Hierzu sei bereits geklärt, dass die durch ein Verkehrszeichen begründete Anordnung für den Verkehrsteilnehmer, der sie kennt, auch dann gelte, wenn er in den Wirkungsbereich von einer Stelle einfahre, von der es nicht wahrgenommen werden kann. Ein Kraftfahrer sei zwar nicht verpflichtet, Streckengebote oder -verbote nach Beendigung der Fahrt seinem Gedächtnis einzuprägen. Im Rahmen einer einheitlichen Fahrt, auch im Falle einer kurzen Unterbrechung zum Zwecke des Beladens, bestehe allerdings Anlass für den Fahrzeugführer, sich an die bisherige Beschränkung zu erinnern.

OLG Oldenburg, Beschluss vom 15.01.2019 – 2 Ss (OWi) 10/19

Der Antrag des Betroffenen, die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Bersenbrück vom 24.9.2018 zuzulassen, wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.

Gründe

Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 80 € verurteilt.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Er rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs und macht geltend, die Rechtsbeschwerde sei zur Fortbildung des Rechts zuzulassen.

Das Amtsgericht hat folgendes festgestellt:

Am 16.4.2018 befuhr der Betroffene mit einem Pkw in A … die L … . Der Betroffene passierte eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 70 km/h („70er-Schild“). Aus einem vom Amtsgericht ordnungsgemäß in Bezug genommenen Kartenausdruck ergibt sich, dass danach in einer Entfernung von ca. 1 km eine Straße („Straße 1“) nach rechts abzweigt. Knapp 200 m weiter zweigt eine weitere Straße („Straße 2“) nach rechts ab. Bei beiden Straßen handelt es sich nach den Urteilsfeststellungen um Zufahrtswege zu Höfen. An der Einmündung von Straße 2 befindet sich ein Sackgassenschild. Unmittelbar an der Einmündung zu Straße 1 stand ein weiteres für die L … geltendes 70er-Schild. Nach der Einmündung von Straße 2 bis zur Messstelle war kein weiteres 70er-Schild vorhanden.

In den Urteilsgründen heißt es: „Die Einlassung des Betroffenen, die L … kurzfristig verlassen zu haben und anschließend über eine weitere Straße aufgebogen zu sein, ohne dass ein weiteres Schild an der Stelle vorhanden war, konnte nicht widerlegt werden.“ Und weiter: „Der Betroffene hat danach bereits das 70er-Schild einmal passiert und bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt auch beim Abbiegen nochmals wahrnehmen müssen. Das Verkehrsschild hat danach Weitergeltung für ihn gehabt und zwar unabhängig davon, ob man überhaupt zwischen den Nebenstraßen durchfahren kann oder nicht. Daher war auch kein Ortstermin durchzuführen. Da der Betroffene aus einer Sackgasse wiederum auf die L … auffuhr, hatte die Beschilderung weiterhin Gültigkeit und zwar auch für ihn.“

Der Betroffene meint demgegenüber, die Geschwindigkeitsbeschränkung habe ihm gegenüber nicht gegolten.

Bei einer Geldbuße bis zu 100 € kommt die Zulassung der Rechtsbeschwerde nur zur Fortbildung des materiellen Rechts oder der Verletzung rechtlichen Gehörs in Betracht.

Beide Zulassungsgründe sind nicht gegeben.

Nach den Urteilsfeststellungen ist davon auszugehen, dass der Betroffene von Straße 2 auf die L … aufgefahren ist und danach bis zur Messstelle kein 70er-Schild passiert hat. Da das Amtsgericht letztlich offengelassen hat, ob er Straße 2 über Straße 1 erreichen konnte, gibt es zwei Varianten.

Variante A: Abbiegen in Straße 1, Wiederauffahren von Straße 2

Variante B: Abbiegen in Straße 2, Wiederauffahren von Straße 2

Der Unterschied zwischen den beiden Varianten besteht darin, dass der Betroffene bei der Variante B während des Befahrens des Streckenabschnitts hätte feststellen können, dass zwischen den Straßen 1 und 2 keine Aufhebung der Geschwindigkeitsbeschränkung erfolgte, während er bei Variante A diese Feststellung zumindest nicht durch Befahren der L … auf dem Abschnitt zwischen den Einmündungen der Straßen 1 und 2 treffen konnte.

In der Rechtsprechung ist geklärt, dass die durch ein Verkehrszeichen begründete Anordnung für den Verkehrsteilnehmer der sie kennt, auch dann gilt, wenn er in dessen Wirkungsbereich von einer Stelle einfährt, von der es nicht wahrgenommen werden kann (OLG Karlsruhe DAR 2003,182; BayObLG VRS 69. Band, 461). Für Kenntnis bieten die Urteilsgründe keinen Anhalt.

Bei Variante B hätte der Betroffene aber schon durch Befahren des Streckenabschnittes wissen können, dass die Geschwindigkeitsbegrenzung nicht aufgehoben war. Es ist dennoch nicht die vom Betroffenen für klärungsbedürftig gehaltene Frage zu klären, wie lange eine Geschwindigkeitsanordnung auf einer bestimmten Strecke „in Erinnerung bleiben muss“.

Diese Frage ist nämlich ebenfalls geklärt:

Ein Kraftfahrer ist zwar verpflichtet, darauf zu achten, wie auf der von ihm befahrenen Strecke der Verkehr durch Gebote und Verbote geregelt ist; er hat jedoch keinen Anlass, diese Regelungen darüber hinaus seinem Gedächtnis einzuprägen. Gerade ein routinierter Kraftfahrer wird häufig die von ihm wahrgenommene Regelung mehr oder weniger unbewusst beachten, ohne dass er anschließend noch eine Erinnerung an sie hat. Nicht aber geht es an, von einem Verkehrsteilnehmer zu verlangen, dass er sich über die konkrete Fahrt hinaus die bei dieser erlangten Wahrnehmungen auch weiterhin einprägt und sie bei einer späteren Fahrt wieder in das Bewusstsein ruft, wenn er aus einer Seitenstraße in die geregelte Strecke einfährt und keine diese Regelung erkennbar machendes Verkehrszeichen wahrnehmen kann. Da ein Kraftfahrer nicht verpflichtet ist und keinen Anlass hat, die Wahrnehmung eines eine Verkehrsbeschränkung anordnenden Verkehrszeichens über die Zeit bis zum Verlassen des Geltungsbereiches des Zeichens hinaus seinem Gedächtnis einzuprägen, gilt dies unabhängig von der Länge der seit dem letzten Befahren der Strecke verstrichenen Zeit (BayObLG VRS 73. Band, 76).

Da hier der Betroffene aber im Zuge einer einheitlichen Fahrt wieder auf die L … eingebogen ist, hätte er Anlass gehabt, sich an die Fortgeltung der Geschwindigkeitsbegrenzung zu erinnern. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob der Betroffene die Fahrt zwischenzeitlich zum Einladen von Brennholz unterbrochen hatte, so dass die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs dahingehend, dass das Amtsgericht dieses Vorbringen nicht berücksichtigt habe, schon deshalb nicht durchgreift.

Der BGH hat nämlich entschieden, dass ein Verbotsschild von einem Fahrer der es wahrgenommen hat, auf allen Teilen der Strecke und während des gesamten Verlaufs seiner Fahrt beachtet werden muss, wenn diese ein einheitliches, schon beim Passieren des Verkehrszeichens geplantes Unternehmen darstellt (BGHSt 11, 7). Auch im dortigen Fall war es so, dass der Fahrzeugführer zwischenzeitlich einen Lastzug mit Holz beladen hatte und hierzu in eine Seitenstraße eingefahren war. In dieser Entscheidung heißt es weiter: „Ob nun die Fahrt in derselben oder in der entgegengesetzten Richtung fortgesetzt wird, in beiden Fällen wird vom Kraftfahrer verlangt, dass er sich ein für eine längere Strecke geltendes Verbotsschild mindestens dann merkt und einprägt, wenn es zuvor wahrgenommen hat….Die noch am selben Tage unmittelbar an das Beladen sich anschließende Rückfahrt über die gleiche Strecke kann nämlich nicht unabhängig von der vorangegangenen Benutzung als neue, selbständige Fahrt angesehen werden“.

Anders gelagert ist die Variante A:

In dieser Konstellation hätte der Betroffene zumindest nicht durch Befahren der Strecke wissen können, dass die Geschwindigkeitsbeschränkung noch galt. Darauf, dass eine Geschwindigkeitsbeschränkung bis zur Einmündung der Straße 1 bestand, kommt es (zunächst) nicht an. Es galt vielmehr der Sichtbarkeitsgrundsatz. Der durch das Verkehrszeichen verkörperte Verwaltungsakt wird grundsätzlich dadurch eröffnet, dass der Verkehrsteilnehmer Gelegenheit erhält, durch Wahrnehmung des Verkehrszeichens von der darin verkörperten behördlichen Anordnung Kenntnis zu nehmen (BayObLG VRS 69. Band, a.a.O.). Obwohl der Betroffene in dieser Variante nach der Einmündung von Straße 2 keine Geschwindigkeitsbegrenzung wahrnehmen konnte, käme ein Geschwindigkeitsverstoß in Betracht, wenn die Geschwindigkeitsüberschreitung aus anderen Gründen vorwerfbar wäre, so zum Beispiel durch die vorherige Wahrnehmung des an der Einmündung von Straße 1 aufgestellten 70er-Wiederholungsschildes – das eine Aufhebung der Geschwindigkeitsbegrenzung auf den nächsten 200m ohnehin schon unwahrscheinlich machte – und Sichtmöglichkeit bis zur Einmündung von Straße 2 oder weil aufgrund der örtlichen Gegebenheiten die Fortgeltung der Geschwindigkeitsbegrenzung nahe lag; das ist jedoch Tatfrage (vgl. OLG Hamm NZV 2015, 457).