Eine Geschwindigkeitsmessung auf einer Autobahn zeigte beim Betroffenenfahrzeug eine Geschwindigkeit “> 250 km/h” an. Nach der Bauartzulassung geht der zulässige Messbereich allerdings nur bis 250. Das AG sagt daher, dass kein standardisiertes Messverfahren vorliege und erhöht den Toleranzabzug analog zu den Fällen des Nachfahrens mit ungeeichtem Tachometer auf 20 %.

AG Karlsruhe, Urteil vom 08.06.2020 – 6 OWi 260 Js 35873/19

Der Betroffene wird wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 80 km/h zu außerhalb geschlossener Ortschaften zu einer Geldbuße in Höhe von 600,00 € verurteilt.

Dem Betroffenen wird für die Dauer von 2 Monaten verboten, Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr zu führen.

Das Fahrverbot wird erst wirksam, wenn der Führerschein nach Rechtskraft des Urteils in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von 4 Monaten seit Eintritt der Rechtskraft.

Die Kosten des Verfahrens und die eigenen notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt der Betroffene.

Angewandte Bußgeldvorschriften:
§§ 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2, 49 StVO, 24, 25 StVG

Gründe:

I.

Der Betroffene wurde am … in … geboren. Er ist ledig, ausbildungssuchend und deutscher Staatsangehöriger.

Das Fahreignungsregister enthält keine Eintragung bezüglich des Betroffenen.

II.

Der Betroffene hat am 24.04.2019 um 00:13 Uhr in Pforzheim, BAB 8, km 233,5, Fahrtrichtung Stuttgart in Richtung Karlsruhe als Führer des PKW mit dem amtlichen Kennzeichen … folgende fahrlässige Ordnungswidrigkeit begangen:

Er überschritt die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 80 km/h. Die zulässige Geschwindigkeit betrug 120 km/h, die festgestellte Geschwindigkeit (abzüglich Toleranz) belief sich auf 200 km/h.

Im Hinblick auf die ordnungsgemäß durch Verkehrszeichen 274 angeordnete Geschwindigkeitsbeschränkung, zuletzt ca. 500 m vor der Messstelle, war die Geschwindigkeitsüberschreitung für die Betroffenen auch bei geringer Aufmerksamkeit unschwer zu vermeiden.

III.

Die Feststellungen zu den Personalien und zu dem bisherigen Verkehrsverhalten des Betroffenen unter I. beruhen auf dem verlesenen Fahreignungsregister und seinen Angaben im Rahmen der Hauptverhandlung.

Die Überzeugung, dass der Betroffene den Verkehrsverstoß, so wie oben unter II. festgestellt, fahrlässig begangen hat, hat das Gericht gewonnen durch den Inhalt des verlesenen Messprotokolls (vgl. As. 12), die Inaugenscheinnahme und auszugsweise Verlesung der Lichtbilder (vgl. As. 5), dem ebenfalls verlesenen Eichschein (vgl. As 9), die verlesenen Schulungsnachweise des die Verkehrsüberwachung durchführenden Messbediensteten POK … (As. 10, 11), durch die auszugsweise verlesene XML-Datei (As. 85 ff.), die Inaugenscheinnahme des Ausdrucks des Messbildes mit der aktuellsten Version des Tuff-Viewers (As. 83) sowie das auszugsweise verlesene Gutachten des Sachverständigen … (Sonderband).

Der Betroffene hat die Fahrereigenschaft in der Hauptverhandlung eingeräumt. Auch ein Abgleich des in Augenschein genommenen Lichtbildes (As. 5), auf das gemäß § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO verwiesen und Bezug genommen wird, mit dem Betroffenen im Rahmen der Hauptverhandlung bestätigen das Übereinstimmen der folgenden Merkmale beim Betroffenen und dem aufgenommenen Fahrer: Form des rechten Ohres, Wangenpartie, Form der Nase und Augenbrauen, Lippen. Es bestanden somit keine Zweifel daran, dass es sich bei dem Betroffenen tatsächlich um den auf dem Lichtbild abgebildeten Fahrer handelt.

Von der Geschwindigkeitsüberwachungsanlage “Poliscan M1 HP” ist zur Tatzeit ein Lichtbild aufgenommen worden (vgl. As. 5), woraus sich ergibt, dass der Betroffene mit einer Geschwindigkeit von mehr als 250 km/h (vor Abzug der Toleranz) fuhr. Auf die Lichtbilder wird gemäß § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO verwiesen und Bezug genommen. Abzüglich der Gerätetoleranz von +/- 3 % bei Messwerten über 100 km/h ergibt sich – bei Annahme einer Geschwindigkeit von 250 km/h – eine Geschwindigkeit von 242 km/h. Ausweislich des Messprotokolls (vgl. As. 12) betrug die zulässige Höchstgeschwindigkeit 120 km/h.

Vorliegend bestand für das Gericht kein Anhaltspunkt für eine Fehlmessung. Durchgeführt wurde die Messung ausweislich des verlesenen Messprotokolls (vgl. As 12) mit der Geschwindigkeitsüberwachungsanlage “Poliscan Speed M1 HP” mit der Geräte-Nr. 680184, welche nach dem ebenfalls verlesenen Eichschein (vgl. As. 9) bis zum 31.12.2019 geeicht war. Durch die Verlesung der Teilnahmebescheinigungen des POK … (As. 10, 11), durch welche bestätigt wird, dass dieser bezüglich des vorliegenden Messverfahrens ausreichend geschult ist, und dessen Angaben im verlesenen Messprotokoll ist das Gericht davon überzeugt, dass das Messgerät entsprechend der Bedienungsanleitung aufgestellt und betrieben wurde.

Weiter hat der die Verkehrsüberwachung durchführende POK … in dem auszugsweise verlesenen Messprotokoll (As. 12) angegeben, dass er die Beschilderung vor der Messstelle beidseitig aufgestellt war.

Ferner ist festzuhalten, dass die Geschwindigkeitsüberwachungsanlage “Poliscan Speed M1 HP” zu den sogenannten standardisierten Messmethoden zu zählen ist. Dieses Messverfahren liefert bei sachgerechter Bedienung und Beachtung der Betriebsanleitung sowie der allgemeinen Einsatzgrundsätze – gerichtsbekannt – zuverlässige Ergebnisse (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 24.04.2017 – 1 Rb 7 Ss 156/17; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26.05.2017 – 2 Rb Ss 246/17). Mit der erfolgten Zulassung erklärt die PTB im Wege eines antizipierten Sachverständigengutachtens, dass mit dem zugelassenen Gerät ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren vorliegt, bei dem die Bedingung seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind. In solchen Fällen ist das Tatgericht grundsätzlich von weiteren technischen Prüfungen enthoben, es sei denn, es lassen sich konkrete Anhaltspunkte dahingehend finden, dass die Messung im konkreten Fall fehlerhaft verlaufen ist. Durch das teilweise verlesene Gutachten des Sachverständigen … wird bestätigt, dass die Messung aus technischer Sicht nicht zu beanstanden ist. Aus der Auswertung der Fotoposition des Fahrzeugs, der Auswertung des SMEAR-Effekts sowie der Auswertung des zusätzlichen Inhalts der XML-Datei ergibt sich ein Bruttogeschwindigkeitswert von 257 km/h, der mit dem abgebildeten Messwert auf dem Lichtbild von “> 250 km/h” plausibel in Einklang zu bringen ist.

Vorliegend wurde jedoch eine Geschwindigkeit gemessen, die außerhalb des in der Bauartzulassung des Messgeräts beschriebenen Mess- und Anzeigebereichs liegt. Das Messgerät “Poliscan Speed M1 HP” ist nur bis zu einem Bereich. von 250 km/h zugelassen. Für Bereiche, die oberhalb dieses Messbereichs liegen, ist das Messgerät somit nicht zugelassen und mithin auch nicht gültig geeicht. Ein Toleranzabzug von +/- 3 %bei Messwerten über 100 km/h ist daher im vorliegenden Fall nicht ausreichend, um der Überschreitung des Messbereichs ausreichend Rechnung zu tragen. Vielmehr ist hier eine Parallele zu ziehen zu den Fällen sogenannter “Nachfahrt”. In diesem Fällen wird die gefahrene Geschwindigkeit ermittelt, indem ein nachfolgendes Fahrzeug (zumeist durch Polizeibeamte gefahren) für eine bestimmte Strecke in einem gewissen Abstand einem weiteren Fahrzeug folgt und die gefahrene Geschwindigkeit des voran fahrenden Fahrzeugs durch Ablesen der eigenen Geschwindigkeit von der Geschwindigkeitsanzeige des Streifenwagens bestimmt. Auch in diesen Fällen liegt zumeist kein justiertes Messgerät vor. Aufgrund der fehlenden Justierung sowie zum Ausgleich weiterer Fehlerquellen ist hier – wie in Fällen der “Nachfahrt” – ein Toleranzabzug von 20 % – von dem angezeigten Messwert von 250 km/h – vorzunehmen. Die dem Betroffenen vorzuwerfende Geschwindigkeit beläuft sich somit auf 200 km/h.

Aus der fehlenden Speicherung der Rohmessdaten durch das Messgerät folgt auch kein Verstoß gegen das faire Verfahren oder eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung (OLG Oldenburg, Beschl. v. 09.09.2019 – 2 Ss(OWi) 233/19, BeckRS 2019, 20646 entgegen VerfGH Saarland v. 05.07.2019 – Lv 7/17, NZV 2019,414 ff.). In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH ist davon auszugehen, dass bei Einhaltung der Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens das gewonnene Ergebnis – unter Berücksichtigung von Toleranzabzügen – hinreichende Verurteilungsgrundlage sein kann. Die Überprüfungsmöglichkeit hingegen gehört dazu nicht. Unter dieser Prämisse hat auch bereits der BGH die Geschwindigkeitsmessung mit Lasermessgeräten als standardisiertes Messverfahren angenommen. Dass nach der Rechtsprechung des BGH eine Verurteilung bei einer Messung mit diesen Messgeräten- unter Einhaltung der aufgestellten Voraussetzungen – erfolgen darf, ohne dass es der Speicherung von Rohmessdaten bedarf, zeigt, dass eine nachträgliche Überprüfungsmöglichkeit durch die Auswertung von Rohmessdaten nicht Voraussetzung für ein faires Verfahren sein kann (LG Oldenburg, Beschl. v. 09.09.2019 – 2 Ss(OWi) 233/19, BeckRS 2019, 20646 Rn. 21 ff. mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung). Darüber hinaus zieht die fehlende Speicherung von Rohmessdaten nicht ohne Weiteres ein Beweisverwertungsverbot bezüglich des Messergebnisses nach sich. Ein Grundsatz, nach dem aus jedem Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein Verwertungsverbot nach sich zieht (“fruit of the poisonous tree”-Doktrin) ist dem deutschen Strafrecht fremd. Vielmehr hat in solchen Fällen eine Abwägung im Einzelfall, insbesondere im Hinblick auf Art des Verbots und Gewichtung des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu erfolgen. Zu berücksichtigen ist, dass die Bejahung eines Beweisverwertungsverbot den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind, als ein wesentliches Prinzip des Strafprozesses einschränkt. Die Annahme eines Beweisverwertungsverbot stellt demnach eine Ausnahme dar, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 06.11.2019 – 2 Rb 35 Ss 808/19, Rn. 9 f.- juris). Unter diesen Gesichtspunkten ist die Annahme eines Beweisverwertungsverbots in der vorliegenden Fallgestaltung nicht gerechtfertigt. Ansonsten würde der Bedeutung der technischen Prüfung durch die PTB nicht hinreichend Rechnung getragen – hält ein Messgerät bei dieser Prüfung unter Berücksichtigung der Verwendungssituation alle Anforderungen bezüglich Messrichtigkeit und Messbeständigkeit ein, kann davon ausgegangen werden dass es dies auch beim Einsatz unter gleichen Bedingungen tut (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 06.11.2019-2 Rb 35 Ss 808/19, Rn. 7 m.w.N., 10-juris).

Dass der Betroffene den Verstoß vorsätzlich begangen hat, kann nicht nachgewiesen werden. Er gibt an, er habe nicht richtig aufgepasst und daher nicht auf die Schilder geachtet. Dies kann ihm nicht widerlegt werden.

IV.

Der Betroffene hat somit

fahrlässig entgegen § 41 StVO eine durch Vorschriftszeichen gegebene Anordnung nicht befolgt,

zu ahnden als fahrlässiger Verstoß des Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gem. §§ 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2, 49 StVO, 24 StVG.

V.

Bei der Bestimmung der Geldbuße war vom Bußgeldrahmen der § 24 StVG, § 17 Abs. 1, 2. OWiG i.V.m. der BKatV auszugehen. Der Bußgeldkatalog sieht für das fahrlässige Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 80 km/h eine Regelgeldbuße von 600 Euro sowie die Verhängung eines Fahrverbots von drei Monaten vor.

Da der Sachverhalt nach Einschätzung des Gerichts keine Besonderheiten gegenüber dem Regelfall aufwies, erschien die Verhängung der Regelgeldbuße als angemessen und ausreichend.

Weiterhin sieht der Bußgeldkatalog ein dreimonatiges Fahrverbot vor, das gemäß § 4 Abs. 1 BKatV grundsätzlich im Regelfall anzuordnen ist. Hier lagen jedoch für das Gericht besondere Umstände vor, dieses Fahrverbot ausnahmsweise um einen Monat auf zwei Monate zu verkürzen. Entscheidend hierfür war zunächst, dass der Betroffene bisher keine Eintragungen im Fahreignungsregister aufweist. Er hat damit gezeigt, dass er grundsätzlich die Regeln des Straßenverkehres einhält. Dies gilt umso mehr, als seit dem hier in Frage stehenden Verstoß bereits mehr als ein Jahr vergangen ist – in der Zwischenzeit ist der Betroffene verkehrsrechtlich nicht mehr aufgefallen. Unter diesen Umständen ist das Gericht davon überzeugt, dass es einer Einwirkung auf den Betroffenen durch Verhängung des Regelfahrverbots von drei Monaten ausnahmsweise nicht bedarf. Hinzu kommt, dass der Betroffene im dörflichen Bereich lebt und aufgrund eines mehrfach operierten sog. Klumpfuß sein Fahrzeug in erhöhtem Maße gebraucht. Unter diesen Umständen erschien dem Gericht die Verhängung eines Fahrverbots von zwei Monaten als ausreichend, aber auch als angemessen.

Insbesondere im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation des Betroffenen – dieser ist ausbildungssuchend – hat das Gericht von einer Erhöhung der Geldbuße gemäß § 4 Abs. 4 BKatV abgesehen.

VI.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 465 Abs. 1 StPO.

Vielen Dank an Frau Rechtsanwältin Monika Zimmer-Gratz, Bous, für die Überlassung der Entscheidung.