Der gegnerische Haftpflichtversicherer kürzte die Schadensabrechnung des Klägers nach einem Verkehrsunfall um 654,84 €, da die Reparatur in einer 21,5 km vom Wohnort des Klägers entfernten Werkstatt um diesen Betrag günstiger durchgeführt werden könne als in der vom Kläger benannten (von ihm ca. 2,4 km entfernten) Werkstatt. Das AG Mannheim hat seiner Klage auf diesen Betrag stattgegeben. Auf Grund der Entfernung von mehr als 20 km sei die Verweisung für den Kläger nicht zumutbar. Zudem sei es fragwürdig und kontraproduktiv, “in Zeiten des Klimaschutzes und den zu unternehmenden Anstrengungen auf nationaler, europäischer und globaler Ebene zur Vermeidung bzw. Reduzierung eines CO2 Ausstoßes, zur Begrenzung von Erderwärmung und Klimawandel”, dem Geschädigten aufzuerlegen, lange Strecken zur Reparatur seines Fahrzeugs in Kauf zu nehmen. Das Gericht neige im Übrigen dazu, bereits die Überschreitung einer Entfernung von mehr als 50 % zu der von einem Geschädigten benannten Werkstatt als unzumutbar anzusehen. Das Argument des beklagten Versicherers, schon durch die Erhebung der Klage sei es zu CO2-Emissionen gekommen, ließ das Gericht allerdings nicht gelten.

AG Mannheim, Urteil vom 20.02.2020 – 3 C 4445/19

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 659,84 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 13.06.2019 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 17,03 € nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit 20.09.2019 zu zahlen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird jedoch nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall.

Der Kläger ist Halter und Eigentümer des Pkw VW … mit dem amtlichen Kennzeichen….

Am … war er in … in einen Verkehrsunfall verwickelt. Die daraus erwachsene Ersatzpflicht der Beklagten dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig.

Das vom Kläger nach dem Unfall eingeholte Sachverständigengutachten ergab Bruttoreparaturkosten i.H.v. 2.217,52 € (netto 1.863,46 €), einen Wiederbeschaffungswert von 1.900,00 € und einen Restwert von 73,00 €.

Auf dieser Grundlage machte der Kläger gegenüber der Beklagten mit Schreiben vom 05.06.2019 unter Fristsetzung bis zum 12.06.2019 einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 2.489,01 € geltend. Dieser setzte sich zusammen aus einem Wiederbeschaffungsaufwand i.H.v. 1.827,00 €, Gutachterkosten i.H.v. 637,01 € und einer Auslagenpauschale i.H.v. 25,00 €.

Die Beklagte regulierte daraufhin einen Teilbetrag von 1.829,17 €. Sie zahlte dabei die Gutachterkosten in der geltend gemachten Höhe. Die Auslagenpauschale bezahlte sie nur i.H.v. 20,00 € und 1.172,16 € zahlte sie auf „Reparaturkosten“.

Die verbleibende Differenz in Höhe von 659,84 € wird nun vom Kläger mit der Klage geltend gemacht.

Er behauptet, die vom Sachverständigen ermittelten Reparaturkosten (brutto) würden den Wiederbeschaffungswert übersteigen. Daher sei er befugt, den Schaden auf Wiederbeschaffungsbasis (Ersatz des Wiederbeschaffungsaufwandes) abzurechnen.

Der Kläger beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 659,84 € nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 13.06.2019 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 17,03 € nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt:

Die Klage wird abgewiesen.

Sie behauptet, die geltend gemachten Reparaturkosten seien in dieser Höhe nicht ersatzfähig. Würde man die tatsächlich ersatzfähigen fiktiven Reparaturkosten i.H.v. 1.172,16 € zu Grunde legen, befänden sie sich unter dem Wiederbeschaffungsaufwand. Daher könne der Kläger nur diese fiktiven Reparaturkosten geltend machen.

Die vom Kläger angesetzten Reparaturkosten seien deshalb zu hoch, da er sich auf eine günstigere Werkstatt verweisen lassen müsse. Diese berechne sowohl für die Stundensätze als auch für Lackier- und Verbringungskosten weniger, als vom Sachverständigen in Anschlag gebracht. Es sei dem Kläger insbesondere auch nicht unzumutbar, sich auf diese Werkstatt aufgrund der Distanz zu seinem Wohnort (21,5 km) verweisen zu lassen.

Daneben sei auch die Kostenpauschale übersetzt und nicht in der geltend gemachten Höhe ersatzfähig. Anwaltskosten seien übersetzt bzw. noch nicht bezahlt.

Die letzte mündliche Verhandlung hat am 23.01.2020 stattgefunden, auf das Verhandlungsprotokoll wird verwiesen (AS 153). Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist in vollem Umfang begründet.

Dem Kläger steht aus §§ 7 StVG, 115 Abs. 1 VVG ein Restanspruch auf Schadensersatz i.H.v. 659,84 € gegen die Beklagte zu.

Der Kläger kann seinen Schadensersatzanspruch auf Wiederbeschaffungsbasis abrechnen, da die fiktiven Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert übersteigen.

Ersatzfähig sind in dieser Hinsicht demnach 1.827,00 €. Die Beklagte hat hierauf bisher lediglich 1.172,16 € geleistet. In Höhe von 654,84 € besteht der Anspruch somit weiterhin.

Nach dem 4-Stufen-Modell der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann nach einem Autounfall Schadensersatz in Form des Wiederbeschaffungsaufwands nur dann verlangt werden, wenn die kalkulierten Reparaturkosten den Wiederbeschaffungsaufwand übersteigen (Jahnke in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 26. Aufl. 2020, § 249 BGB Rn. 38 ff.). Dies ist vorliegend der Fall.

Die vom Kläger in Ansatz gebrachten Reparaturkosten i.H.v. 2.217,52 € stellen den grds. ersatzfähigen Betrag iSd § 249 Abs. 2 BGB dar. Die Kürzungen der Beklagten um insgesamt 691,30 €, welche sich aus ihrem Verweis auf eine Alternativwerkstatt ergeben, sind nicht in die Schadenskalkulation einzubeziehen. Denn dieser Verweis ist dem Kläger nicht zumutbar.

Der Einwand der Beklagten, die Reparatur sei deutlich günstiger, als vom Kläger geltend gemacht und liege unter dem Wiederbeschaffungsaufwand, kann nicht überzeugen. Denn diese günstigere Reparatur kann nur in einer Werkstatt durchgeführt werden, die 21,5 km vom Wohnort des Klägers entfernt ist, eine vom Kläger genannte Werkstatt lediglich in einer Entfernung von rund 2,4 km. Diesen Distanzunterschied muss er zur Reparatur seines Pkw nicht in Kauf nehmen.

Es ist anerkannt, dass der unfallgeschädigte Halter oder Eigentümer eines Kfz sich wegen § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere Werkstatt verweisen lassen muss, sofern ihm dies „zumutbar“ ist. Die Zumutbarkeit bestimmt sich hierbei unter anderem danach, ob diese Alternativwerkstatt dem Kläger mühelos und ohne Weiteres zugänglich ist (BGH, Urt. v. 25. Sept. 2018 – Az.: VI ZR 65/18). Dies beinhaltet auch die Frage, ob die Entfernung zwischen dem Wohnort des Geschädigten und dem vorgeschlagenen Referenzbetrieb noch zumutbar ist (vgl. BGH, Urt. v. 23. Feb. 2010 – Az.: VI ZR 91/09). Hierfür gibt es keine starren Grenzen, sondern entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls.

Es herrscht jedoch grds. Einigkeit darüber, dass sich eine Distanz im Bereich rund um 20 km jedenfalls im Grenzbereich der Zumutbarkeit befindet (die mühelose Erreichbarkeit bei 22 km verneinend: OLG Karlsruhe, Beschl. v. 28. Juli 2015 – Az.: 1 U 135/14). Hier spielen insbesondere die Gegebenheiten vor Ort eine entscheidende Rolle. Im vorliegenden Fall lassen sich die 21,5 km nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten in ca. 17 Minuten zurücklegen, was sich jedenfalls an der oberen Grenze der akzeptablen Erreichbarkeit befindet.

Allerdings sind aus Sicht des Gerichts noch andere gewichtige Aspekte in die Zumutbarkeitsabwägung einzustellen.

In Zeiten des Klimaschutzes und den zu unternehmenden Anstrengungen auf nationaler, europäischer und globaler Ebene zur Vermeidung bzw. Reduzierung eines CO2 Ausstoßes, zur Begrenzung von Erderwärmung und Klimawandel erscheint es in höchstem Maße fragwürdig und kontraproduktiv, einem geschädigten Kfz-Eigentümer aufzuerlegen, übermäßig lange Strecken zur Reparatur seines Fahrzeugs zurückzulegen.

Dabei ist insbesondere zu bedenken, dass es bei der Abwicklung des Unfallgeschehens nicht bei der einmaligen Strecke von 21,5 km bleibt.

Beim Transport des Wagens in die Werkstatt, beim Rücktransport des Fahrers zum Wohnort, beim Transport des Fahrers zum Abholen des reparierten Fahrzeugs und der Rückfahrt der Begleitperson fallen in der Regel schon einmal vier Fahrten an (analog bei einem Hol- und Bringservice, der ebenfalls zwangsläufig ein zweites Fahrzeug auf der Strecke voraussetzt zum Bringen bzw. Abholen eines Fahrers der Werkstatt). Nicht berücksichtigt sind ggfs. weitere Fahrten z.B. für einen ersten Kontakt mit der Werkstatt zur Besichtigung des Schadens und einem zweiten Kontakt zur Durchführung der Reparatur.

Dies lässt noch möglicherweise auftretende Komplikationen unberücksichtigt. Im Falle eines Mangels müsste der Kläger zur Geltendmachung seines Nacherfüllungsanspruchs erneut eine Strecke von insgesamt 43 km zurücklegen. Selbst bei bloßen Fragen zu seinem Pkw nach der Reparatur, welche eine Inaugenscheinnahme erfordern, müsste der Kläger diese Distanz mit seinem Pkw fahren.

Für die Abwicklung des Schadens ist damit eine Strecke im vorliegenden Fall von mindestens 86 km (4 x 21,5 km) anzunehmen.

Diese konkrete Berechnung ist aus Sicht des Gerichts auch bei der hier vorliegenden fiktiven Abrechnung möglich. Wenn es – ausgehend von der fiktiven Abrechnung – der Beklagten möglich ist, konkrete Verweiswerkstätten zu benennen, in die fiktive Abrechnung also konkrete Elemente einfließen zu lassen, ist es auch möglich, diese konkreten Vorschläge in ihrer Gesamtheit zu würdigen.

Auch ohne einen Vortag der Klägerseite zu Fragen des Klimaschutzes ist der Vorschlag der Beklagtenseite umfassend auf eine bestehende Verweisbarkeit zu prüfen, in die dann neben den technischen Fragen einer möglichen adäquaten Reparatur, der Frage der Zumutbarkeit der Entfernung dann eben auch Fragen der Nachhaltigkeit und eines CO2 Ausstoßes einfließen müssen.

Es kann dahin gestellt bleiben, ob mit den obigen Überlegungen die Möglichkeit einer Verweisung bereits an der Kilometerzahl allein scheitert, ob also bei 21,5 km bereits unter den Gesichtspunkten des Klimaschutzes eine Verweisungsmöglichkeit zu verneinen ist, da sich im vorliegenden Fall die vom Kläger für seine Kalkulation herangezogene alternative Werkstatt in nur 2,4 km Entfernung von seinem Wohnort befindet. Er zeigt damit eine Möglichkeit auf, wie im konkreten Fall deutlich Emissionen eingespart werden können.

Die Verweiswerkstatt der Beklagten liegt damit nicht nur allgemein weit vom Wohnsitz des Klägers entfernt, sondern sie befindet sich auch rund 9-mal so weit davon entfernt wie die von ihm gewählte Vertragswerkstatt. Dies spielt bereits (auch ohne Überlegungen des Klimaschutzes) eine gewichtige Rolle; die Distanz zur Verweiswerkstatt in Relation zur Distanz der gewählten Werkstatt ist also bereits ohne weitere Zusatzüberlegungen in die Abwägung einzustellen (vgl. BGH, Urt. v. 23. Feb. 2010 – Az.: VI ZR 91/09; Pott NZV 2017, 465, 466.), bei einer stärkeren Betonung und Gewichtung des Klima- und Umweltschutzes führt dies im vorliegenden Fall jedoch zu einer Nichtberücksichtigung der Verweiswerkstatt.

Wie viel näher die von Klägerseite aufgezeigte Werkstatt am Wohnort des Klägers liegen muss als die von Beklagtenseite genannte mögliche Verweiswerkstatt, bedarf vorliegend keiner Entscheidung, jedenfalls die Differenz von 2,4 km und 21,5 km ist (unter Berücksichtigung von Mehrfachfahrten) als ausreichend anzusehen, um die Möglichkeit einer Verweisung zu verneinen.

Das Gericht neigt dazu, bei Vorhandensein ein von Klägerseite zu benennenden Alternativwerkstatt bereits 50%ige Überschreitungen der Entfernung zur Alternativwerkstatt unter den oben ausgeführten Gesichtspunkten als nicht mehr zumutbar anzusehen.

Auch der Verweis der Beklagten darauf, dass es schon „durch die Erhebung der Klage“ zu CO2-Emissionen gekommen sei, verfängt nicht. Das Gericht geht nicht davon aus, dass die Beklagte den Kläger mit diesem Hinweis in seinen Rechten beschneiden möchte. Der damit ansonsten implizierte Hinweis, dass ein klimaneutrales Leben für den Durchschnittsbürger zum jetzigen Zeitpunkt unrealistisch oder jedenfalls höchst unbequem ist, mag zwar richtig sein. Dies wertet jedoch kleine Schritte in diese Richtung nicht ab oder mindert deren Relevanz.

Eine Auslagenpauschale war mit der inzwischen ständigen Rechtsprechung der Abteilung und des LG Mannheim als unproblematisch anzunehmen, die Anwaltskosten waren ordnungsgemäß berechnet und in entsprechender Höhe noch zu erstatten. Der Klage war damit in vollem Umfang stattzugeben, die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 286, 288 BGB, 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.