Quelle: Martin Vogler, Wikimedia Commons

Quelle: Martin Vogler, Wikimedia Commons

Eine psychische Beeinträchtigung nach dem Unfalltod eines nahen Angehörigen kann eine Haftung des Unfallverursachers begründen. Leichtere psychische Beeinträchtigungen sollen nach der Rechtsprechung aber nicht ausreichen. Die Besonderheit in diesem, vom BGH entschiedenen Fall (Urteil vom 27.01.2015, Az. VI ZR 548/12) war, dass der Kläger den Tod seiner Ehefrau miterlebt hat: Der Unfallverursacher geriet stark alkoholisiert und bei Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit um mindestens 58 km/h mit seinem Pkw in den Gegenverkehr, verfehlte den Kläger mit seinem Motorrad knapp und kollidierte mit dem Motorrad der Ehefrau, wodurch sie tödlich verletzt wurde. Hinzu kam, dass der Kläger wegen psychischen Belastung aus der ehelichen Wohnung ausziehen und seinen Beruf aufgeben musste. Das OLG, das die Klage abgewiesen hat, hat, so der BGH, die Anforderungen an eine Gesundheitsverletzung überspannt:

a) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hatte Dr. F. beim Kläger eine akute Belastungsreaktion nach ICD F43.9 G festgestellt. Bei der ICD handelt es sich um die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems). Sie wird von der Weltgesundheitsorganisation herausgegeben (vgl. http://apps.who.int/classifications/icd/en/, abgerufen am 13. Januar 2015). Im Kapitel V (F00-F99) der ICD werden psychische und Verhaltensstörungen beschrieben. Die Untergruppe F40-F48 befasst sich dabei mit neurotischen, Belastungs- und somatoformen Störungen. Gegenstand des Unterabschnitts F43 sind Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen, die als direkte Folge einer akuten schweren Belastung oder eines kontinuierlichen Traumas entstehen, erfolgreiche Bewältigungsstrategien behindern und aus diesem Grunde zu Problemen der sozialen Funktionsfähigkeit führen (vgl. https://www.dimdi.de/static/de/klassi/icd-10-gm/index.htm, abgerufen am 13. Januar 2015). Wie das Berufungsgericht weiter festgestellt hat, sah sich der Kläger infolge der Eindrücke aus dem Unfallgeschehen veranlasst,
aus der in seinem Eigentum stehenden ehelichen Wohnung auszuziehen und seinen Beruf als Lkw-Fahrer aufzugeben. Nach dem mangels gegenteiliger Feststellungen revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Sachvortrag des Klägers hatte ihm sein Arzt zu dem Wohnungswechsel geraten, um die Bedingungen der psychischen Verarbeitung des Unfallereignisses zu verbessern. Der Kläger musste seinen Beruf aufgeben, weil er unter fortdauernden Angstzuständen, Schweißausbrüchen und Zittern im Straßenverkehr leidet und deshalb nicht mehr in der Lage ist, ein Fahrzeug zu führen. Auch auf das Motorradfahren muss der Kläger verzichten. Diese Beeinträchtigungen gehen aber deutlich
über die gesundheitlichen Auswirkungen hinaus, denen Hinterbliebene bei der Benachrichtigung vom Unfalltod eines Angehörigen erfahrungsgemäß ausgesetzt sind.

b) Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht auch nicht berücksichtigt, dass der Senat stets dem Umstand maßgebliche Bedeutung beigemessen hat, ob die von dem “Schockgeschädigten” geltend gemachten psychischen Beeinträchtigungen auf seine direkte Beteiligung an einem Unfall oder das Miterleben eines Unfalls zurückzuführen oder ob sie durch den Erhalt einer Unfallnachricht ausgelöst worden sind (vgl. Senatsurteile vom 11. Mai 1971 – VI ZR 78/70, BGHZ 56, 163, 166 f.; vom 22. Mai 2007 – VI ZR 17/06, BGHZ 172, 263 Rn. 13 f.; vom 12. November 1985 – VI ZR 103/84, VersR 1986, 240, 241 f.; vom 16. Januar 2001 – VI ZR 381/99, VersR 2001, 874, 875 f.). So hat der Senat die Haftung des Schädigers für psychisch vermittelte Gesundheitsstörungen in den Fällen für zweifelsfrei gegeben erachtet, in denen der Geschädigte am Unfall direkt beteiligt war und dieser das Unfallgeschehen psychisch nicht verkraften konnte (vgl. Senatsurteile vom 12. November 1985 – VI ZR 103/84, VersR 1986, 240, 241; vom 22. Mai 2007 – VI ZR 17/06, BGHZ 172, 263 Rn. 14).

Die Revision macht zu Recht geltend, dass der Kläger nach den getroffenen Feststellungen nicht lediglich vom Tod seiner Ehefrau benachrichtigt wurde und deshalb einen tief empfundenen Trauerfall bewältigen musste, sondern den tödlichen Unfall seiner Ehefrau unmittelbar miterlebt hat; darüber hinaus war er selbst dem Unfallgeschehen ausgesetzt und durch das grob verkehrswidrige Verhalten des W. gefährdet. Nach dem mangels gegenteiliger Feststellungen revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Vortrag des Klägers hatte dieser, nachdem ihn das bei der Beklagten versicherte Fahrzeug um Haaresbreite verfehlt hatte, in den Rückspiegel geblickt und mit angesehen, wie seine Ehefrau mit voller Wucht von dem Fahrzeug erfasst wurde. Legt man dies zugrunde, so hat der Kläger zum einen selbst unmittelbare Lebensgefahr für sich wahrgenommen und zum anderen akustisch und optisch miterlebt, wie seine Ehefrau bei einer sehr hohen Kollisionsgeschwindigkeit als Motoradfahrerin nahezu ungeschützt von einem Auto erfasst und getötet wurde. Ein solches Erlebnis ist hinsichtlich der Intensität der von ihm ausgehenden seelischen Erschütterungen mit dem Erhalt einer Unfallnachricht nicht zu vergleichen.