Zur Fahrweise des Betroffenen (innerhalb einer geschlossenen Ortschaft) wurde festgestellt: Dieser und ein Zeuge kamen (jeweils mit einem Fahrzeug) aus einem Tunnel, schon zuvor waren auffällige Motorengeräusche zu hören. Beide hielten anschließend an einer roten Lichtzeichenanlage nebeneinander an. Mehrfach war ein Hochtreiben der Motorengeräusche zu hören. Nach dem Umschalten auf Grün fuhren beide Fahrzeuge mit „radierenden“ Reifen und unter starker Beschleunigung an, bis sie an der nächsten rot leuchtenden Lichtzeichanlage anhielten und bei Grün wieder stark beschleunigend zur nächsten Ampel fuhren. Nach Aussage zweier Polizeibeamte habe die Geschwindigkeit der Fahrzeuge deutlich über 50 km/h gelegen. Dies belegt, so das KG, noch kein Rennen: Ein solches im Sinne von § 29 Abs. 1 StVO erfordere, dass die Fahrweise auf die Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten ausgerichtet ist. Die Geschwindigkeit der Fahrzeuge dürfe aber nicht ins Blaue hinein geschätzt werden, sondern es müsse mitgeteilt werden, worauf die Schätzung beruht, etwa auf einer Messung durch Nachfahren. Das Anfahren mit „radierenden“ Reifen und ein lautes Motorengeräusch könnten auf einem Imponiergehabe beruht haben, welches häufig auch ohne Durchführung einer Wettfahrt vorkomme. Zudem sei nicht berücksichtigt worden, dass beide Fahrzeuge an mehreren roten Lichtzeichenanlagen gehalten haben, was gegen ein Rennen sprechen könne, auch müsse der Abstand der Lichtzeichenanlagen zueinander in den Urteilsgründen genannt werden.

KG, Beschluss vom 06.04.2017 – 3 Ws (B) 87/17

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 24. Januar 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung -auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen vorsätzlicher Zuwiderhandlung gegen §§ 29 Abs. 1, 49 (zu ergänzen: Abs. 2 Nr. 5) StVO nach § 24 StVG zu einer Geldbuße von 475.– Euro verurteilt und gemäß § 25 Abs. 1 StVG ein zweimonatiges Fahrverbot angeordnet. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird, hat (vorläufigen) Erfolg.

Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat zu dem Rechtsmittel wie folgt Stellung genommen:

„Die nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat Erfolg.

Der Schuldspruch wegen Teilnahme an einem verbotenen Rennen im Sinne des § 29 Abs. 1 StVO hält rechtlicher Prüfung nicht stand, weil die den Feststellungen zugrundeliegende Beweiswürdigung lückenhaft ist.

Rennen unterscheiden sich von sonstigen Veranstaltungen dadurch, dass sie auf die Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten mit Kraftfahrzeugen ausgerichtet sind (vgl. KG Beschlüsse vom 9. August 2010 – 3 Ws (B) 702/09 – und vom 9. Mai 2011 – 3 Ws (B) 233/11 -). Zwar fallen unter Rennen im Sinne des § 29 Abs. 1 StVO – bei denen es sich um Veranstaltungen jeder Art handelt, wenn sie die Nutzung des Straßenverkehrs über die übliche verkehrsmäßige Bewegung hinaus im Sinne eines Wettkampfes bezwecken und zugleich dem Kriterium der Geschwindigkeit unterworfen sind – auch nicht organisierte, sogenannte „wilde“ Rennen, die zwei oder mehrere Kraftfahrer spontan durchführen (vgl. KG a.a.O.).

Die Annahme des Amtsgerichts, der Betroffene habe sich mit seinem Bekannten, dem Zeugen S… entschlossen, auf der Strecke zwischen der Kreuzung Lewishamstraße/Mommsenstraße bis zur Kaiser-Friedrich-Straße/Schillerstraße ein Rennen zu fahren, entbehrt jedoch einer tragfähigen Beweisgrundlage.

Den Urteilsgründen ist zu entnehmen, dass die beiden als Zeugen vernommenen Polizeibeamten bekundet haben, dass sie die Fahrzeuge des Betroffenen und des Zeugen S… aus dem Adenauerplatz-Tunnel kommend gesehen hätten, nachdem bereits vorher ein auffallendes Motorgeräusch wahrzunehmen gewesen sei. Beide Fahrzeuge hätten sodann an der Kreuzung Lewishamstraße/Mommsenstraße an der roten Lichtzeichenanlage angehalten, wobei der Betroffene neben dem Zeugen S… angehalten habe. Es sei ein mehrmaliges Hochtreiben der Motorengeräusche zu hören gewesen. Nach dem Umschalten der Lichtzeichenanlage auf grün seien beide PKW mit „radierenden“ Reifen angefahren und hätten nebeneinander stark beschleunigt und die S-Bahnüberführung und den Stuttgarter Platz passiert bis sie bei Rot der Lichtzeichenanlage Kaiser-Friedrich/Kantstraße wieder nebeneinander anhielten. Bei Umschalten auf grünes Ampellicht hätten die Fahrzeuge wiederum stark beschleunigt und seien weiterhin nebeneinander gefahren, bis sie an der Kreuzung Kaiser-Friedrich-Straße/Schillerstraße erneut an der rotes Licht abstrahlenden Lichtzeichenanlage zu Stehen kamen und dort von den Zeugen PK S… und PK’in K… an der Weiterfahrt gehindert wurden. Die Fahrgeschwindigkeit habe deutlich über den innerstädtisch erlaubten 50 km/h gelegen.

Das Amtsgericht hat insoweit ausgeführt, dass der äußere Ablauf der von den Zeugen geschilderten Fahrvorgänge die sicheren Schluss zulasse, dass es sich hierbei um ein durch jeweils rote Ampeln in zwei Abschnitte geteiltes Kraftfahrzeugrennen gehandelt habe. Auch wenn auf den eher kurzen Streckenabschnitten zwischen den roten Ampeln keiner der Beteiligten einen deutlichen Vorsprung vor dem Anderen hätte erlangen können, mache die 50 km/h deutlich übersteigende Fahrgeschwindigkeit beider und das unmittelbar nach dem Umspringen der Ampel auf grün zeitgleich erfolgte Anfahren mit der unmittelbaren starken Beschleunigung der Fahrzeuge deutlich, dass vorliegend ein Wettbewerb gegeben war, der auf die Ermittlung eines Siegers abziele (UA S. 5/6).

Es ist bereits nicht ersichtlich, worauf die Zeugen die Angabe stützten, dass die Fahrgeschwindigkeit der Fahrzeuge deutlich über 50 km/h gelegen habe. Zwar sind Geschwindigkeitsschätzungen durch Dritte möglich. Ihnen ist jedoch mit Vorsicht zu begegnen (vgl. BayObLG NZV 2001, 139; OLG Hamm NZV 1998, 169). Jedenfalls muss für das Rechtsbeschwerdegericht nachvollziehbar sein, worauf die Geschwindigkeitsschätzung im konkreten Fall beruht – wie etwa auf der Ablesung der Geschwindigkeit auf einem Tachometer des nachfahrenden Fahrzeuges. An entsprechenden Feststellungen fehlt es hier. Soweit die Zeugen ein Anfahren mit „radierenden“ Reifen und ein starkes Motorengeräusch bekundet haben, ist dies ein Imponiergehabe, welches bei – vor allem jüngeren – Fahrzeugführern häufig auch ohne die Absicht, eine Wettfahrt durchzuführen, vorkommt (vgl. KG Beschlüsse vom 9. August 2010 – 3 Ws (B) 702/09 – und vom 9. Mai 2011 – 3 Ws (B) 233/11 -). Gegen die Annahme, dass der Betroffene sich mit dem anderen Beteiligten eine auf die Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten ausgerichtete Wettfahrt liefern wollte, spricht auch insbesondere, dass die Fahrzeuge an mehreren rotes Wechsellicht abstrahlenden Lichtzeichenanlagen, deren Abstand zueinander jedoch nicht mitgeteilt wird, angehalten haben. Mit diesem Umstand hat sich das Amtsgericht nicht auseinandergesetzt.

Da nicht auszuschließen ist, dass in einer neuen Hauptverhandlung weitere Feststellungen getroffene werden können, ist das Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.“

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an.