belegt auch der Umstand, dass durch ein grünes Pfeilschild das Rechtsabbiegen trotz Rotlichts nach Anhalten erlaubt werden kann – eine dem hier zu beurteilenden Verhalten ähnliche Sachlage -, dass ein solches Verhalten in der Regel wesentlich weniger gefahrträchtig ist als andere Rotlichtverstöße.

Ein derartiger Fall ist ausweislich der vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen gegeben. Der Tatrichter hat jedoch die sich aus den Feststellungen ergebenden Milderungsgründe gegenüber dem Regelfall bei Festsetzung des Rechtsfolgenausspruchs nicht in dem gebotenen Maße berücksichtigt.