Die Angeklagte parkte im vergangenen Jahr ihr Fahrzeug auf einem gebührenpflichtigen Parkplatz ohne Parkschein und legte den Behindertenausweis ihres 2008 verstorbenen Vaters auf das Armaturenbrett, so dass er von außen sichtbar war. Laut dem AG wollte sie dadurch vortäuschen, dass es sich bei ihr um die Ausweisinhaberin handelt oder dass der Inhaber des Ausweises noch immer am Rechtsverkehr teilnehme, Inhaber der Parkberechtigung sei und die Angeklagte diesen befördere. Das AG sah darin einen Missbrauch von Ausweispapieren (§ 281 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB).

Das OLG Karlsruhe hält dagegen die Strafvorschrift nur für anwendbar, wenn der für eine andere Person ausgestellte Ausweis dazu benutzt wird, den Irrtum zu erwecken, der Benutzende sei die Person, für die der Ausweis ausgestellt worden ist, verlangt also eine Identitätstäuschung. Bei einer Täuschung darüber, den Vater befördert zu haben, sei diese gerade nicht gegeben. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass die Angeklagte vortäuschen wollte, selbst Inhaberin des Ausweises gewesen zu sein. In Betracht sei noch ein versuchter Betrug wegen des beabsichtigten Sparens der Parkgebühr gekommen, allerdings fehle es insoweit an einem Strafantrag oder eines besonderen öffentlichen Interesses (§ 263 Abs. 4 StGB i.V.m. § 248a StGB). Ordnungswidrigkeiten seien verjährt.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.10.2018 – 2 Rv 5 Ss 669/18

1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Lörrach vom 18. Juni 2018 aufgehoben.

2. Die Angeklagte wird freigesprochen.

3. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Lörrach hat die Angeklagte mit Urteil vom 18.06.2018 wegen Missbrauchs von Ausweispapieren zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 40,00 EUR verurteilt.

Das Amtsgericht hat folgenden Sachverhalt festgestellt:

„Am 23.03.2017 gegen 11.00 Uhr parkte sie ohne einen entsprechenden Parkschein zu lösen als Führerin des PKW amtliches Kennzeichen XX-YY 0000 auf einem gebührenpflichtigen Parkplatz in der A-straße am Bahnhof in L. Hierbei legte sie einen durch das Landratsamt W auf ihren bereits im Jahr 2008 verstorbenen Vater, Herrn N, ausgestellten Behindertenparkausweis auf das Armaturenbrett des Fahrzeugs, sodass er durch die Frontscheibe sichtbar war, um den gebührenpflichtigen Parkplatz gebührenfrei zu nutzen. Wie sie wusste, war sie hierzu nicht berechtigt. Durch die Auslage des Behindertenparkausweises wollte sie wahrheitswidrig vortäuschen, dass es sich bei ihr um den im Behindertenparkausweis Genannten handelt oder dass der im Behindertenparkausweis Genannte nach wie vor als natürliche Person im Rechtsverkehr teilnehme, aktuell noch Inhaber der Parkberechtigung ist und sie diesen befördere.“

Das Amtsgericht bewertete dieses Geschehen als Missbrauch von Ausweispapieren im Sinne des § 281 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB.

Gegen dieses Urteil richtet sich das rechtzeitig eingelegte Rechtsmittel der Angeklagten, das sie zunächst unbestimmt als „Rechtsmittel“ und nach Zustellung des Urteils innerhalb der Revisionsbegründungsfrist sodann als Berufung und anschließend als Sprungrevision bezeichnet und begründet hat. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts und beantragt einen Freispruch, da ihrer Auffassung nach die getroffenen Feststellungen nicht die Verurteilung wegen Missbrauchs von Ausweispapieren tragen.

Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat beantragt, das angefochtene Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Lörrach zurückzuverweisen, da die Ausführungen im Urteil zur Beweiswürdigung – jedenfalls hinsichtlich der subjektiven Tatseite – das Revisionsgericht nicht in die Lage versetzten zu prüfen, ob die Überzeugungsbildung des Tattrichters auf einer tragfähigen Grundlage beruht.

II.

Die Revision hat mit der erhobenen Sachrüge Erfolg. Sie führt zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und zu einem Freispruch der Angeklagten aus Rechtsgründen (§§ 349 Abs. 4, 354 Abs. 1 StPO).

1. Dahinstehen kann, ob ein Anfechtungsberechtigter bei einer Präzisierung eines – wie vorliegend – zunächst unbestimmt eingelegten Rechtsmittels innerhalb der Revisionsbegründungsfrist an die getroffene Wahl gebunden ist, so dass eine weitere Änderung der Bezeichnung mit der Wirkung eines „Übergangs“ zu einem anderen Rechtsmittel nicht mehr möglich ist (zum Streitstand KK-StPO/Gericke, 7. Aufl. 2013, § 335 Rn. 5; BeckOK-StPO/Wiedner, 30. Ed. [Stand: 01.06.2018], § 335 Rn. 6 f. [jeweils m.w.N.]; eine weitere Änderung für möglich erachtend Senat, StV 1991, 199).

Bei verständiger Auslegung der Verfahrenserklärung, mit welcher das zunächst unbestimmt eingelegte Rechtsmittel als Berufung bezeichnet wurde, ergibt sich eindeutig, dass Ziel der Angeklagten ein Freispruch mittels einer Sprungrevision war. Der Verteidiger war davon ausgegangen, dass im Fall des § 313 Abs. 1 StPO eine vorherige Annahme der Berufung Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Sprungrevision sei; dies ist jedoch nach herrschender Rechtsprechung nicht erforderlich (Senat, StV 1994, 292; OLG Karlsruhe [3. Strafsenat], NStZ 1995, 562; aA Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl. 2018, § 335 Rn. 21 mwN aus der gegenteiligen Rechtsprechung). Trotz der Bezeichnung als Berufung war das Rechtsmittel daher schon von da an als Sprungrevision zu behandeln (zur Auslegung von Verfahrenserklärungen bei mehreren möglichen Rechtsmitteln KK-StPO/Paul, a.a.O., § 300 Rn. 3 m.w.N.).

2. Der vom Amtsgericht festgestellte Sachverhalt stellt im Hinblick auf die in subjektiver Hinsicht festgestellte zweite Alternative, nach der die Angeklagte darüber täuschte, Ihren behinderten Vater befördert zu haben, kein strafbares Verhalten der Angeklagten dar.

Die Feststellungen tragen ihre Verurteilung wegen Missbrauchs von Ausweispapieren gemäß § 281 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB nicht. Nach ganz herrschender Meinung, der sich der Senat anschließt, ist die Vorschrift nur anwendbar, wenn der – so vorliegend – für eine andere Person ausgestellte Ausweis dazu benutzt wird, den Irrtum zu erwecken, der Benutzende sei die Person, für die der Ausweis ausgestellt worden ist (BGHSt 16, 33; 22, 278; Beschluss vom 27.01.1971 – 3 StR 319/70 -, juris; OLG Stuttgart, NZV 2014, 483; Heger in: Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl. 2018, § 281 Rn. 4). Erforderlich ist mithin eine Identitätstäuschung (BGHSt 16, 33; 22, 278; bei Holtz MDR 1982, 280; OLG Stuttgart, a.a.O.; Fischer, StGB, 65. Aufl. 2018, § 281 Rn. 4; LK-StGB/Zieschang, 12. Aufl. 2009, § 281 Rn. 12; MüKo-StGB/Erb, 2. Aufl. 2014, § 281 Rn. 10; Heine/Schuster in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014, § 281 Rn. 8; Heger in: Lackner/Kühl, a.a.O., § 281 Rn. 4; SK-StGB/Hoyer, 131. Lfg. [Stand: März 2012], § 281 Rn. 6; BeckOK-StGB/Weidemann, 39. Ed. [Stand: 01.08.2018], § 281 Rn. 8; Hecker, GA 1997, 525), die in der zweiten festgestellten Alternative – getäuscht wird insoweit nämlich nur darüber, den behinderten Vater befördert zu haben – gerade nicht gegeben ist (OLG Stuttgart, a.a.O.; zustimmend Hecker, JuS 2014, 277; Metz, NZV 2014, 503; Krenberger, jurisPR-VerkR 3/2014 Anm. 4; a.A. offenbar AG Nürnberg, DAR 2005, 410; BeckOK-StGB/Weidemann, a.a.O., § 281 Rn. 8.1).

Die Verurteilung der Angeklagten wegen Missbrauchs von Ausweispapieren hält daher einer rechtlichen Überprüfung nicht stand und war aus diesem Grunde aufzuheben.

3. Dahinstehen kann, ob – wie die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe meint – die Beweiswürdigung des Amtsgerichts vorliegend rechtsfehlerhaft war. Der Senat hält es nämlich für ausgeschlossen, dass ein neuer Tatrichter in subjektiver Hinsicht noch Feststellungen wird treffen können, die zu einer Verurteilung nach § 281 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 StGB führen könnten; erforderlich wäre der sichere Nachweis, dass die Angeklagte zumindest auch vortäuschen wollte, selbst Inhaber des Behindertenparkausweises gewesen zu sein.

Da weder ein Strafantrag gestellt wurde noch die Strafverfolgungsbehörde – die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat dies während des Revisionsverfahrens ausdrücklich abgelehnt – wegen des besonderen öffentlichen Interesses ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält (§ 263 Abs. 4 StGB i.V.m. § 248a StGB), fehlt es an dieser Prozessvoraussetzung für eine – ohne dass der Senat diese Frage abschließend entscheiden müsste – grundsätzlich in Betracht kommende Strafbarkeit wegen versuchten Betruges gemäß §§ 263 Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB zum Nachteil der Stadt Lörrach durch die beabsichtigte Ersparnis der Parkgebühr (eingehend hierzu Mitsch, NZV 2012, 153; Matzky, Jura 2003, 191; die beabsichtigte Abwendung der Verhängung eines Verwarnungsgeldes bzw. einer Geldbuße ist nach überwiegender Auffassung nicht vom Vermögensstrafrecht geschützt, OLG Köln, NJW 2002, 527; OLG Stuttgart, a.a.O.; Fischer, a.a.O., § 263 Rn. 99 [jeweils m.w.N.]).

Da die Verwirklichung sonstiger Straftatbestände (eingehend hierzu Mitsch, a.a.O.) durch die Angeklagte selbst im Falle weiterer Sachaufklärung auszuschließen und eine Ordnungswidrigkeit gemäß §§ 24 Abs. 1 StVG, 49 Abs. 1 Nr. 13, 13 Abs. 1 Satz 1 StVO verjährt ist, schied eine Zurückverweisung an das Amtsgericht Lörrach aus. Die Angeklagte war daher durch den Senat freizusprechen (KK-StPO/Gericke, a.a.O., § 354 Rn. 3 m.w.N.).

III.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.