Quelle: Kintaiyo, Wikimedia Commons

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Der Beklagte ging mit seinem Hund einen landwirtschaftlichen Weg entlang, wobei der Beklagte sich am rechten Rand des Weges befand, sein Hund am linken Rand. Der Hund zog eine Leine, ohne dass der Beklagte sie hielt, hinter sich her. In gleicher Richtung näherten sich die Klägerin und ihr Ehemann auf Fahrrädern. Nach Klingeln der Klägerin pfiff der Beklagte dem Hund, der zunächst nicht reagierte. Plötzlich lief der Hund von der linken auf die rechte Seite des Weges, so dass die Klägerin stark bremste und stürzte. Ein Mitverschulden musste sich die Klägerin nicht anrechnen lassen: Das Gericht sieht unabhängig von einer Tiergefahr eine erhöhte Fahrlässigkeit des Beklagten dadurch, dass er entgegen einer örtlichen Polizeiverordnung den Hund, auf den er durch Zuruf nicht einwirken konnte, mit einer “Schleppleine” auf der gegenüberliegenden Seite des Weges laufen lies, während sich die Klägerin ordnungsgemäß verhalten hat. Sie sei insbesondere nicht verpflichtet, beim Annähern an den Hund vom Fahrrad abzusteigen und dieses zu schieben (LG Tübingen, Grundurteil vom 12.05.2015, Az. 5 O 218/14).

Der Sturz der Klägerin und ihre Begegnung mit dem freilaufenden Hund des Beklagten stand in einem unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang. Unter diesen Umständen spricht bereits ein Anscheinsbeweis für die Verursachung des Sturzes durch den Hund, weil dieser nicht mit einer Leine mit dem Beklagten verbunden war, sondern vielmehr die Leine, insoweit gefahrerhöhend, hinter sich herzog, obwohl gem. § 13 der Polizeiverordnung der Gemeinde E auf diesem Weg der Hund angeleint hätte sein müssen. Die Voraussetzungen nach der Polizeiverordnung, unter denen der Hund hätte frei laufen dürfen, waren, wie sich aus dem unstreitigen Sachverhalt ergibt, ersichtlich nicht gegeben. Der Hund war gerade nicht so ausgebildet, dass er jederzeit durch Zuruf zu einem Verhalten veranlasst werden konnte, das die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer vermeidet. Der Hund hat auf den Pfiff zunächst überhaupt nicht reagiert, danach hat er in einer für das Tier typischer Weise unberechenbaren und nicht dem Denken eines Verkehrsteilnehmers entsprechenden Art und Weise reagiert und damit auch zugleich die typische Tiergefahr verwirklicht. Die Polizeiverordnung stellt ein Schutzgesetz gem. § 823 Abs. 2 BGB dar. Der Anscheinsbeweis ist auch nicht erschüttert worden durch die Einlassung des Beklagten. Der Beklagte haftet danach gem. § 833 BGB für die Folgen des von seinem Hund verursachten Unfalls. (Vgl. insoweit insgesamt OLG Hamm, Urteil vom 21. Juli 2008, Az. 6 U 60/08). Soweit das Oberlandesgericht Frankfurt, Urteil vom 4.6.2002, Az. 8 U 23/02, eine andere Betrachtungsweise vornimmt, kann dieser nicht gefolgt werden. Das Oberlandesgericht Frankfurt legt dabei eine Handlungsweise des Hundes zu Grunde, die eher einem menschlichen Verkehrsteilnehmer entspricht. So wird dort ausgeführt, dass im dortigen Fall das Tier, wie auch hier, für die Klägerpartei über einen längeren Zeitraum gut sichtbar gewesen ist und das Verhalten des Tieres für den Kläger vorhersehbar gewesen ist. Der vorliegende und hier zu entscheidende Fall zeigt geradezu beispielhaft, dass das Tier sich eben nicht wie ein menschlicher Verkehrsteilnehmer verhält, sondern urplötzlich und unkalkulierbar sowie unvorhersehbar in die eine oder andere Richtung, aus welchen Gründen auch immer, von seiner bis dahin gewählten Streckenführung abrupt abweichen kann. Dies stellt gerade das tierische Verhalten dar. Dessen unberechenbares Risiko wollte der Gesetzgeber nicht Dritten, sondern dem Tierhalter zuweisen.

Der Beklagte hat zudem vorliegend auch fahrlässig im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB gehandelt. Die Fahrlässigkeit bestand zum einen darin, den nicht ausreichend folgsamen Hund auf dem auch von Radfahrern frequentierten Weg frei laufenzulassen, zumal entgegen der Polizeiverordnung; die Fahrlässigkeit wird noch dadurch erhöht, dass der Hund die Leine hinter sich herziehen durfte, was im Zusammentreffen mit Radfahrern die Gefährdungssituation für die Radfahrer noch weiter erhöhen kann, wenn beispielsweise die Leine sich mit dem Fahrrad verhakt oder beim Queren des Weges durch den Hund den Weg vollständig sperrt. Die hinter dem Hund hergeschleppte Leine macht zudem insoweit ein Ausweichen oder Passieren für den Radfahrer nochmals deutlich schwerer. Der Fahrlässigkeitsvorwurf erhöht sich noch dadurch, dass der freilaufende Hund nicht auf der Straßenseite lief, die der Beklagte benutzte, sondern die gegenüberliegende Straßenseite benutzte, so dass er zwangsläufig bei jedem Zuruf, auch wenn er diesen ordnungsgemäß gefolgt hätte, den restlichen Verkehrsraum zwischen der linken und der rechten Straßenseite hätte queren (und mit der Schleppleise sperren) müssen, das heißt genau den Verkehrsraum, den andere Passanten und Verkehrsteilnehmer hätten nutzen müssen.

Die Klägerin muss sich auch kein Mitverschulden gem. § 244 BGB entgegenhalten lassen. Irgendeine fehlerhafte Verhaltensweise, konkret eine anders mögliche, den Unfall vermeiden könnende Fahrweise, ist weder substantiiert vorgetragen noch bewiesen worden. Der Klägerin hätte allein vorgeworfen werden können, ihr Fahrrad bei Annäherung an den die Schleppleine hinter sich herziehenden Hund ihr Fahrrad nicht komplett zum Stillstand gebracht zu haben, abgestiegen zu sein und das Fahrrad dann vorsichtig am Hund entlang geschoben zu haben. Eine derartige Verhaltensweise widerspricht jedoch der Teilnahme am Verkehr auf einem asphaltierten landwirtschaftlichen Verbindungsweg. Es ist weder eine straßenverkehrsrechtliche Vorschrift noch eine Sorgfaltspflicht erkennbar oder begründbar, die von einem Radfahrer mehr verlangen würde, als seine Geschwindigkeit zu reduzieren und langsam zu passieren. Dies hat die Klägerin unbestritten getan. Im Übrigen ist das Gericht auch aufgrund des Alters der Klägerin davon überzeugt, dass es sich bei ihr nicht um eine rasende Radfahrerin gehandelt hat.