Gegen den Betroffenen wurden durch Bußgeldbescheid wegen tatmehrheitlicher Verstöße des fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr unter der Wirkung eines berauschenden Mittels (§ 24a Abs. 2, 3 StVG) Geldbußen sowie ein Fahrverbot festgesetzt. Mit seinem Einspruch berief er sich auf das Medikamentenprivileg. Das zur Entscheidung über seinen Einspruch berufene AG bestellte einen medizinischen Sachverständigen, welcher sich im Hauptverhandlungstermin vom 04.05.2018 – wie der Betroffene meint – mehrfach abfällig über den Einsatzes von Medizinal-Cannabis geäußert habe. Mit am 17.05.2018 eingegangenem Verteidigerschriftsatz lehnte der Betroffene den Sachverständigen ab. Im Fortsetzungstermin am 18.05.2018 verwarf das AG den Befangenheitsantrag als unzulässig, da er verspätet erfolgt sei.
Dies ist nach Auffassung des OLG Bamberg rechtsfehlerhaft: Anders als bei der Richterablehnung finde das Unverzüglichkeitsgebot für die Ablehnung eines Sachverständigen keine Anwendung. Nachdem das AG die Begründetheit des Befangenheitsgesuchs nicht geprüft und das OLG die Entscheidung über dieses Gesuch allein nach revisionsrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen habe, sei die Sache zurückzuverweisen.
OLG Bamberg, Beschluss vom 18.10.2018 – 2 Ss OWi 1419/18
I. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts vom 18. Mai 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen mit Urteil vom 18.05.2018 wegen zweier tatmehrheitlicher Verstöße des fahrlässigen Führens eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr unter der Wirkung eines berauschenden Mittels (§ 24a Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 StVG, 20 OWiG) zu zwei Geldbußen in Höhe von jeweils 500 € verurteilt und gegen den Betroffenen ein mit der Vollstreckungserleichterung nach § 25 Abs. 2a StVG versehenes Fahrverbot von einem Monat festgesetzt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit der auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Rechtsbeschwerde. Die Generalstaatsanwaltschaft vertritt in ihrer Stellungnahme vom 05.10.2018 die Auffassung, der Verfahrensrüge der Verletzung des § 74 StPO sei der Erfolg nicht zu versagen, und beantragt, das Urteil des Amtsgerichts vom 18.05.2018 auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen aufzuheben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
II.
Der Betroffene beanstandet zu Recht, dass das Amtsgericht seinen Befangenheitsantrag gegen den gerichtlich bestellten Sachverständigen mit unzureichender und damit rechtsfehlerhafter Begründung zurückgewiesen hat (§ 74 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG). Allein dies verhilft der Rechtsbeschwerde zum Erfolg, ohne dass es auf das Vorliegen weiterer Rechtsfehler ankommt.
1. Der Verfahrensrüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde: Der Betroffene, der in erster Linie den Einwand des Medikamentenprivilegs gemäß § 24a Abs. 2 Satz 3 StVG geltend gemacht hatte, hat den gerichtlich bestellten Sachverständigen, welcher hierzu in der Hauptverhandlung vom 04.05.2018 angehört worden war, mit am 17.05.2018 bei dem Amtsgericht eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers vom 16.05.2018 außerhalb der bis zum 18.05.2018 unterbrochenen Hauptverhandlung wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur Begründung wurde im Wesentlichen angeführt, dass der Sachverständige „seine Ausführungen unter Verwendung des Begriffes ‚dieses Cannabis-Zeugs‘ unter gleichzeitiger mimischer Kundgabe seiner im Folgenden von ihm dargelegten (persönlichen) Geringschätzung des therapeutischen Wertes des Einsatzes von Medizinal-Cannabis“ begonnen habe und auch im weiteren Verlauf nicht von „Medizinal-Cannabis“ gesprochen, sondern mehrfach den Begriff „Cannabis-Zeugs“ verwendet habe. Darüber hinaus habe der Sachverständige die wissenschaftlich nicht haltbare Auffassung vertreten, dass es auch bei THC-Wirkstoffkonzentrationen von weniger als 1,0 ng/ml zu Halluzinationen kommen könne bzw. auch zu späteren Zeitpunkten mit sog. Flash-Back-Effekten gerechnet werden müsse. Damit habe der Sachverständige nicht nur die nötige Sachkunde zum Wirkungsspektrum von Tetrahydrocannabinol vermissen lassen, was für sich genommen noch nicht seine Ablehnung rechtfertige, sondern er habe damit auch und insbesondere durch die Verwendung des Begriffes „das Cannabis-Zeugs“ seine (persönliche) Geringschätzung des therapeutischen Nutzens von Cannabis dokumentiert, was vom Standpunkt des Betroffenen aus verständigerweise ein Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen gerechtfertigt erscheinen lasse. Das Verhalten des Sachverständigen lasse besorgen, dass er gegen den Betroffenen eine nicht mehr unvoreingenommene Haltung einnehme. Im Fortsetzungstermin vom 18.05.2018, zu dem der Betroffene ohne seinen Verteidiger erschienen war, verlas die Tatrichterin den gegen den gerichtlich bestellten Sachverständigen gerichteten Befangenheitsantrag der Verteidigung vom 16.05.2018, zu welchem dieser im Anschluss daran Stellung bezog. Sodann wurde dem Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Nach kurzer Unterbrechung der Hauptverhandlung verwarf das Amtsgericht den Antrag nach §§ 25 Abs. 2 Nr. 2, 74 StPO als unzulässig, weil verspätet. Das Zuwarten der Verteidigung mit der Stellung des Ablehnungsgesuchs bis zum 17.05.2018 begründe dessen Unzulässigkeit, da die dargelegten Gründe dem Betroffenen bereits am 04.05.2018 bekannt gewesen seien. Der Antrag sei damit nicht unverzüglich gestellt worden. Darüber hinaus sei das Ablehnungsgesuch auch unbegründet, da es sich inhaltlich auf bloße Behauptungen stütze, die nicht glaubhaft gemacht worden seien, § 74 Abs. 3 StPO. Eigener Verteidigervortrag genüge zur Glaubhaftmachung im Sinne des Gesetzes nicht. Sodann erging weiterer Beschluss, wodurch dem Sachverständigen die weitere Anwesenheit sowie die weitere Gutachtenerstattung gestattet wurde.
2. Die Rüge ist in zulässiger Weise (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG) erhoben; der Ablehnungsantrag und der ihn zurückweisende Gerichtsbeschluss sind vorgetragen. Sie ist auch begründet, da sich die Behandlung des Befangenheitsantrags als rechtsfehlerhaft erweist.
a) Das Amtsgericht durfte den Antrag nicht als verspätet ablehnen. Anders als bei der Richterablehnung findet nämlich das Unverzüglichkeitsgebot des § 25 Abs. 2 Nr. 2 StPO für die Ablehnung eines Sachverständigen keine Anwendung (BGH, Beschl. v. 10.01.2018 – 1StR 437/17 = NJW 2018, 1030 = StraFo 2018, 148 = NStZ 2018, 487; vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt StPO 61. Aufl. § 74 Rn. 12; KK/Senge StPO 7. Aufl. § 74 Rn. 7; LR/Krause StPO 27. Aufl. § 74 Rn. 22; SK/Rogall StPO 5. Aufl. § 74 Rn. 55). Denn § 74 Abs. 1 Satz 1 StPO verweist lediglich hinsichtlich der Gründe auf die Ablehnung eines Richters, nicht aber hinsichtlich der für das Verfahren maßgeblichen Vorschriften (so schon RGSt 47, 239, 240; vgl. auch MüKo/Trück StPO [2014] § 74 Rn. 17), somit auch nicht für den Ablehnungszeitpunkt (KMR/Neubeck StPO [68. EL] § 74 Rn. 2). Vielmehr ergibt sich aus § 83 Abs. 2 StPO ausdrücklich die Möglichkeit der erfolgreichen Ablehnung eines Sachverständigen noch nach Erstattung von dessen Gutachten; wie bei Beweisanträgen ist der Schluss der Beweisaufnahme der letztmögliche Zeitpunkt für die Antragstellung (Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O.; BeckOK/Monka StPO [30. Ed. – Stand: 01.06.2018] § 74 Rn. 8).
b) Soweit das Amtsgericht den Befangenheitsantrag darüber hinaus als „unbegründet“ (richtig: unzulässig) abgelehnt hat, weil er sich inhaltlich auf bloße Behauptungen stütze, welche entgegen § 74 Abs. 3 StPO nicht glaubhaft gemacht worden seien, trägt auch dies die Ablehnung nicht. Insoweit gilt zwar dasselbe wie bei der Richterablehnung (KK/Senge § 74 Rn. 8). Die Entscheidung, ein Ablehnungsgesuch wegen fehlender Glaubhaftmachung nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO als unzulässig zu verwerfen, ist aber rechtsfehlerhaft, wenn die Tatsachen, mit denen in dem Ablehnungsgesuch die Besorgnis der Befangenheit begründet wird, gerichtsbekannt sind. So liegt der Fall hier. Da die Tatrichterin notwendigerweise in der Sitzung zugegen war, sind die beanstandeten Äußerungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen in der Hauptverhandlung vom 04.05.2018 gerichtsbekannt und müssen somit nicht mehr glaubhaft gemacht werden (BGH, Beschl. v. 29.08.2006 – 1 StR 371/06 = NStZ 2007, 161 = StV 2007, 121; LR/Krause a.a.O. § 26 Rn. 16).
c) Da das Amtsgericht in die Begründetheitsprüfung nicht näher eingetreten ist, ist dem Senat eine solche Prüfung ebenfalls verwehrt. Er hat allein nach revisionsrechtlichen Grundsätzen zu entscheiden, ob das Ablehnungsgesuch ohne Verfahrensfehler mit ausreichender Begründung zurückgewiesen worden ist. Anders als bei der Ablehnung eines Richters ist er an die vom Tatgericht festgestellten Tatsachen gebunden und darf keine eigenen Feststellungen treffen. Da das von der Unzulässigkeit des Antrags ausgehende Amtsgericht – von seinem unzutreffenden Standpunkt aus konsequent – weder erkennen lässt, von welchen Tatsachen es insoweit ausgegangen ist, noch, ob das festgestellte Sachverständigenverhalten in sachlicher Hinsicht die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt, kann auch das Rechtsbeschwerdegericht dies nicht selbständig prüfen (BGH, Beschl. v. 10.01.2018 – 1StR 437/17 [a.a.O.]).
d) Das Urteil beruht schließlich auch auf der fehlerhaften Ablehnung des Befangenheitsgesuches (§ 337 Abs. 1 StPO), denn der Senat kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen, dass das Amtsgericht bei Einholung eines anderen Sachverständigengutachtens zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.
III.
Aufgrund der aufgezeigten formalen Mängel, die den Schuldspruch berühren, ist das angefochtene Urteil mit den Feststellungen aufzuheben (§ 353 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG). Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurückverwiesen (§ 79 Abs. 6 OWiG).
IV.
Der Senat entscheidet durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG.
Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.
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