Quelle: Norbert Kaiser, Wikimedia Commons

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Sehr oft müssen sich die Gerichte mit Unfällen auf Parklplätzen befassen (z. B. in LG Saar­brü­cken: Regel­mä­ßig keine Haf­tung des Fahr­schü­lers bei Verkehrsunfall). Dann stellt sich zunächst die Frage, ob die StVO anwendbar ist und, falls ja, welches Fahrzeug Vorrang hat und welches warten muss. In einem aktuellen Urteil nennt das LG Saarbrücken die verschiedenen Ansichten zu der Frage, ob und auf welchen Parkplätzen (Straßencharakter der Fahrbahnen) die Regel “rechts vor links” gilt (Urteil vom 21.11.2014, Az. 13 S 132/14):

a) Allerdings hat das Erstgericht im Ausgangspunkt zutreffend die StVO angewandt. Die StVO regelt und lenkt den Verkehr auf öffentlichen Wegen und Plätzen. Öffentlich ist ein Verkehrsraum, wenn er entweder ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten für jedermann oder aber für eine allgemein bestimmte größere Personengruppe zur Benutzung zugelassen ist und auch so benutzt wird. Eröffnet der Betreiber eines Einkaufsmarktes – wie hier – einen dazugehörigen Parkplatz für die Allgemeinheit, so sind diese Voraussetzungen jedenfalls zu den Öffnungszeiten des Einkaufsmarktes unabhängig davon erfüllt, ob die Geltung der StVO durch eine vorhandene Beschilderung ausdrücklich angeordnet ist.

b) Der Erstbeklagte war an der Unfallstelle jedoch nicht nach § 8 Abs. 1 StVO wartepflichtig, weil die Vorfahrtsregel „rechts vor links“ hier nicht anwendbar war.

aa) Nach vorherrschender Auffassung ist § 8 Abs. 1 StVO auf Parkplätzen grundsätzlich unmittelbar oder jedenfalls analog anwendbar, wenn die angelegten Fahrspuren (eindeutig) Straßencharakter haben. Wann diese Voraussetzung erfüllt ist, wird im Einzelnen unterschiedlich beurteilt und überwiegend vom Vorhandensein typischer baulicher Merkmale einer Straße abhängig gemacht.

bb) Eine andere Auffassung nimmt an, § 8 Abs. 1 StVO sei auf Parkplätzen regelmäßig unanwendbar, doch sei die allgemeine Sorgfaltspflicht des vermeintlich Wartepflichtigen in Annäherung an § 8 Abs. 1 StVO gesteigert, weil die Orientierung an der Regel „rechts vor links“ einem verbreiteten – wenngleich irrigen – Rechtsempfinden entspreche.

cc) Teilweise wird auf Parkplätzen zwar eine Wartepflicht nach § 8 Abs. 1 StVO bejaht, dem Vorfahrtsberechtigten jedoch die Berechtigung abgesprochen, auf die Einhaltung der Vorfahrt zu vertrauen, oder jedenfalls eine (mit-)haftungsbegründende gesteigerte Sorgfaltspflicht des Vorfahrtsberechtigten angenommen.

dd) Im fließenden Verkehr werden Vorfahrtsregeln eingesetzt, um die Leichtigkeit des Verkehrs zu fördern. Für die regelmäßige Anwendung von § 8 Abs. 1 StVO auch auf Parkplätzen könnte sprechen, dass die Leichtigkeit des Verkehrs – gerade auf Großparkplätzen mit hohem Verkehrsaufkommen – an ihre Grenzen stoßen kann, wenn anstelle fester Vorfahrtsregeln nur Rücksichtnahme- und Verständigungspflichten gelten. Allerdings steht auf dem Parkplatz nicht das zügige Vorankommen des Verkehrs im Vordergrund, sondern das Bemühen, den verfügbaren Platz möglichst effizient für das Parken zu nutzen und den Verkehr unter Berücksichtigung auch der Fußgängerströme und Ladevorgänge möglichst gefahrlos zu ordnen. Dabei ist insbesondere den spezifischen Gefahren des Such- und Rangierverkehrs sowie der Begegnung von Fahrzeugen und Personen Rechnung zu tragen. Dem entspricht es, die Pflichten der Verkehrsteilnehmer untereinander grundsätzlich nach § 1 Abs. 2 StVO anzunähern und § 8 Abs. 1 StVO nur anzuwenden, wenn die Fahrbahnen so eindeutig Straßencharakter haben, dass die Funktion des § 8 Abs. 1 StVO, nämlich die Schaffung und Aufrechterhaltung eines (quasi) fließenden Verkehrs, deutlich im Vordergrund steht.

Für eine restriktive Anwendung von § 8 Abs. 1 StVO spricht insbesondere auch das Gebot der Rechts- und Verkehrssicherheit. Einem Verkehrsteilnehmer, der einen ansonsten nach § 1 Abs. 2 StVO zu beurteilenden Parkplatz befährt und eine konkrete Verkehrssituation innerhalb kürzester Zeit erfassen muss, ist es nur dann zumutbar, von einer unbeschilderten Vorfahrtslage auszugehen, wenn bei beiläufiger Betrachtung am Straßencharakter kein ernstlicher Zweifel bestehen kann.

Ein anderes Verständnis müsste überdies Wertungswidersprüche in Kauf nehmen. Wollte man etwa die vorliegende „Einmündung“ nach § 8 Abs. 1 StVO beurteilen, würde man dem aus Richtung des Erstbeklagten kommenden Verkehrsteilnehmer zwar nicht zumuten, auf den von links kommenden „quasi fließenden“ Verkehr zu achten. Wenige Zentimeter vor dem Ende der Parkgasse hätte er aber gegenüber einem aus einer Parktasche ausparkenden Verkehrsteilnehmer noch nach § 1 Abs. 2 StVO jederzeit bremsbereit sein müssen. Wollte man lediglich die äußere Zuwegung als Straße qualifizieren, die Parkgasse hingegen nicht, müsste im „Einmündungsbereich“ gar § 10 Abs. 1 StVO in Betracht gezogen werden.

ee) Die danach anzulegenden – hohen – Anforderungen an den Straßencharakter werden im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Eine Fahrgasse zwischen markierten Parkreihen, wie sie der Erstbeklagte hier befuhr, bildet keine Fahrbahn mit Straßencharakter, wenn – wie regelmäßig und auch hier – die Abwicklung des ein- und ausparkenden Rangierverkehrs zweckbestimmend ist. Aber auch die Parkgassen verbindende Zuwegung, die die Klägerin befuhr, diente hier nicht dem fließenden Verkehr. Zwar besteht sie hier aus zwei breiten, mit Richtungspfeilen versehenen und durch eine Mittellinie abgetrennten Fahrbahnen. Jedoch sind diese Teil einer einheitlich geteerten Fläche, ohne dass sonstige bauliche Vorkehrungen wie Randsteine, Rinnen, Poller, Beeteinfassungen o. dgl. einen eindeutigen Straßencharakter vermitteln würden. Der gesamte Parkplatzbereich einschließlich der Verbindungsspur wird damit von den typischen Merkmalen eines Parkplatzes geprägt, die die maßgebliche Anwendung von § 1 Abs. 2 StVO – nicht die von § 8 Abs. 1 StVO – rechtfertigen.

3. Der Erstbeklagte hat jedoch gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen. Das Gebot der allgemeinen Rücksichtnahme verlangt von einem Verkehrsteilnehmer, auf Parkplätzen jederzeit bremsbereit zu fahren. Unter den vorliegenden Umständen war diese Sorgfaltspflicht noch weiter gesteigert. Denn ein Verkehrsteilnehmer an der Stelle des Erstbeklagten musste mit der nicht fernliegenden Möglichkeit rechnen, dass die Klägerin in der irrigen Annahme der Regel „rechts vor links“ ihre Fahrt fortsetzen würde. Er hätte deshalb nicht – wie geschehen – in die Zuwegung einfahren dürfen, ohne sich vorher zu vergewissern, dass die Klägerin ihm den Vortritt lassen würde.