In diesem Fall hat das OLG Stuttgart (Beschluss vom 30.05.2014, Az. 1 Ss 358/14) die Verurteilung des Angeklagten wegen fahrlässiger Körperverletzung schon deshalb aufgehoben, da unklar war, ob der die Straße überquerende Zeuge überhaupt Vorrang hatte. Denn das LG hatte nicht festgestellt, ob an dem “Fußgängerüberweg” eine Markierung nach Anlage 2 Zeichen 293 StVO vorhanden war (“Zebrastreifen”). Doch auch in diesem Fall hätte eine Pflicht des Angeklagten zum Verlangsamen nur bestanden, wenn der Wille des Fußgängers, die Straße zu überqueren, erkennbar war:
Auch ausgehend von einem entsprechend markierten Fußgängerüberweg ist das Urteil jedenfalls deshalb aufzuheben, weil das Landgericht keine Umstände festgestellt hat, nach denen der Angeklagte, dessen Ausgangsgeschwindigkeit nicht festgestellt werden konnte, verpflichtet gewesen wäre, mit einer niedrigeren als der an der Unfallstelle zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h an die Unfallstelle heranzufahren. Vor diesem Hintergrund kann die Feststellung, dass der Angeklagte den Unfall bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 40 km/h hätte verhindern können, den Fahrlässigkeitsvorwurf ebenso wenig begründen wie die Möglichkeit, dass er sich „dem Fußgängerüberweg mit einer höheren Geschwindigkeit als 40 km/h genähert hatte“. Das Landgericht hätte zugunsten des Angeklagten vielmehr davon ausgehen müssen, dass er mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h an die Unfallstelle heranfuhr. Ob er den Unfall bei dieser Ausgangsgeschwindigkeit hätte verhindern können, ist dem Urteil nicht zu entnehmen.
Eine Verpflichtung des Angeklagten, unabhängig vom Auftauchen des Geschädigten mit einer niedrigeren als der dort zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h an den Überweg heranzufahren, ergab sich nach den Urteilsfeststellungen weder aus § 26 Abs. 1 Satz 2 StVO noch aus § 3 Abs. 1 StVO.
Nach § 26 Abs. 1 Satz 2 StVO in Verbindung mit Satz 1 dieser Vorschrift muss ein Fahrzeug „dann“ – und nur dann – mit mäßiger Geschwindigkeit an einen Fußgängerüberweg heranfahren, wenn ein Fußgänger den Überweg erkennbar benutzen will. Abweichenden früheren Entscheidungen – auch derjenigen des Oberlandesgerichts Düsseldorf, auf die sich das Landgericht beruft – lag eine 1988 außer Kraft getretene Fassung von § 26 Abs. 1 Satz 2 StVO zugrunde, in der es statt „dann“ „deshalb“ hieß, was bei wörtlicher Auslegung eine allgemeine Verpflichtung zu mäßiger Geschwindigkeit vor Fußgängerüberwegen ergab. Diese Auslegung ist mit der aktuellen Fassung des Gesetzes nicht mehr vereinbar. Dass im vorliegenden Fall vor dem Auftauchen des Geschädigten ein Fußgänger den Überweg erkennbar benutzen wollte, ist dem Urteil nicht zu entnehmen.
Aus § 3 Abs. 1 StVO ergibt sich nichts anderes. Es gibt keine allgemeine Verpflichtung eines Kraftfahrers, seine Geschwindigkeit alleine deshalb zu verlangsamen, weil die nicht ausschließbare Möglichkeit besteht, ein Fußgänger könne den Überweg benutzen. Zwar kann etwas anderes gelten, wenn durch haltende oder parkende Fahrzeuge ein Teil des Überwegs oder der angrenzende Gehweg für den Kraftfahrer nicht einsehbar ist (vgl. BGH, NJW 1961, 35). Dass dem im vorliegenden Fall so gewesen wäre, ist dem Urteil aber ebenfalls nicht zu entnehmen; im Gegenteil ist ausgeführt, dass der Geschädigte bereits „auf dem Gehweg sichtbar“ war (UA S. 7).
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Verpflichtung zur Mäßigung der Geschwindigkeit selbst dann nicht besteht, wenn ein Fußgänger parallel zur Fahrbahn neben dem Überweg geht (vgl. OLG Karlsruhe, NZV 1992, 330). Vor diesem Hintergrund begründet die bloße Möglichkeit, dass ein Fußgänger aus einer „kurz hinter dem Überweg einmündenden Querstraße“ (UA S. 8) – oder auch einem nicht einsehbaren Hauseingang – auftauchen könnte, möglicherweise eine Verpflichtung zu erhöhter Aufmerksamkeit, aber noch keine zur Mäßigung der Geschwindigkeit.
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