Im Beschluss des KG vom 27.10.2014 (Az. 3 Ws (B) 467/14) werden die Anforderungen an Geschwindigkeitsmessungen aufgezählt, wenn diese von einem anderen Fahrzeug aus mit ungeeichtem Tacho durchgeführt werden. Da dieses Verfahren ungenau ist, handelt es sich um kein standardisiertes Messverfahren und es treffen den Tatrichter höhere Begründungsanforderungen, wenn er von einem Geschwindigkeitsverstoß überzeugt ist. Auch sollte der Abstand zwischen den Fahrzeugen möglichst kurz sein und gleich bleiben:
1. Zwar ist die Beweiswürdigung Sache des Tatrichters, dessen Überzeugungsbildung das Rechtsbeschwerdegericht nur darauf prüft, ob sie auf rechtsfehlerhaften Erwägungen beruht. Dies ist namentlich der Fall, wenn sie mit gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen oder unbezweifelbarem Erfahrungswissen unvereinbar ist, Widersprüche oder sonstige Verstöße gegen die Gesetze der Logik enthält oder Lücken aufweist, sich insbesondere nicht mit nahe liegenden alternativen Geschehensabläufen befasst, obwohl sich dies nach dem Beweisergebnis aufdrängt. Für die Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren ist anerkannt, dass sie als Beweis für eine Geschwindigkeitsüberschreitung auch dann ausreichen kann, wenn der Tachometer des nachfahrenden Fahrzeugs ungeeicht und nicht justiert war. Wie der zumindest überwiegende Teil der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung hält der Senat die Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren mit ungeeichtem Tachometer allerdings nicht für ein standardisiertes Messverfahren, so dass sich der Tatrichter in jedem Einzelfall mit der Zuverlässigkeit der Messung und der Einhaltung der Voraussetzungen für die Verwertbarkeit auseinandersetzen muss. Insoweit hat die Rechtsprechung Richtlinien für die beweissichere Feststellung einer durch Nachfahren ermittelten Geschwindigkeitsüberschreitung entwickelt. Danach müssen die Messstrecke ausreichend lang und der Abstand des nachfolgenden Fahrzeugs gleich bleibend und möglichst kurz sein; zugleich muss die Geschwindigkeitsüberschreitung wesentlich sein. Bei in Dunkelheit oder schlechten Sichtverhältnissen durchgeführter Messung sind zusätzlich Angaben über die Beobachtungsmöglichkeiten der Polizeibeamten erforderlich. Für die hier festgestellten Rahmenbedingungen gilt im Einzelnen: Bei Geschwindigkeiten von 100 km/h und mehr sollen die Urteilsfeststellungen belegen, dass die Messstrecke nicht kürzer als 500 Meter war. Bei Geschwindigkeiten über 90 km/h soll der Verfolgungsabstand nicht mehr als 100 Meter betragen. Je kürzer die Messstrecke ist, desto genauere Angaben sind im Urteil über den Abstand zu machen.
2. Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils nicht gerecht. Ob die mit „mindestens 400 – 500 Meter“ angegebene Messstrecke bei der hier ermittelten Nettogeschwindigkeit von 112 km/h (brutto: 140 km/h) für sich ausreichend ist oder ein eventuelles Manko gegebenenfalls durch weitere Feststellungen kompensiert werden könnte, kann hier ebenso offen bleiben wie die Frage, ob die Generalstaatsanwaltschaft mit ihrem Ansatz, die tatsächliche Messstrecke durch die Einbeziehung eines Navigationsprogramms (google maps) auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen mit tatsächlich 700 Meter zu ermitteln, durchdringen kann. An letzterem bestehen Bedenken zumindest in Bezug auf die im Urteil mitgeteilten „Anknüpfungstatsachen“, denen zufolge die Messung „kurz vor der Einmündung Lindenthaler Allee, wo der Betroffene das Fahrzeug abgebremst habe, weil er dort links abbiegen wollte“ (UA S. 3), endete. Diese Feststellungen lassen letztlich offen, wie weit das voran fahrende Fahrzeug von der Kreuzung entfernt war, als die Messung beendet wurde, so dass die von der Generalstaatsanwaltschaft erstrebte Korrektur, zumindest aber Konkretisierung der vom Amtsgericht auf „mindestens 400 bis 500 Meter“ bezifferten Messstrecke kaum valide sein kann. Jedenfalls enthält das angefochtene Urteil, worauf die Rechtsbeschwerde zutreffend hinweist, keine Angaben zum Verfolgungsabstand, den das nachfahrende Polizeifahrzeug während der Messung vom Fahrzeug des Betroffenen hatte.
3. Der Senat wendet die von der Rechtsprechung entwickelten Richtlinien nicht starr an, und er verkennt nicht, dass etwa eine längere Messstrecke die Fehlerquelle beim (zu großen Abstand) ausgleichen kann. Eine derartige Kompensation scheidet hier aber aus, weil die mitgeteilte Messstrecke die Mindestanforderungen jedenfalls nicht übersteigt und Angaben zum Abstand gänzlich fehlen. Auch die im Urteil mitgeteilte drastische Formulierung eines Zeugen, das Polizeifahrzeug „habe teilweise auf 170 bis 180 km/h beschleunigen müssen, um überhaupt am Fahrzeug des Betroffenen dranbleiben zu können“ (UA S. 3), enthält letztlich keine begreiflichen Angaben zu den Abstandsverhältnissen und kann deren Darstellung auch nicht ersetzen. (…)
a) Die Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren mit ungeeichtem Tacho ist im System der Messverfahren eine Ausnahme. Sie ist ungenau. Diesem Umstand hat der Tatrichter nach der Rechtsprechung des Senats zum einen regelmäßig durch einen Toleranzabzug von 20% des Ablesewertes Rechnung zu tragen, der weit höher ist als bei anderen Messverfahren. Zum anderen hat der Bußgeldrichter die Grundlagen der Messung nicht nur in Bezug auf die Länge der Messstrecke und den Abstand zwischen den Fahrzeugen, sondern, wenn die Messung wie hier bei Nacht oder Dämmerung erfolgte, auch auf die Sicht- und Beleuchtungsverhältnisse ausführlicher und genauer als bei anderen Messverfahren darzustellen.
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