Bei der Entscheidung über Schadensersatzansprüche im Rahmen von Verkehrsunfällen stellen sich häufig, wenn auch nur für eine der Prozessparteien, Beweisproblematiken. Vorliegend nahm der Kläger u. a. den Beklagten zu 2 in Anspruch, wobei streitig war, welches von beiden Fahrzeugen einen Fahrstreifen gewechselt und dadurch den Unfall verursacht hat. Während der Fahrer des Klägerfahrzeugs als Zeuge vernommen wurde, hatte der Beklagte zu 2 als gleichzeitiger Fahrzeugführer keine Zeugen zur Verfügung. In dieser Situation sieht das LG Köln aus dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens, speziell der Waffengleichheit, die Verpflichtung, den Beklagten zu 2 persönlich anzuhören oder von Amts wegen als Partei zu vernehmen. Mit einem entsprechenden Antrag der Beklagten habe sich das Amtsgericht verfahrensfehlerhaft nicht befasst, so dass dies durch das Berufungsgericht nachzuholen gewesen sei. Die Klage, der das Amtsgericht noch stattgab, wurde vom LG dann abgewiesen, da der Spurwechsel nicht aufgeklärt werden konnte. Beide Seiten hätten das Geschehen plausibel und in sich stimmig geschildert. Das Gericht müsse auch nicht der Aussage eines Zeugen größeres Gewicht beimessen als der einer Partei im Rahmen ihrer förmlichen Vernehmung oder ihrer persönlichen Anhörung.
LG Köln, 07.09.2017 – 6 S 190/16
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des AG Leverkusen vom 8.9.2016, Az. 26 C 119/15, abgeändert und die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
(Abgekürzt nach §§ 540 Abs. 2, 313a ZPO, § 26 Ziffer 8 EGZPO)
Die zulässige Berufung der Beklagten hat Erfolg.
Nachdem der Kläger sich auf seinen Fahrer als Zeugen berufen hat und dieser vom Amtsgericht vernommenen worden ist, war es aus dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens, des effektiven Rechtsschutzes und der Waffengleichheit geboten, auch den Beklagten zu 2, der das am Unfall beteiligte Fahrzeug selbst geführt hat, zumindest persönlich anzuhören oder von Amts wegen als Partei zu vernehmen. Mit einem entsprechenden Antrag der Beklagten hat das Amtsgericht sich in seinem Urteil nicht befasst. In einem Verkehrsunfallprozess, in dem sich der eine Unfallbeteiligte auf den Fahrer des am Unfall beteiligten Fahrzeuges als Zeugen berufen kann, während der Unfallgegner das Fahrzeug selbst geführt hat und keinen Beifahrer hatte, ist eine dem Vieraugengespräch vergleichbare Situation gegeben, dass nämlich demjenigen, der das Fahrzeug allein und ohne Beifahrer geführt hat, es nicht möglich ist, der Aussage des gegnerischen Fahrers durch ein förmliches Beweismittel der ZPO entgegenzutreten.
Obwohl der Beklagte zu 2 beim 1. Termin anwesend war, hat das Amtsgericht ihn nicht angehört, jedenfalls hat es das Ergebnis einer Anhörung nicht protokolliert. Bei der Vernehmung des Zeugen … war der Beklagte zu 2 nicht anwesend; sein persönliches Erscheinen war auch nicht angeordnet.
Dieser Verfahrensfehler ist auch nicht nach § 295 ZPO geheilt worden, denn weder haben die Beklagten auf die ausdrücklich beantragte Parteivernehmung oder Parteianhörung verzichtet, noch haben sie nach dem fraglichen Verfahrensmangel rügelos verhandelt. Vielmehr hat das Amtsgericht nach der Vernehmung des Zeugen die mündliche Verhandlung geschlossen. Dass im Anschluss an die Beweisaufnahme erneut verhandelt worden ist, ist dem Protokoll nicht zu entnehmen. Es ist dem Protokoll auch nicht zu entnehmen, dass im Anschluss an die Beweisaufnahme gemäß § 279 Abs. 3 ZPO der Sach-und Streitstand erneut erörtert worden ist. Soweit die Klägerseite sich auf die Entscheidung BGH LM Nr. 2 zu § 295 ZPO bezieht, betrifft das den Fall, dass eine Partei fehlerhaft als Zeuge vernommen worden ist, was einer unterlassenen Parteianhörung/Parteivernehmung schon nicht gleichgesetzt werden kann.
Die Kammer hat die unterlassene Anhörung des Beklagten zu 2 nachgeholt. Sie führt zur Abweisung der Klage, da letztlich nicht aufzuklären ist, wer die Spur gewechselt hat und den Unfall dadurch verursacht und verschuldet hat. Das Sachverständigengutachten hat insoweit keine Aufklärung gebracht. Die Unfallschilderung des Zeugen …, der das klägerische Fahrzeug geführt hat, und des Beklagten zu 2, der das Beklagtenfahrzeug geführt hat, stehen sich gegenüber, ohne dass objektive Anhaltspunkte von solchem Gewicht bestehen, dass der einen oder anderen Schilderung der Vorzug zu geben wäre. Dabei ist im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 286 BGB der Richter an keine Beweisregeln gebunden, insbesondere muss er der Aussage eines Zeugen kein größeres Gewicht beimessen als den Angaben einer Partei bei ihrer förmlichen Parteivernehmung oder auch ihrer persönlichen Anhörung. Danach ist festzustellen, dass beide Seiten das Unfallgeschehen jeweils plausibel und in sich stimmig geschildert haben. Beide Seiten sind als Fahrer am Unfallgeschehen nicht unbeteiligt und haben ein persönliches Interesse am Ausgang des Rechtsstreits. Dabei hat der Zeuge … zwar darauf hingewiesen, dass er einen Spurwechsel nach rechts allein schon deshalb nicht unternommen habe, weil die rechte Spur für ihn in ca. 200 m erkennbar blockiert gewesen sei durch einen dort stehendes Fahrzeug. Das ist eine plausible Erklärung dafür, dass der Zeuge, obwohl er wegen der Sperrung der Autobahnbrücke die A1 verlassen musste, nicht die Fahrbahn nach rechts gewechselt hat. Andererseits hat der Beklagte zu 2 ebenso plausibel erklärt, dass er den links neben ihm fahrenden Lkw, der sich nach seiner unwiderlegten Darstellung schon in Höhe des Seitenfensters befand, nicht hätte übersehen können, so dass die Entscheidung, einen Wechsel auf die linke Spur vorzunehmen, in dieser Situation sehr schwer vorstellbar ist. Der Beklagte zu 2 hat auch glaubhaft geschildert, dass er wegen der vor ihm fahrenden Fahrzeuge den auf seiner Fahrbahn haltenden Pkw noch gar nicht wahrgenommen hatte, sondern von dem üblichen hohen Verkehrsaufkommen ausgegangen sei, so dass für ihn keine gesteigerte Notwendigkeit bestand, die Fahrbahn an dieser Stelle zu wechseln.
Beide Unfallbeteiligte waren erfahrener Kraftfahrer. Wenn es dennoch zu einem Zusammenstoß gekommen ist, ist das nur durch ein Versagen eines der Fahrer zu erklären. Obwohl es einleuchtet, dass ein Lkw-Fahrer keinen Spurwechsel vornimmt, wenn er erkennt, dass in nur 200 m die Spur blockiert ist, ist andererseits nicht auszuschließen, dass es durch kurzfristiges Versagen zu fehlerhaften Handlungen kommt, wie es etwa immer wieder dazu kommt, dass ein Stauende übersehen wird, obwohl es aus objektiver Sicht und bei normaler Aufmerksamkeit nicht zu übersehen ist. Ebenso ist es aber auch bei Unachtsamkeit nicht unmöglich, dass ein neben dem Pkw fahrender Lkw aus Unaufmerksamkeit übersehen wird und der Versuch eines Spurwechsels unternommen wird. Allerdings ist die Gefahr, dass ein neben dem Fahrzeug befindliches anderes Fahrzeug übersehen wird, für ein Lkw-Fahrer deutlich höher als für ein Pkw-Fahrer, wie es der Sachverständige in seinem Gutachten demonstriert hat. Letztlich führen Plausibilitätsüberlegungen hier nicht dazu, dass einer der beiden Schilderungen der Vorzug einzuräumen wäre und keine vernünftigen Zweifel mehr verbleiben. In einem solchen Fall, in dem ungeklärt bleibt, wer die Spur gewechselt hat, verbleibt die beiderseitige Betriebsgefahr, wobei diejenige eines Lkws gegenüber derjenigen eines Pkws regelmäßig überwiegt. Die von den Beklagten angenommene Haftungsquote von 60 zu 40 zulasten der Klägerseite ist nicht zu beanstanden. Dem tritt das Gericht bei.
Dann aber hat die Beklagte zu 3 nach Zahlung restlicher 45,60 € den Schadensersatzanspruch des Klägers insgesamt erfüllt. Dass der Kläger als Transportunternehmer nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, so dass die Beklagte zu 3 zu Unrecht nur den Nettobetrag bei den Sachverständigenkosten angesetzt hat, hat der Kläger schon nicht vorgebracht, so dass bei den Sachverständigenkosten nur der Nettobetrag anzusetzen war.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 91 a ZPO. Soweit die Beklagte zu 3. im Verlaufe des Rechtsstreits restliche 45,60 € gezahlt hat und die Parteien den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, war dieser Betrag so geringfügig, dass er in Anwendung des § 92 Abs. 2 Z. 1 ZPO nicht ins Gewicht fiel und dem Kläger die Kosten insgesamt aufzuerlegen waren.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708 Ziffer 10, 711, 713 ZPO. Da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen, war die Revision nicht zuzulassen.
Streitwert für das Berufungsverfahren: 2.443,06 €.
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