Dem Betroffenen wird ein Rotlichtverstoß bei bereits 1,5 Sekunden leuchtendem Ampellicht vorgeworfen, wobei die Rotphase durch zwei Polizeibeamte mit einer geeichten Stoppuhr überwacht wurde. Das KG fordert, bei derartigen Zeitmessungen eine mögliche Reaktionsverzögerung bei der Bedienung der Stoppuhr von 0,3 Sekunden sowie die Gangungenauigkeit (Verkehrsfehlergrenze) durch einen Toleranzabzug zu berücksichtigen. Hierzu habe der Regelermittlungsausschuss der PTB gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 3 MessEG festgestellt, bei Stoppuhren sei die Eichfehlergrenze gleich dem kleinsten Skaleneinteilungswert bzw. Ziffernschritt vermehrt um 0,5 Promille der gemessenen Zeit. Bei der Berechnung der Rotlichtzeit müsse auch Berücksichtigung finden, ob die Polizeibeamten den Messwert gerundet haben, was bei einem Vorwurf von (genau) 1,5 Sekunden naheliege.

KG, Beschluss vom 21.03.2018 – 3 Ws (B) 91/18

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amts-gerichts Tiergarten vom 16. Januar 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht Tiergarten zurückverwiesen.

Gründe

Das Amtsgericht Tiergarten hat den Betroffenen wegen eines Rotlichtverstoßes zu einer Geldbuße von 200 Euro verurteilt und ein einmonatiges Fahrverbot gegen ihn angeordnet. Die Urteilsfeststellungen weisen aus, dass der Betroffene die Haltlinie einer Lichtzeichenanlage passierte, als das rote Ampellicht bereits 1,5 Sekunden leuchtete. Die Beweise würdigt das angefochtene Urteil dahin, dass zwei Polizeibeamten bei einer gezielten Rotlichtüberwachung den Verstoß mit einer geeichten Stoppuhr zuverlässig festgestellt hätten. Der Betroffene wendet sich mit der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil. Das Rechtsmittel hat mit der allgemein erhobenen Sachrüge Erfolg.

Die Beweiswürdigung begegnet hinsichtlich der Rotlichtdauer von 1,5 Sekunden, die das verhängte Regelfahrverbot indiziert, durchgreifenden Bedenken, denn sie ist lückenhaft. Namentlich versäumt es das Amtsgericht mitzuteilen, ob es zur Beseitigung möglicher Fehlerquellen den bei der händischen Zeitmessung gebotenen Toleranzabschlag vorgenommen hat. Zwar ist anerkannt, dass es bei Rotlichtverstößen der Mitteilung des Toleranzwertes dann nicht bedarf, wenn die Rotlichtzeit auch nach Abzug des „für den Betroffenen günstigsten Toleranzwertes“ wenigstens eine Sekunde gedauert hat (vgl. OLG Braunschweig NJW 2007, 391; OLG Bremen DAR 2002, 225; OLG Frankfurt NZV 2008, 588; OLG Schleswig SchlHA 2005, 335; Janker-Hühnermann in BHHJJ, 24. Aufl., § 37 StVO Rn. 30d). Dies ist hier jedoch nicht der Fall.

Nach gefestigter Rechtsprechung bestimmt sich der bei einer Zeitmessung mit geeichter Stoppuhr erforderliche Toleranzabzug einerseits durch den Ausgleich einer eventuellen Reaktionsverzögerung bei der Bedienung. Er wird mit 0,3 Sekunden veranschlagt. Andererseits ist eine etwaige Gangungenauigkeit, die so genannte Verkehrsfehlergrenze, auszugleichen (vgl. Senat NZV 2008, 587). Die Verkehrsfehlergrenze dürfte sich nach Inkrafttreten des MessEG sowie der MessEV nach § 22 Abs. 2 MessEV iVm Nr. 12.10 der nach § 46 Abs. 1 Nr. 3 MessEG ermittelten „Regeln und Erkenntnisse des Regelermittlungsausschusses“ (Stand 27. Oktober 2016) richten. Nr. 12.10 dieses Regelwerks bestimmt, dass die Verkehrsfehlergrenze bei Stoppuhren nach § 33 Abs. 4 der am 31. Dezember 2014 geltenden Fassung der (hiernach außer Kraft getretenen) Eichordnung von 1988 bestimmt wird. Nach der Anlage 19 („Zeitzähler – Stoppuhren“) zu § 33 Abs. 4 Satz 1 EichO ist die Eichfehlergrenze „gleich dem kleinsten Skaleneinteilungswert bzw. Ziffernschritt vermehrt um 0,5 Promille der gemessenen Zeit“.

Das Amtsgericht wäre damit gehalten gewesen, den kleinsten Skalenwert bzw. den kleinsten Ziffernschritt der verwendeten Stoppuhr zu ermitteln. Betrüge dieser zB 0,01 Sekunden, so beliefe sich die Fehlergrenze bei der hier gemessenen Zeit (1,5 Sekunden) auf 0,0115 (0,01 zuzüglich 0,015) Sekunden. Nach § 22 Abs. 2 MessEV bemisst sich die Verkehrsfehlergrenze nach dem Doppelten der Fehlergrenze. Bei dem hier nur beispielhaft vermuteten Ziffernschritt (0,01) wären dies 0,023 Sekunden. Beliefe sich der kleinste Skalenwert hingegen auf 0,1, so betrüge die Verkehrsfehlergrenze 0,203 Sekunden. Die mit dem Wert für die mögliche Reaktionsverzögerung (0,3 Sekunden) gebildete Summe beliefe sich je nach kleinstem Skalenwert/Ziffernschritt mithin auf 0,323 bzw. 0,503 Sekunden. Im bei einer geeichten Uhr zwar wenig wahrscheinlichen, aber auch nicht auszuschließenden Fall eines Skalenwerts von 0,1 läge damit kein „qualifizierter“ Rotlichtverstoß vor.

In der neuen Hauptverhandlung dürfte es angezeigt sein, neben dem kleinsten Skalenwert bzw. Ziffernschritt auch zu ermitteln, ob und gegebenenfalls wie die polizeilichen Zeugen gerundet haben. Gerade wenn die Stoppuhr kleine Ziffernschritte hatte, legt der glatte Wert von 1,5 Sekunden nahe, dass auf- oder abgerundet wurde. Dies müsste gegebenenfalls in die Berechnung der Rotlichtzeit einfließen.

Da nicht auszuschließen ist, dass das Urteil auf dem Rechtsfehler beruht, war es insgesamt aufzuheben, und die Sache war an das Amtsgericht Tiergarten zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.