Etwas sprunghaft war das AG Daun in Sachen Akteneinsicht und Lebensakte durchaus: Zuerst meinte es, dass ein Betroffener oder sein Verteidiger im Bußgeldverfahren Einsicht in die Wartungsnachweise einer Geschwindigkeitsmessanlage nehmen können (Beschluss vom 04.07.20174 OWi 35/17). Nachdem dies vom zuständigen LG Trier bestätigt worden war, hieß es auf einmal unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des OLG Bamberg, ein solcher Einsichtsanspruch existiere nicht (Beschluss vom 15.11.20174 OWi 68/17). Neuerdings schließt sich das Gericht wohl wieder der Ansicht des LG Trier an: Zumindest hat das AG Daun in zwei Beschlüssen vom 06.03.2018 – einen davon hat der Kollege Burhoff vom Kollegen Geißler erhalten und bereits veröffentlicht – wieder die Verwaltungsbehörde (Polizeipräsidium Rheinpfalz) zur Herausgabe derartiger Unterlagen angewiesen. Ebenso ist es in einem Beschluss vom 03.04.2018 vorgegangen (4b OWi 26/18, unveröffentlicht). Hinsichtlich der Messdaten, auch der Messreihe, hat sich übrigens nichts geändert, dort bejaht das AG Daun nach wie vor den Einsichtsanspruch.

AG Daun, Beschluss vom 06.03.2018 – 4 OWi 13/18

1. Das Polizeipräsidium Rheinpfalz – Zentrale Bußgeldstelle – wird auf den Antrag des Betroffenen vom 19.02.2018 angewiesen, der Verteidigung des Betroffenen die digitalen Falldatensätze zur Messserie inclusive der Rohmessdaten mit Statistikdatei und Caselist und der Instandsetzung-, Wartungs- sowie Reparaturnachweise für das Geschwindigkeitsmessgerät seit der letzten Eichung zur Verfügung zu stellen.

2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.

3. Angewendete Vorschriften: §§ 62, 68 OWiG; 46 OWiG iVm 467 StPO

Gründe:

1. Dem Betroffenen wird mit Anhörungsbogen des Polizeipräsidiums Rheinpfalz vom 21.12.2017 – Aktenzeichen … – vorgeworfen, am 31.10.2017 fahrlässig die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 24 km/h überschritten zu haben. Mit Schreiben vom 03.02.2018 hat die Verteidigerin des Betroffenen Akteneinsicht beantragt, unter anderem insbesondere in die digitalen Falldatensätze der Messserie des Betroffenen und die Wartungs- sowie Instandsetzungsnachweise seit der letzten Eichung, verneinendenfalls hat sie Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 62 OWiG gestellt. Die Zentrale Bußgeldstelle Speyer ist diesem Antrag nur teilweise nachgekommen, indem sie dem Betroffenen alle gewünschten mit Ausnahme der oben aufgeführten Dokumente übermittelt hat.

2. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist gemäß §§ 62, 68 OWiG zulässig und das AG Daun zur Entscheidung berufen, er ist begründet.

Die Zentrale Bußgeldstelle Speyer war antragsgemäß zu verpflichten, dem Betroffenen Einsicht in die gesamte Messserie inclusive der Rohrnassdaten mit Statistikdatei und Caselist zu verschaffen.

Offen bleiben kann dabei, ob sich der Anspruch des Betroffenen schon aus dem Akteneinsichtsrecht gemäß §§ 46 OWiG, 147 StPO ergibt. Selbst wenn man die Auffassung vertritt, dass ein Messfilm bzw. eine Messdatei (noch) nicht Aktenbestandteil ist, ergibt sich ein derartiges Einsichtsrecht zumindest aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens, welcher allgemein im Verfahrensrecht bzw. Prozessrecht gilt.

Auszugehen ist dabei davon, dass ein Betroffener oder ein Verteidiger bei Ordnungswidrigkeiten im Rahmen einer Geschwindigkeitsmessung nicht pauschal behaupten kann, die Richtigkeit der Messung werde angezweifelt. Er muss vielmehr – da es sich bei dem Geschwindigkeitsmessverfahren mittels Vitronic Poliscan Speed um ein sogenanntes standardisiertes Geschwindigkeitsmessverfahren handelt, bei dem durch die PTB im Wege antizipierten Sachverständigengutachtens die grundsätzliche Zuverlässigkeit der Messung festgestellt wurde – in jedem einzelnen Verfahren konkrete Anhaltspunkte dafür darlegen, die für eine Unrichtigkeit der Messung sprechen könnten. Erst wenn ihm das gelingt, bedarf es einer gerichtlichen Beweisaufnahme gegebenenfalls durch Einholung eines Sachverständigengutachtens darüber, ob im konkreten Fall tatsächlich eine richtige Messung stattgefunden hat, die den Bußgeldvorwurf begründet.

Dabei ergibt sich insbesondere aus der Entscheidung· des AG Meißen vom 29. Mai 2015 – 13 OWi 703 Js 21114/14 – nichts Anderes. Denn das AG Meißen den dortigen Betroffenen nicht deshalb freigesprochen, weil die Messung unverwertbar gewesen wäre, sondern deswegen, weil der Betroffene aufgrund der schlechten Qualität des Lichtbildes als Fahrer nicht zu identifizieren gewesen ist. (” … verbleibt festzustellen, dass letztlich das Fahrerfoto, auf das ebenfalls gemäß § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO verwiesen wird, nicht geeignet ist, den Betroffenen oder überhaupt einen Fahrer zu identifizieren. Es zeigt nur ein einziges erkennbares ldentitätsmerkmal, ein verschwommenes Gesichtsprofil. Hieran kann lediglich mit einer gewissen Sicherheit festgestellt werden, dass am Steuer ein Mann saß. Ein dermaßen verschwommenes Profilbild kann nicht Grundlage einer Fahreridentifizierung sein.”). Es erschließt sich zumindest dem erkennenden Gericht nicht unmittelbar, warum trotz dieser einfachen Erkenntnis zuvor auf über 100 Seiten des Urteils auf mögliche Fehlerquellen der Messung eingegangen wird. Dies kann jedoch vorliegend dahinstehen.

Da aber jedenfalls die obergerichtliche und höchstrichterliche Rechtsprechung vom Betroffenen einen detaillierten Vortrag im Hinblick auf etwaige konkrete Mängel des Messverfahrens verlangt, muss der Betroffene bzw. sein Verteidiger in der Lage sein, konkrete, die Amtsaufklärungspflicht auslösende Anhaltspunkte für Messfehler vorzutragen. Hierfür aber wiederum benötigt er zwangsläufig den Zugang zu den Messunterlagen und insbesondere zum Messfilm bzw. zu den kompletten Messdaten der Messserie. Erst die Auswertung dieser Daten – gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines privaten Sachverständigen – versetzt den Betroffenen in die Lage zu entsprechendem Sachvortrag.

Datenschutzrechtliche Bedenken stehen dem zur Überzeugung des Gerichtes nicht entgegen. Dies wird – soweit erkennbar und bereits veröffentlicht – in der Rechtsprechung ebenso beurteilt (Beschluss des OLG Koblenz vom 23.10.2013-2 SsRs90/13; Beschluss des AG Landstuhl vom 06.11.2015 – 2 OWi 4286 Js 2298/15 -; Beschluss des AG Heidelberg vom 14.06.2013- 16 OWi 447/13; Beschluss des AG Schleiden vom 23.10.2012- 13 OWi 140/12 (b); Beschluss des AG Kassel vom 27.02.2015- 381 OWi -9673 Js 32833/14 -; Beschluss des AG Königs Wusterhausen vom 17.03.2015-2.4 OWi 282/14 -;Beschluss des LG Trier vom 14.09.2017-1 Qs 46/17 -).

Schon rein tatsächlich ist insoweit festzustellen, dass zwar ein Verteidiger und/oder ein privater Sachverständiger bei Einsicht in die gesamte Messreihe zwangsläufig auch andere Fahrzeuge sehen, welche eine Messung ausgelöst haben. Ob hierbei tatsächlich Erkenntnisse gewonnen werden, deren Missbrauch gegenüber den anderen· Fahrzeugführern zu befürchten ist, dürfte bezweifelt werden. Mindestvoraussetzung dürfte sein, dass der Einsicht nehmende spontan ein Fahrzeug bzw. einen Fahrzeugführer erkennt. Dies ist aber äußerst unwahrscheinlich. Erst recht ist nicht zu erkennen, welche (unzulässigen) Informationen bzw. Schlussfolgerungen diese hieraus ziehen könnten. Dies gilt umso mehr, als der aufgezeichnete und feststellbare Lebenssachverhalt aus einer derartigen Maßnahme nur einen äußerst kurzen Zeitraum betrifft.

Wägt man das Interesse des Betroffenen an einer ordnungsgemäßen Überprüfung der Geschwindigkeitsmessung mit dem Interesse anderer abgebildeter Verkehrsteilnehmer ab, hat das Interesse der anderen abgebildeten Verkehrsteilnehmer gegenüber dem Einsichtsrecht zurückzustehen. Hierbei ist insbesondere die Erwägung von Bedeutung, dass die anderen abgebildeten Personen sich durch ihre Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr selbst der Wahrnehmung und Beobachtung durch andere Verkehrsteilnehmer und auch der Kontrolle ihres Verhaltens im Straßenverkehr durch die Polizei ausgesetzt haben. Dann kann es für diese Personen auch keinen überragenden Persönlichkeitseingriff darstellen, wenn sie im Zusammenhang mit einer polizeilichen oder ordnungsbehördlichen Maßnahme bzw. im Zusammenhang mit der Überprüfung derselben sich mit einer äußerst geringen, gegen null gehenden Wahrscheinlichkeit dem Risiko ausgesetzt sehen, zufällig erkannt zu werden. Die Bußgeldstelle war also antragsgemäß zur Herausgabe der Daten der gesamten Messserie inclusive der Rohrnassdaten mit Statistikdatei und Caselist zu verpflichten.

3. Auch hinsichtlich des Antrages auf Übermittlung der Wartungs- und Instandsetzungsnachweise seit der letzten Eichung besteht ein entsprechender Anspruch der Verteidigung. Eine Aufbewahrungspflicht für Nachweise über erfolgte Wartungen, Reparaturen und sonstige Eingriffe am Messgerät ergibt sich bereits aus § 31 Abs. 2 Nr. 4 MessEG zumindest für die zwischen den Eichungen durchgeführten Wartungen, Reparaturen und sonstigen Eingriffen. Hierdurch sollen die Eichämter anlässlich der Vorstellung des Messgerätes zur Eichung einen Überblick über die Reparatur- und Wartungsmaßnahmen seit der letzten Eichung erhalten. Werden dem Betroffenen solche Unterlagen nicht zugänglich gemacht, hat er keine Möglichkeit, konkrete Anhaltspunkte für eine der Gültigkeit der letzten Eichung entgegenstehende Reparatur oder einen sonstigen Eingriff in das Messgerät aufzufinden. Auf den Beschluss des Landgerichts Trier vom 14.09.2017- 1 Qs 46/17 – wird Bezug genommen. Die Bussgeldstelle war daher antragsgemäß zur Herausgabe zu verpflichten.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 StPO iVm § 46 OWiG.

Vielen Dank an Frau Rechtsanwältin Zimmer-Gratz, Bous, für die Zusendung der Entscheidung.