Es geht wieder mit der “bayerischen Akteneinsicht” weiter bzw. sie weitet sich aus: Hier hatte der Verteidiger die Überlassung der unverschlüsselten Rohmessdaten, des Eichscheins, der Lehrgangsbescheinigung des Messbeamten sowie der Lebensakte beantragt. Erhalten hat er von der Behörde nichts. Dies hat nun das AG Nördlingen als rechtmäßig bestätigt. Es werde die Einsicht begehrt in “innerdienstliche Urkunden, welche nicht zu den Akten zählen“. Will das Gericht, dem Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Messung fehlen, hier womöglich von einem standardisierten Messverfahren ausgehen, ohne zu wissen, ob das Messgerät überhaupt geeicht ist? Die Herleitung eines Einsichtsanspruchs aus dem Recht auf ein faires Verfahren überzeuge ebenfalls nicht; schließlich gebe es ja ausreichend Handbücher für die OWi-Verteidigung. Das erlaube es, sich kritisch mit dem Messergebnis auseinanderzusetzen. Auf die beantragten Messdaten geht das Gericht in der Begründung dann gar nicht mehr ein (AG Nördlingen, Beschluss vom 08.09.2016 – 4 OWi 99/16).

1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung des Verteidigers vom 22.06.2016 gegen die Ablehnung der Überlassung von Rohmessdaten der gegenständlichen Messung in unverschlüsselter Form, Eichschein, Lehrgangsbescheinigung und Lebensakte wird als unbegründet kostenfällig zurückgewiesen.

2. Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Gründe:

I.

Der Verteidiger des Betroffenen hat mit Schreiben vom 22.06.2016 gegen die Versagung der Akteneinsicht in Eichschein, Lehrgangsbescheinigung, Lebensakte und Überlassung von Rohmessdaten bezüglich der erfolgten Messung am 19.04.2016 von 13.24 Uhr bis 19.10 Uhr Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt.

II.

Für die Entscheidung über den Antrag ist gemäß §§ 52 ll, 62 II 1, 68 OWiG iVm. § 44 GZVJu das Amtsgericht Nördlingen zuständig.

Der Antrag ist zulässig, jedoch unbegründet und kann daher keinen Erfolg haben. Die Verwaltungsbehörde hat vorliegend jeweils zu Recht und mit zutreffender Begründung den Antrag zurückgewiesen.

Ein Anspruch des Verteidigers auf Einsicht in die Lebensakte des Messgerätes besteht nicht. Bei Eichurkunden, Lebensakten und Lehrgangsbescheinigungen des Messpersonals handelt es sich um innerdienstliche Urkunden, welche nicht zu den Akten zählen.

Ein solcher Anspruch folgt nicht aus § 147 I StPO i.V.m. § 46 OWiG. Denn diese Vorschrift gewährt nur ein Akteneinsichtsrecht in die Akten, “die dem Gericht vorliegen oder diesem im Falle der Erhebung der Anklage vorzulegen wären“. Hierzu gehören nur die Akten und Aktenteile, einschließlich Bild- und Tonbandaufnahmen, auf welche der Schuldvorwurf in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gestützt wird, und die zur Begründung des Ausspruchs über die Rechtsfolgen herangezogen werden (Karlsruher Kommentar-Kurz, OWiG, § 60, Rn 97). Regelmäßig werden Schuldspruch und Rechtsfolgen aber nicht auf den Inhalt von Lebensakte und Bedienungsanleitung gestützt, weil diese nicht beigezogen werden.

Das Gericht ist auch nicht verpflichtet, die Lebensakte nach § 244 II StPO i.V.m. § 46 OWiG beizuziehen und einzusehen. Soweit eine Lebensakte geführt wird, geschieht dies auf freiwilliger Basis der Verwaltungsbehörde. Denn die Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) hat in ihrer ‘Stellungnahme zur Forderung nach Herausgabe von Lebensakten von Geräten, deren Bauart von der PTB für die amtliche Überwachung des Straßenverkehrs zugelassen worden ist’ aus dem Januar 2004 erklärt: “Zu berücksichtigen ist, dass jedes geeichte Gerät eichamtlich gesichert ist, so dass Reparaturen oder sonstige Eingriffe nur nach Brechen von eichamtlichen Siegeln, Plomben u.ä. möglich sind.” Aus diesem Grund ist die beweiserhebliche Frage, ob die Eichsiegel bei der Messung unversehrt waren; nicht jedoch, was in der Lebensakte steht.

Soweit teilweise vertreten wird, das Recht auf Akteneinsicht umfasse alle Unterlagen, die auch einem Sachverständigen zur Verfügung gestellt würden, vermag dem nicht gefolgt zu werden. Ein solches Recht besteht grundsätzlich nicht (BGH, Beschluss vom 14.07.1995, Az.: 3 StR 355/94,: Meyer-Goßner, StPO, § 147, Rn. 18b), weil Beweismittel i.S.d. der StPO das Gutachten ist und nicht die Unterlagen, die zu seiner Entstehung geführt haben.

Die Vorlage eines Gerätes beim Sachverständigen erfolgt zudem auch erst, wenn sich Zweifel an der Ordnungsgemäßheit der Messung ergeben. In diesem Fall werden Lebensakte und Bedienungsanleitung zusammen mit dem Messgerät dem Sachverständigen vorgelegt, weil sie eine Einheit bilden. Das Begehren, Einsicht in Unterlagen zu erhalten, die nicht zur Akte gehören, weil sie regelmäßig für das Verfahren nicht benötigt werden, ist ein Beweisermittlungsantrag ohne dass hinreichend dargetan ist, welchen Bezug dies zum konkreten Fall hat.

Soweit ein Anspruch auf Einsicht in die Lebensakte und die Bedienungsanleitung teilweise aus den Grundsätzen des fairen Verfahrens und der effektiven Verteidigung hergeleitet wird, überzeugt dies nicht. Denn zum einen gibt es inzwischen Handbücher speziell für die Verteidigung bei Ordnungswidrigkeiten, welche auf den Bedienungsanleitungen basieren und die rechtlich und technisch relevanten Fragen darstellen. Diese bieten dem Betroffenen die Möglichkeit, sich mit Messergebnissen und Zeugenaussagen kritisch auseinanderzusetzen.

Nach alledem war der Antrag des Verteidigers als unbegründet zurückzuweisen.

Diese Entscheidung ist gemäß § 62 II S.3 OWiG unanfechtbar.

Kosten: 62 II 2 OWiG iVm § 473 I 1 StPO.