Iwouldstay, Wikimedia Commons

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Der Beklagte zu 1 stand mit einem Bus an einer Haltestelle auf dem rechten Fahrstreifen. Fahrgäste stiegen ein und aus. Die Zeugin begab sich mit ihrem Pkw auf die Gegenfahrbahn, um an dem Bus vorbeizufahren. Sie beabsichtigte, vor dem Bus am rechten Fahrbahnrand an einer Feuerwehreinfahrt zu parken und scherte mit einem Abstand von ungefähr 50 cm vor dem Bus ein. Dabei fuhr der Bus ohne Benutzung des Fahrtrichtungsanzeigers an und es kam zum Zusammenstoß. Das OLG Frankfurt stört sich an dem Parken in unmittelbarer Nähe zur Feuerwehreinfahrt und auch dem geringen Abstand, mit dem die Zeugin vor dem Bus eingeschert ist. Sie treffe daher eine Haftung in Höhe von 40 % (OLG Frankfurt, Urteil vom 09.09.2014, Az. 16 U 63/14).

Die Klägerin hat gegen die Beklagten keinen über 60 % hinausgehenden Schadensersatzanspruch aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, Abs. 3, 18 StVG, 115 VVG.

Wie es zu dem Unfall gekommen ist, ist mittlerweile unstreitig. Danach stand der von dem Beklagten zu 1 gesteuerte Bus an einer Haltestelle, die sich auf dem rechten Fahrstreifen befand, um Fahrgäste aus- und einsteigen zu lassen. Die Zeugin A fuhr unter Benutzung der Gegenfahrbahn an dem Bus vorbei und scherte mit einem Abstand von ca. 50 cm vor dem Bus nach rechts ein, um vor diesem am rechten Fahrbahnrand zu parken. In diesem Augenblick fuhr der Bus ohne zu blinken nach vorne an und kollidierte mit der hinteren linken Seite des klägerischen Fahrzeugs.

Nicht im Streit steht, dass der Beklagte zu 1 gegen § 10 StVO verstoßen hat. Danach muss, wer vom Fahrbahnrand aus anfahren will, sich so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Zudem muss er nach S. 2 die Absicht anzufahren rechtzeitig und deutlich unter Verwendung des Fahrrichtungsanzeigers ankündigen. Zum einen hat der Beklagte zu 1 beim Anfahren den Blinker nicht betätigt; zum anderen hat er nicht auf das Fahrzeug der Klägerin geachtet, das für ihn sichtbar gewesen sein muss, da es sich unmittelbar neben bzw. vor ihm befand.

Entgegen der Auffassung der Klägerin stellt der Unfall für sie kein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG dar. Das Landgericht hat zutreffend angeführt, dass sich ein Fahrer, der mit Erfolg die Unabwendbarkeit des Unfallgeschehens einwenden möchte, wie ein Idealfahrer verhalten und in der bestimmten Verkehrssituation alle möglichen und naheliegenden Gefahrenmomente sowie fremde Fahrfehler in die von ihm anzustellende Gefahrenprognose einbeziehen muss. Zudem kommt es bei der Frage der Unabwendbarkeit nicht nur darauf an, wie sich ein Idealfahrer verhalten hätte, sondern auch darauf, ob ein Idealfahrer überhaupt in eine solche Gefahrenlage geraten wäre (vgl. Heß, in: Burmann/Heß/Jahnke/ Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. A., § 17 StVG Rn. 8 mit Rechtsprechungsnachweisen). Ein Idealfahrer hätte mit der Gefahr gerechnet, dass der Bus, der nicht parkte, sondern lediglich Fahrgäste ein- und aussteigen ließ, wieder anfahren würde; er wäre demnach nicht mit einem geringen Abstand von nur 50 cm vor dem an der Haltestalle stehenden Bus nach rechts zum Parken eingeschert.

Die Klägerin kann auch nicht damit gehört werden, dass es nur deshalb zum Unfall gekommen sei, weil der Bus angefahren ist. Der Umstand, dass der Beklagte zu 1 durch das Anfahren eine Unfallursache gesetzt hat, lässt keine Schlussfolgerung im Hinblick darauf zu, ob der Unfall für die Klägerin unabwendbar war oder ihr ein eigenes Mitverschulden anzurechnen ist.

Der Zeugin A kann allerdings entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht vorgeworden werden, gegen § 20 Abs. 5 StVO verstoßen zu haben. Die Vorschrift verpflichtet die Fahrer anderer Fahrzeuge, den Linien- und Schulbussen das Anfahren von gekennzeichneten Haltestellen aus zu erleichtern, indem sie auf das sonst dem fließenden Verkehr nach § 10 StVO zustehende Vorrecht kurzfristig verzichten, erforderlichenfalls sogar anhalten müssen, um dem Bus das Einordnen in den fließenden Verkehr zu ermöglichen. Allerdings setzt der Schutz des abfahrenden Linienbusses voraus, dass der Busfahrer seiner Anzeigepflicht nachgekommen ist (BGH, Beschluss vom 6.12.1978, 4 StR 130/78 = BGHSt 28, 218; Heß, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, a.a.O., § 20 StVO Rn. 9); ist dies nicht der Fall, bleibt der Vorrang des fließenden Verkehrs bestehen. Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass die Zeugin den Bus bereits überwiegend passiert hatte, als dieser sich in Bewegung setzte; zudem hat der Beklagte zu 1 sein Vorhaben anzufahren nicht angezeigt, so dass der Zeugin A nicht vorgehalten werden kann, ihm entgegen § 20 Abs. 5 StVO den Vorrang nicht gewährt zu haben.

Die Zeugin A hat auch nicht gegen § 7 Abs. 5 S. 1 StVO verstoßen. Diese Vorschrift schützt nicht den vom Straßenrand aus anfahrenden Verkehrsteilnehmer, für den § 10 StVO gilt (OLG München, Urteil vom 17.12.2010, 10 U 2926/10 = zitiert nach juris; KG Berlin, Beschluss vom 24.7.2008, 12 U 142/07 = NZV 2009, 237).

Die Zeugin hat den Bus auch nicht überholt i.S.d. § 5 StVO; ein Bus, der zum Fahrgastwechsel an einer Haltstelle hält, wird nicht überholt, da er sich nicht in Bewegung befindet oder mit Rücksicht auf die Verkehrslage anhält; vielmehr wird an ihm im Sinne des § 6 vorbeigefahren (Heß, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, a.a.O. § 5 StVO Rn. 2a). § 6 regelt nicht die Pflichten des Vorbeifahrenden gegenüber dem haltenden Verkehrsteilnehmer; sie ergeben sich aus § 1 (Heß, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, a.a.O. § 6 StVO Rn.1).

Der Zeugin ist jedoch ein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vorzuwerfen, indem sie mit einem Abstand von lediglich 50 cm vor dem Bus einscherte, um vor ihm zu halten bzw. zu parken. Die Klägerin kann nicht damit gehört werden, dass ein halber Meter Abstand zum Einscheren vor einem Hindernis mehr als ausreichend sei, um mit einem Kleinwagen gefahrlos einparken zu können. Es ging nicht darum, dass die Zeugin vor einem statischen Hindernis einparken wollte; vielmehr hat sie sich knapp vor einen Bus gesetzt, von dem sie annehmen musste, dass er alsbald wieder anfahren würde. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die Haltestelle, an der der Beklagte zu 1 stand, mit dem Zeichen 224 der Anlage 2 zur StVO gekennzeichnet war. Dieses Kennzeichen beinhaltet in Verbindung mit § 41 Abs. 1 StVO das Verbot, bis zu 15 m vor und hinter dem Zeichen zu parken. Dies zeigt, dass ein Bus in besonderem Maße des Platzes zum Rangieren bedarf und in der Annäherung an einen im Bereich einer Haltestelle haltenden Linienbus erhöhte Rücksichtnahmepflichten bestehen. Zudem hat die Zeugin im Rahmen ihrer Vernehmung vor dem Landgericht selbst eingeräumt, dass es sich nicht um einen richtigen Parkplatz, sondern um eine Feuerwehreinfahrt handelte, an der sie parken wollte. Auch wenn der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat unter Hinweis auf die in Augenschein genommenen Lichtbilder erklärt hat, dass die Zeugin lediglich einige Zentimeter mit dem Fahrzeug in der Einfahrt gestanden hätte, wenn sie hätte einparken können, vermag der Senat aufgrund der eigenen Angabe der Zeugin nicht zu erkennen, dass es sich um einen regulären Parkplatz gehandelt hätte. Auch der Beklagte zu 1 hat in seiner mündlichen Anhörung angegeben, dass es sich um eine Feuerwehreinfahrt gehandelt habe und die Zeugen da nicht habe parken dürfen.

Die von dem Landgericht vorgenommene Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Der Beklagte zu 1 ist beim Anfahren nicht nach links in den fließenden Verkehr eingeschert, sondern beim Vorrollen mit dem Fahrzeug der Klägerin kollidiert. Auch wenn der Beklagte zu 1 verpflichtet war, eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen und er nicht geblinkt hat, lag es für ihn nicht auf der Hand, dass sich die Zeugin dicht vor ihn setzen würde, da es sich nicht um eine Fahrspur des fließenden Verkehrs handelte und er aufgrund der Feuerwehreinfahrt auch nicht mit dicht vor ihm einscherenden Parkverkehr rechnen musste. Demgegenüber hat die Zeugin die besondere Situation nicht beachtet. Sie hat sich dicht vor den Bus gesetzt, obwohl sie davon ausgehen musste, dass der Bus alsbald anfahren würde.

Der Verursachungsanteil der Klägerin tritt auch nicht wegen einer überwiegenden Betriebsgefahr des Busses zurück. Die Geschwindigkeit des Busses war noch so gering, dass sich die höhere Betriebsgefahr nicht wesentlich ausgewirkt hat.