Der Beklagte zu 1) überholte ein anderes Fahrzeug; die Klägerin kam den Fahrzeugen entgegen. Es kam zur Kollision. Der Sachverständige stellte später fest, dass die Klägerin das Überholmanöver frühzeitig hätte erkennen und an den rechten Fahrbahnrand oder auf den Standstreifen ausweichen können. Das OLG Köln nimmt die vom LG Aachen festgelegte Haftungsquote von 80:20 zu Lasten des Beklagten zu 1) hin. Das Verhalten der Klägerin verstoße zumindest gegen § 1 Abs. 2 StVO und führe zu einer erhöhten Betriebsgefahr (Hinweisbeschluss vom 19.09.2014, Az. 19 U 83/14).
Das Landgericht hat zutreffend erkannt, dass der verstorbene Beklagte zu 1. schuldhaft gegen die „Garantiepflicht“ des § 5 Abs. 1 S. 1 StVO verstoßen hat. Dies wird von den Beklagten grundsätzlich auch nicht in Frage gestellt.
Die Garantiepflichten der StVO sind dadurch gekennzeichnet, dass eine Gefährdung oder Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen werden muss, was nach § 5 Abs. 2 S. 1 StVO beim Überholen zugunsten des Gegenverkehrs der Fall ist. Die Verletzung einer Garantiepflicht stellt einen besonders schwerwiegenden, die Betriebsgefahr erheblich erhöhenden, Verkehrsverstoß dar, der regelmäßig zur Alleinhaftung führt. Eine Mithaftung des Unfallgegners kommt allerdings in Betracht, wenn die Betriebsgefahr des von ihm geführten Kraftfahrzeuges durch eine eigene Sorgfaltspflichtverletzung oder einen sonstigen gefahrträchtigen Fahrvorgang ebenfalls erhöht ist. So ist es hier.
Der Klägerin ist zumindest ein Verstoß gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot gem. § 1 Abs. 2 StVO anzulasten, weil sie nach den Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. C unter Ziffer 3.3.2. im Gutachten vom 29.10.2010 (Sonderheft zur Ermittlungsakte der StA Aachen, AZ.: 603 Js 612/10) das fehlerhafte Fahrverhalten des Beklagten zu 1. in der Annäherungsphase frühzeitig hätte erkennen und unfallvermeidend an den rechten Fahrbahnrand bzw. auf den Standstreifen ausweichen können. Dies zieht die Klägerin im Berufungsverfahren auch nicht in Zweifel.
Ob darin zugleich ein Verstoß gegen § 11 Abs. 3 StVO zu erblicken ist, erscheint zumindest zweifelhaft, weil diese Vorschrift die Lösung besonderer Verkehrsanlagen im Blick hat, in denen es im Interesse des Verkehrsflusses und der Verkehrssicherheit dem sich unverschuldet in einer schwierigen Verkehrslage befindlichen, aber nicht bevorrechtigten Unfallgegner ermöglicht werden soll, durch einen Vorrangverzicht des anderen Fahrzeugführers seiner Zwangslage zu entgehen. Hierunter fallen z. B. echte Kreuzungsräumer, die Erleichterung des Fahrspurwechsels durch den geradeaus Weiterfahrenden, das Ermöglichen der Einfahrt durch Benutzung des linken Fahrstreifens an Autobahn-Einfahrten, das Ermöglichen des Einbiegens eines Lastzuges in die Straße oder des Abbiegens eines auf ihr Entgegenkommenden, um Fahrzeugschlangen hinter ihnen zu vermeiden (vgl. Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. Aufl. 2014, § 11 Rn. 4). Eine solche Verkehrslage ist hier aber eigentlich nicht gegeben, weil der Beklagte zu 1. sich durch die schuldhafte Verletzung einer Kardinalpflicht selbst in eine missliche Zwangslage gebracht hat und er mangels erkennbarer Verständigung auch nicht auf einen Vorrangverzicht der Klägerin vertrauen durfte (§ 11 Abs. 3 HS. 2 StVO).
Ebenso nicht unkritisch erscheint es, ob die Klägerin gegen das Rechtsfahrgebot gemäß § 2 Abs. 2 StVO verstoßen hat, weil diese Vorschrift an sich nur dem Schutz des erlaubtermaßen überholenden Gegenverkehrs dient (vgl. Burmann/Heß/Jahnke/Janker, a. a. O., § 2 Rn. 30).
All dies bedarf aber keiner Vertiefung, weil der Verursachungsbeitrag der Klägerin selbst bei Annahme der Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 2 Abs. 2, 11 Abs. 3 StVO im Verhältnis zu der unzweifelhaft vorliegenden Verletzung des allgemeinen Rücksichtnahmegebotes nach § 1 Abs. 2 StVO keine weitere Steigerung erführe. Denn die genannten Vorschriften begründen bei der hier vorliegenden Verkehrssituation eine – auch vom Schutzzweck her – einheitliche Verhaltensanweisung, nämlich das Gebot zumutbaren Ausweichens durch den Vorfahrtsberechtigten. Die Verhaltensgebote gehen hier quasi ineinander auf und haben nebeneinander kein eigenständiges Gewicht.
Aus diesem Grund hat es letztlich auch bei der ganz überwiegenden Haftung der Beklagten zu verbleiben. Wenn das Landgericht insoweit lediglich eine Mithaftung der Klägerin i. H. v. 20 % angenommen hat, was in etwa der einfachen Betriebsgefahr entspricht, ist dies jedenfalls im Ergebnis nicht zu beanstanden (vgl. dazu die Rechtsprechungsnachweise in Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen13. Aufl. 2013, Rn. 216; Burmann/Heß/Jahnke/Janker, a. a. O., § 5 Rn. 68, m. w. N.).
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