Die Klägerin stürzte auf Grund von Glätte beim Aussteigen aus einem Bus an einer Haltestelle, welche sich an einer Landstraße außerhalb geschlossener Ortschaften befindet und verletzte sich dabei. Laut dem LG Aachen hat das Land als Träger der Straßenbaulast die es treffende Verkehrssicherungspflicht nicht eingehalten, da es sowohl die Landstraße als auch die dort befindliche Bushaltestelle hätte räumen müssen. Rechtsprechung und Schrifttum gingen von einer gesteigerten Verkehrssicherungspflicht im Bereich von Bushaltestellen aus. Die Bushaltestelle diene der Erschließung eines Orteils mit 500 Einwohnern, so dass ihr eine Verkehrsbedeutung nicht abgesprochen werden könne. Die von der Klägerin erlittene Schädelprellung und Handgelenkdistorsion, aus der sich eine therapieresistente schmerzhafte Handgelenksarthralgie entwickelt habe, rechtfertige die Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 1.000 Euro.

LG Aachen, Urteil vom 24.05.2018 – 12 O 430/17

Das beklagte Land wird verurteilt, an die Klägerin 1.062,56 EUR zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz seit dem 29.1.2017 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 147,56 EUR zu zahlen.

Im übrigen wird die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreites tragen Klägerin und das beklagte Land zu je ½.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beiden Parteien wird nachgelassen, die Vollstreckung der Gegenseite jeweils gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die jeweilige Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.

Tatbestand

Die Parteien streiten um einen Vorfall vom 5.1.2017 an der Bushaltestelle in Simmerrath-Woffelsbach. Die Kläger wohnte seinerzeit in dem Ortsteil, der über rund 500 Einwohner und eine Bushaltestelle verfügt, die an der Landstraße L 128 liegt.

Die Klägerin erlitt neben einer Schädelprellung eine Handgelenkdistorsion und befand sich in fachärztlicher Behandlung. Ausweislich der schriftlichen Rechnung vom 3.4.2017 zahlte sie für den ärztlichen Bericht insgesamt 62,65 EUR, Bl. 14.

Die Klägerin behauptet, am 5.1.2017 bei winterlichen Verhältnissen mit der Buslinie 68 vom Busbahnhof in Simmerath in dem Ortsteil Woffelsbach gefahren zu sein. Sie sei gegen 15 Uhr an der Bushaltestelle ausgestiegen. Obwohl sie sich festgehalten und Winterschuhe getragen habe, sei sie infolge winterlicher Glättebildung zum Sturz gekommen. Dabei habe sie die attestierten Verletzungen erlitten. Die Klägerin ist der Auffassung, das beklagte Land habe seine Amtspflichten verletzt und ein Schmerzensgeld von 2.000,- EUR sei insbesondere angemessen, weil das beklagte Land mehrfach seine Zuständigkeit geleugnet habe.

Die Klägerin beantragt,

das beklagte Land zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, sowie 62,56 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über das Basiszinssatz seit dem 29.1.2017 und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe weiterer 147,56 EUR zu zahlen.

Das beklagte Land beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das beklagte Land ist der Auffassung, eine Räum- und Streupflicht bestehe nicht, weil sich die Bushaltestelle außerhalb einer geschlossenen Ortslage befinde. Zudem komme dem Ortsteil Woffelsbach in den Wintermonaten nur eine verschwindend geringe Verkehrsbedeutung zu.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat in der Sache zum Teil Erfolg. Der Klägerin steht gegen das beklagte Land ein Anspruch auf Ersatz von sturzbedingten Schäden, insbesondere ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.000,- EUR aus §§ 839 Abs. 1, 253 BGB, Art. 34 S. 1 GG i.V.m. §§ 9 a StrWG NRW zu. Die Verletzungen der Klägerin beruhen auf einer Amtspflichtverletzung des beklagten Landes. Das beklagte Land hatte nach Ansicht des Gerichts die Pflicht, die Straße im Bereich der streitgegenständlichen Bushaltestelle zu räumen und zu streuen.

1.

Als Träger der Straßenbaulast am Unfallort trifft das beklagte Land nach § 9 a StrWG NRW unter anderem die winterliche Räum- und Streupflicht. Danach hat das beklagte Land durch Bestreuen mit abstumpfenden Mitteln diejenigen Gefahren zu beseitigen, die infolge winterlicher Glätte für den Verkehrsteilnehmer bei zweckgerechter Wegebenutzung unter Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt drohen (vgl. nur BGH, Urteil vom 13.03.1969 – III ZR 101/68, juris; OLG Karlsruhe, Urteil vom 06. Juli 2000 – 19 U 170/99 -, Rn. 5, juris). Inhalt und Umfang dieser Pflichten richtet sich hierbei nach den konkreten Umständen des Einzelfalls (BGH, Urteil vom 15. November 1984 – III ZR 97/83 -, Rn. 16, juris ; OLG Hamm, Urteil vom 12. August 2016 – I-11 U 121/15 -, Rn. 5, juris). Dabei gilt die obliegende Räum- und Streupflicht nicht uneingeschränkt, sondern steht sowohl in räumlicher als auch in zeitlicher Hinsicht unter dem Vorbehalt des wirtschaftlich Zumutbaren, wobei es vor allem auf die Leistungsfähigkeit des Sicherungspflichtigen ankommt (BGH, Urteil vom 09. Oktober 2003 – III ZR 8/03 -, Rn. 8, juris; OLG Köln, Urteil vom 13. Januar 2011 – 7 U 132/10 -, Rn. 16, juris; OLG Hamm, Urteil vom 18. November 2016 – I-11 U 17/16 -, Rn. 5, juris).

Der Rechtsauffassung des beklagten Landes, eine Winterwartung an der streitgegenständlichen Bushaltestelle scheide infolge ihrer Lage außerhalb einer geschlossenen Ortslage aus, schließt sich das Gericht nicht an. Nach § 9 a StrWG NRW hat der Träger der Straßenbaulast die Verkehrssicherheit als Amtspflicht zu gewähren. Für eine Landstraße einschließlich der Ortsdurchfahrten nach § 5 StrWG NRW trifft das beklagte Land selber diese Verkehrssicherungspflicht. Eine Übertragung von Straßenreinigungspflicht und Winterwartung sieht §§ 1 ff. Straßenreinigungsgesetz NRW für Gemeindestraßen , aber auch für Ortsdurchfahrten vor. Nach Ansicht des Gerichts hatte das beklagte Land neben der Landstraße selber auch die unmittelbar an der Landstraße liegende Bushaltestelle zu räumen. Rechtsprechung und Schrifttum gehen von einer gesteigerten Verkehrssicherungspflicht im Bereich von Bushaltestellen aus (OLG SH, Urt. vom 14.5.2013, 11 U 51/12; LG Bonn, Urt. vom 21.4.2004; OLG Hamm, Urt v. 14.1.2005). Auch die Bushaltestelle bei der sowieso erforderlichen Räumung der Landstraße selber zu räumen und abzustreuen wäre auch kein unverhältnismäßiger Aufwand gewesen. Die Bushaltestelle war auch für den Führer eines Räumfahrzeuges ohne weiteres erkennbar, so dass sich die Einbeziehung der Haltestelle in die Räumung angeboten hätte, insbesondere auch zum erkennbar notwendigen Schutz derjenigen Anwohner, die gerade in den Wintermonaten auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind.

Dabei hat das Gericht nicht verkannt, dass außerhalb geschlossener Ortslage nur die für den Kraftfahrzeugverkehr besonders gefährlichen Stellen zu streuen sind und besondere Sicherungsmaßnahmen für den Fußgängerverkehr auf den Gehwegen außerhalb geschlossener Ortschaften grundsätzlich nicht erforderlich sind (vgl. BGH, Urt. vom 20.10.1994, III ZR 60/94). Die Streupflicht an der streitgegenständlichen Bushaltestelle ergibt sich nach Ansicht des Gerichts daraus, dass die Haltestelle unstreitig die einzige Bushaltestelle für den Ortsteil Woffelsbach mit unstreitig über 500 Einwohnern ist. Zwar liegt die Bushaltestelle nicht im Ortsmittelpunkt, sondern an der Landstraße. Ihre erhebliche Verkehrsbedeutung ergibt sich aber daraus, dass gerade die im Winter besonders wichtigen öffentlichen Verkehrsmittel nur über diese Bushaltestelle erreicht werden konnten. Dient somit die Bushaltestelle der Erschließung eines Ortsteils mit öffentlichem Personennahverkehr, kann ihr eine Verkehrsbedeutung bei über 500 Einwohnern nicht abgesprochen werden. Auch das Lichtbild Bl. 51 f. GA zeigt, dass die Bushaltestelle im Zusammenhang mit weiterer Bebauung steht.

2.

Von einem Sturz der Klägerin am 5.1.2017 bei Ausstieg an der streitgegenständlichen Bushaltestelle ist ohne weiteres auszugehen. Die Klägerin hat vorprozessual wie vor Gericht das Geschehen lebensnah und nachvollziehbar geschildert. Ihr Vortrag fügt sich in die urkundlich belegten Verletzungen ein. Auch der Umstand, dass das beklagte Land an der streitgegenständlichen Bushaltestelle gar nicht von einer Streu- und Räumpflicht ausgeht, passt zu den klägerseits vorgelegten Lichtbildern und damit dem Sturz der Klägerin.

3.

Der Klägerin steht ein Schmerzensgeldanspruch aus §§ 823, 253 BGB in Höhe von 1.000,- EUR zu. Bei der konkreten Bemessung des Schmerzensgeldanspruches hat die Kammer die erlittenen Verletzungen der Klägerin nicht übersehen.

Mit der Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes soll ein Verletzter in die Lage versetzt werden, sich Erleichterungen und andere Annehmlichkeiten anstelle derer zu verschaffen, deren Genuss ihm durch die Verletzung unmöglich gemacht wurden (OLG Köln, r+s 1992, 273; Palandt/Grüneberg, BGB, 77. Auflage, § 253 Rd. 15 m.w.Nachw.). Bemessungsgrundlage der zu gewährenden angemessenen Geldentschädigung sind insbesondere Ausmaß und Schwere der psychischen und physischen Störungen, Heftigkeit der Schmerzen, Leiden, Entstellungen, Dauer der stationären Behandlung, der Arbeitsunfähigkeit die Unübersehbarkeit des weiteren Krankheitsverlaufes und das Maß des gegenseitigen Verschuldens (Palandt-Thomas, a.a.O. Rd. 15 ff., m.w. Nachw.).

Durch Attest der Eifelklinik vom 6.1.2017, Bl. 6 GA und Lichtbild sind Schädelprellung und Handgelenkdistorsion belegt, aus der sich eine therapieresistente schmerzhafte Handgelenksarthralgie entwickelt hat. Daher konnte sich das Gericht etwa an AG Hamburg, ZfS 1991, 85, und an AG Nördlingen, Urt. vom 9.11.1983 orientieren.

Mangels weiterer Angaben der Klägerin erschien das begehrte Schmerzensgeld von 2.000,- EUR zu hoch. Eine sachwidriges Regulierungsverhalten des beklagten Landes, das ein Schmerzensgeldanspruch erhöhen konnte, kann die Kammer nicht erkennen. Auch nach Anschauung der Kammer ist die Haftung des beklagten Landes nicht so klar zu erkennen, dass aus der Weigerung auf Beklagtenseite ein erhöhtes Schmerzensgeld folgert.

Der Zinsanspruch folgt aus § 288 BGB, der anwaltliche Gebührenanspruch aus § 249 BGB. Der dort angegebene Streitwert von 1.000,- EUR entspricht im Ergebnis der gerichtlichen Entscheidung, so dass eine Kürzung zu unterbleiben hatte.

4.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Streitwert:

Antrag zu 1: 2.000,00 EUR, § 3 ZPO

Antrag zu 2: 62,65 EUR

Antrag zu 3: – , § 4 ZPO

2.062,65 EUR