Ist ein Betroffener dienstlich auf die Benutzung eines Kraftfahrzeugs angewiesen und kann er die Dauer des Fahrverbots nicht beispielsweise durch Urlaub, Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel oder eine Kombination verschiedener Maßnahmen überbrücken, muss der Bußgeldrichter in Erwägung ziehen, vom Fahrverbot abzusehen, wenn ansonsten sicher von einem Verlust des Arbeitsplatzes auszugehen wäre. Allerdings hält es die Rechtsprechung für zumutbar, jedenfalls bei offensichtlich unberechtigten Kündigungen eine Kündigungsschutzklage gemäß § 4 S. 1 KSchG zu erheben. Demnach muss der Tatrichter die Erfolgsaussichten einer (hypothetischen) Kündigungsschutzklage prüfen.

In einer Entscheidung des AG Tiergarten (Urt. v. 03.02.16, (342 OWi) 3022 Js-OWi 12912/15 (490/15), Volltext siehe unten) arbeitete der Betroffene als Kundenberater und Projektbetreuer in einem mittelständischen Unternehmen mit sechs Mitarbeitern, das Fenster, Türen und andere Bauelemente vertreibt. Das AG Tiergarten geht nun davon aus, dass der Betrieb „gemäß § 23 Abs. 1 S. 2 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 des Kündigungsschutzgesetzes der sog. Sozialklausel“ unterliege, weil in dem Betrieb über sechs Mitarbeiter tätig seien. Danach prüft es, ob eine (vom Betroffenen behauptete bzw. befürchtete) Kündigung den Maßstäben des KSchG standhielte.

Bis zum 31.12.2003 waren die Vorschriften des ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes anwendbar, wenn in dem Betrieb in der Regel mehr als fünf Arbeitnehmer tätig waren. In Betrieben, in denen in der Regel fünf oder weniger Arbeitnehmer tätig waren, war das Kündigungsschutzgesetz nicht anwendbar, sodass insbesondere nicht geprüft werden musste, ob die Kündigung sozial gerechtfertigt war (§ 1 Abs. 1 KSchG). Nach der bis zum 31.12.2003 geltenden Rechtslage würde der Betroffene im Fall des AG Tiergarten also dem betrieblichen Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes unterfallen, mit der Folge, dass eine soziale Rechtfertigung (§ 1 Abs. 1 KSchG) zu prüfen gewesen wäre.

Seit dem 01.01.2004 gelten die Vorschriften des ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes (mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 und des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 KSchG) nur noch für Betriebe, wenn in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt werden. Danach würde der Betroffene im Fall des AG Tiergarten dem betrieblichen Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes nicht unterfallen, mit der Folge, dass eine soziale Rechtfertigung (§ 1 Abs. 1 KSchG) nicht zu prüfen gewesen wäre.

Um den Arbeitnehmern, die zum 31.12.2003 nach altem Recht Kündigungsschutz genossen, diesen Schutz nicht zu entziehen, hat sich der Gesetzgeber in § 23 I 3 Hs. 2 KSchG für einen Bestandsschutz entschieden. Es entsteht danach ein „virtueller Altbetrieb“, für den weiterhin der frühere niedrigere Schwellenwert maßgeblich ist. Sobald der Kündigungsschutz nach altem Recht für die Arbeitnehmer in diesem virtuellen Betrieb verloren geht, also die Anzahl der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer unter den alten Schwellenwert fällt, gelten für diese „Alt-Arbeitnehmer“ die neuen Schwellenwerte. Für Arbeitnehmer, die ihre Beschäftigung in dem Betrieb erst nach dem 31.12.2003 begonnen haben, gelten generell die neuen Schwellenwerte. Es käme im Fall des AG Tiergarten also zunächst darauf an, ob der betroffene Arbeitnehmer schon am 31.12.2003 in dem Betrieb beschäftigt war. Hinzu kommen müsste, dass zusammen mit ihm seit dem 31.12.2003 bis heute in der Regel mehr als fünf sog. Alt-Arbeitnehmer tätig waren.
Aus dem Urteil ergibt sich aber weder, ob der Betroffene seit spätestens dem 31.12.2003 ununterbrochen in dem Betrieb beschäftigt war, noch ob dort vor dem 01.01.2004 insgesamt mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt waren und es noch immer unverändert sind. Auf der Grundlage dieser Feststellungen kann nicht von der Anwendbarkeit des KSchG im Falle des Betroffenen ausgegangen werden. Das heißt jedoch nicht, dass der Arbeitnehmer dann vollkommen schutzlos gestellt wäre. In Fällen, in denen das KSchG nicht anwendbar ist, genießt ein Arbeitnehmer allgemeinen Kündigungsschutz, insbes. über §§ 138, 242 BGB (Dütz/Thüsing, Arbeitsrecht, 19. Aufl. 2014, § 9 Rn. 396).

Nachdem das Gericht dennoch die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes bejaht hat, prüft es, inwiefern das einmonatige Fahrverbot eine Kündigung des Arbeitnehmers rechtfertigen könnte. Eine Kündigung komme nach dem LAG Mecklenburg-Vorpommern (Urt. v. 16.08.2011, 5 Sa 295/10) regelmäßig nicht in Betracht, wenn die Zeit des Arbeitsausfalls durch die Inanspruchnahme von Urlaub überbrückt werden könne. Die Heranziehung dieses Urteils überzeugt nicht, weil es in dem Fall des LAG Mecklenburg-Vorpommern um einen Berufskraftfahrer ging. Im Fall des AG Tiergarten ist der Arbeitnehmer aber Kundenberater und Projektbetreuer. Selbst wenn dies berufsbedingt erfordert, dass Kunden zu Hause aufgesucht werden, so spricht vieles dafür, dass – besonders im Großraum Berlin – auch öffentliche Verkehrsmittel genutzt werden können. Sollte dies zeitlich nicht möglich sein, so könnte der Arbeitnehmer auf eigene Kosten ein Taxi nutzen oder sich unter Umständen von Freunden und Bekannten fahren lassen. Insofern ist die Tätigkeit eines Kundenberaters und Projektbetreuers nicht mit der eines Berufskraftfahrers vergleichbar.

Bei der Prüfung, ob die personenbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt ist, erläutert das AG Tiergarten weiter, dass „die verbleibende Zeit der personenbedingten Verhinderung des Beschäftigten von zwei Wochen eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen“ vermag. Warum bei der Prüfung von § 1 Abs. 1 KSchG plötzlich über eine außerordentliche Kündigung gesprochen wird, ist nicht nachvollziehbar. Normativer Anknüpfungspunkt für eine außerordentliche Kündigung ist § 626 BGB. Danach ist für eine außerordentliche Kündigung ein wichtiger Grund erforderlich. § 13 Abs. 1 S. 1 KSchG stellt klar, dass die Vorschriften über das Recht zur außerordentlichen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses durch das KSchG nicht berührt werden.

Im Sinne einer Überdies-Prüfung weist das AG Tiergarten zudem darauf hin, dass eine „(personenbedingte) Kündigung“ allenfalls dann zu rechtfertigen sei, wenn der Arbeitnehmer zuvor arbeitsrechtlich wegen vergleichbarer Verstöße abgemahnt worden sei. Zutreffend ist, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis als personenbedingter Kündigungsgrund angesehen wird (siehe dazu z.B. Stoffels in BeckOK, Arbeitsrecht, 38. Edition, 01.12.2015, § 626 BGB, Rn. 141; Preis in Staudinger, BGB, 2012, § 626 BGB, Rn. 216) Nach dem BAG (Urt. v. 28.01.2010, 2 AZR 764/08) ist eine Abmahnung bei personenbedingten Kündigungen aber jedenfalls dann entbehrlich, wenn der Arbeitnehmer nicht bereit ist, an der an sich möglichen Behebung des personenbedingten Leistungshindernisses mitzuwirken. Bei einem Fahrverbot ist es dem Betroffenen nicht möglich an der Behebung des Hindernisses mitzuwirken, da es sich der Beeinflussung durch den betroffenen Arbeitnehmer entzieht. Somit kommt eine Abmahnung nicht in Betracht.

Im Übrigen kann man verschiedene Passagen im Urteil so verstehen, dass das Gericht dem Betroffenen eine Beweislast auferlegt hat, wenn es feststellt, dass der Betroffene zum Überbrücken der Fahrverbotsdauer mittels Urlaub oder bisheriger Abmahnungen durch den Arbeitgeber „nichts vorgetragen“ habe. Das OLG Karlsruhe (Beschl. v. 02.11.2015, 3 (5) SsBs 575/15) hat kürzlich daran erinnert, dass auch insoweit der Bußgeldrichter von Amts wegen die Wahrheit zu erforschen hat. Daher hätte es nahegelegen, etwa zur Frage, ob der Betroffene bereits abgemahnt wurde, weitere Nachforschungen anzustellen, etwa den Arbeitgeber als Zeugen zu vernehmen.

Im Ergebnis überzeugen die Ausführungen des AG Tiergarten jedenfalls nicht, wenn damit begründet werden soll, dass die hypothetische Kündigung „offenkundig“ ungerechtfertigt ist.

I. Der Betroffene ist Angestellter eines mittelständischen Unternehmens mit sechs Mitarbeitern, das Fenster, Türen und andere Bauelemente vertreibt. Er arbeitet dort als Kundenberater und Projektbetreuer. Das vom Betroffenen erzielte Einkommen ist nicht bekannt.

Der Betroffene ist verkehrsrechtlich vorbelastet. Unter dem 12.01.2015 erging durch den zuständigen Kreis H. wegen eines Geschwindigkeitsverstoßes außerhalb geschlossener Ortschaften um 22 km/h ein bestandskräftiger Bußgeldbescheid über 70,00 €.

II. Nachdem der Betroffene seinen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid des Polizeipräsidenten in Berlin vom 18.09.2015 auf die Rechtsfolge beschränkt hatte, war nur noch insoweit zu entscheiden.

Die Rechtsfolge für den qualifizierten Rotlichtverstoß hat das Gericht der Bußgeldkatalogverordnung nebst Anlage entnommen. Im Bußgeldkatalog ist unter Nr. 132.3 neben einer Geldbuße von 200,00 € ein einmonatiges Fahrverbot vorgesehen. Da der Rotlichtverstoß keinerlei Besonderheiten aufweist, demgegenüber aber der Betroffene ausweislich des verlesenen Auszugs aus dem Fahreignungsregister des Kraftfahrt-Bundesamtes einschlägig vorbelastet ist, hat das Gericht die Geldbuße angemessen auf 220,00 € erhöht. Daneben hat es das gesetzlich vorgesehen Fahrverbot von eine Monat verhängt. Soweit der Betroffene vorgetragen hat, das Fahrverbot stelle für ihn eine unzumutbare wirtschaftliche Härte dar, weil er befürchten müsse, wegen des zu vollstreckenden Fahrverbots seinen Arbeitsplatz zu verlieren, kann dem nicht gefolgt werden. Bei der insoweit gebotenen besonders kritischen Prüfung des Vortrags des Betroffenen (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 23.04.2014 – 2 SsBs 14/14) ist in den Blick zu nehmen, dass ohnehin nur dann von einem Fahrverbot abgesehen werden kann, wenn das Gericht davon überzeugt ist, dass der behauptete Arbeitsplatzverlust die unausweichliche Folge des Fahrverbots ist (OLG Hamm, Beschluss vom 29.04.2004 – 4 Ss OWi 256/04 – juris; OLG Koblenz aaO). Daran fehlt es, wenn dem Betroffenen zuzumuten ist, durch eine Kombination von verschiedenen Maßnahmen (Urlaub, Benutzung anderer Verkehrsmittel usw.) die Zeit eines Fahrverbots zu überbrücken und für die dadurch entstehenden finanziellen Belastungen notfalls einen Kredit aufzunehmen (KG VRS 127, S. 259 – 261; Beschluss vom 04.12.1996 – 3 Ws (B) 503/96 – juris9). Dazu, ob der Betroffene in der Lage wäre, das Fahrverbot durch entsprechende Maßnahmen wie insbesondere Urlaub abzufangen, hat er indes nichts vorgetragen. Schon deswegen begegnet die Behauptung des Betroffenen, der Arbeitgeber werde ihm, sollte das Fahrverbot vollstreckt werden müssen, durchgreifenden Bedenken.

Hinzu tritt, dass von einem Arbeitsplatzverlust als sichere Folge des Fahrverbots nur dann gesprochen werden kann, wenn die drohende Kündigung nicht nur behauptet wird, sondern zumindest rechtlich nicht völlig aussichtslos erscheint. Es ist dem Betroffenen zumutbar, sich gegen eine offenkundig unberechtigte arbeitsrechtliche Kündigung gerichtlich zu wehren (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 10.03.2006 – 2 Ss – Owi 86/06 – juris; OLG Koblenz aaO).

Im vorliegenden Fall erscheint die Kündigung des Betroffenen auf der Grundlage des von ihm Vorgetragenen als von vorneherein aussichtslos.

Der Betrieb des Betroffenen verfügt ausweislich seines eigenen Vortrags über sechs Mitarbeiter und unterliegt damit gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 des Kündigungsschutzgesetzes der sog. Sozialklausel. Unter Berücksichtigung der dadurch verschärften Anforderungen an eine Kündigung des Arbeitgerbers ist zwar anerkannt, dass bei einem Berufskraftfahrer der Entzug der Fahrerlaubnis als Grund für eine Kündigung ausreichend ist. Denn in diesem Fall ist der Arbeitnehmer auf unabsehbare Zeit nicht mehr in der Lage, seine vertragliche Arbeitsleistung zu erbringen (BAG DB 2009, 123). Davon kann bei einer lediglich befristeten Hinderung des Arbeitnehmers indes nicht die Rede sein. Ist das Fahrverbot – wie hier – auf einen Monat beschränkt und könnte der Arbeitnehmer diesen Monat weitgehend durch Inanspruchnahme von Urlaub überbrücken, kommt eine Kündigung regelmäßig nicht in Betracht (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 16.08.2011 – 5 Sa 295/10 – juris). Selbst wenn dem Arbeitnehmer lediglich der durch § 7 Abs. 2 Satz 2 des Bundesurlaubsgesetzes eingeräumte mindestens zusammenhängende Urlaub von 12 Werktagen gewährt wird, vermag die verbleibende Zeit der personenbedingten Verhinderung des Beschäftigten von zwei Wochen eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen (OLG Frankfurt aaO). Ohnehin wäre der Arbeitgeber während dieser Zeit von der Lohnzahlungspflicht entbunden (Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 8. Aufl., Randnummer 750 f.). Eine (personenbedingte) Kündigung könnte allenfalls dann zu rechtfertigen sein, wenn der Arbeitnehmer wegen vergleichbarer Verstöße zuvor arbeitsrechtlich abgemahnt wurde (LAG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 04.09.2006 – 14 Sa 635/16 – juris). Ansonsten hätte es der Betroffene, der dazu nichts vorgetragen hat, (im Zusammenwirken mit seinem Arbeitgeber) in der Hand, nach eigenem Gutdünken die Verhängung von Fahrverboten durch Aussprechen offenkundig ungerechtfertigter Kündigungen zu verhindern.

Ebenso wenig reicht das vom Betroffenen behauptete berufliche Angewiesensein auf die Fahrerlaubnis aus, um ein Absehen von der Auferlegung eines Fahrverbots zu rechtfertigen (vgl. KG, Beschluss vom 31.10.2014 – 3 Ws (B) 487/14 – juris).

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 465 StPO in Verbindung mit § 46 OWiG.