Der Betroffene befuhr mit einem Sattelzug eine zweispurige Autobahn auf der rechten Spur. Dort bildete sich ein Stau und die vor ihm fahrenden Fahrzeuge reduzierten ihre Geschwindigkeit. Der vor ihm fahrende Lkw hatte bereits das Warnblinklicht eingeschaltet und bremste auf unter 40 km/h ab. Der Betroffene fuhr aus Unachtsamkeit ungebremst mit über 80 km/h auf. Der vor ihm fahrende Lkw wurde in die Mittelleitplanke geschoben. Durch umherfliegende Teile wurden weitere Fahrzeuge beschädigt. Hier hat das OLG Celle entschieden, dass der Betroffene mit nicht angepasster Geschwindigkeit trotz “angekündigter Gefahrenstelle” im Sinne der lfd. Nr. 8.1 der Anlage 1 zur BKatV gefahren ist. Die Ankündigung einer solchen Stelle müsse nicht durch Verkehrszeichen, sondern könne auch durch die Warnung anderer Verkehrsteilnehmer oder Dritter erfolgen (Beschluss vom 21.09.2015, Az. 2 Ss (OWi) 263/15).

1. Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zur Fortbildung des Rechts zuzulassen. Die Frage, ob es sich bei einem durch eine eingeschaltete Warnblinkanlage eines vorausfahrenden Fahrzeugs angekündigten Stauende um eine angekündigte Gefahrenstelle im Sinne von lfd. Nr. 8.1 der Anlage 1 BKatV handelt, ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung bislang – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden worden.

2. Nach § 80 a Abs. 3 Satz 2 i. V. v. Satz 1 OWiG war das Verfahren daher zugleich dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen.

3. Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Die Nachprüfung des Urteils hat weder im Schuld-, noch im Rechtsfolgenausspruch einen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen aufgedeckt.

a) Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung wegen einer fahrlässigen Verkehrsordnungswidrigkeit – fahrlässiges Fahren mit nicht angepasster Geschwindigkeit trotz angekündigter Gefahrenstelle in Tateinheit mit fahrlässiger Schädigung eines anderen Verkehrsteilnehmers – gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 i. V. m. §§ 1 Abs. 2, 3 Abs. 1 Satz 2 StVO.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 4 StVO darf der Fahrzeugführer nur so schnell fahren, dass er innerhalb der übersehbaren Strecke anhalten kann (sog. Sichtfahrgebot). Dieses Sichtfahrgebot – eine der wichtigsten Vorschriften über die Fahrgeschwindigkeit – legalisiert die Regel des Fahrens auf Sicht als äußerste Geschwindigkeitsgrenze unter günstigsten Umständen, die sich je nach den objektiven und subjektiven Umständen weiter ermäßigt (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., § 3, Rn. 14). Auch die Verkehrslage kann die Sichtfahrgeschwindigkeit reduzieren. Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 StVO hat ein Fahrzeugführer seine Geschwindigkeit insbesondere den Verkehrsverhältnissen anzupassen. Ein Verlangsamen der Geschwindigkeit kann bei unklarer Verkehrslage geboten sein, wenn also der Fahrzeugführer die Entwicklung des Verkehrs vor ihm nicht sicher beurteilen kann (Hentschel/König/Dauer, § 3, Rn. 29).

Nach den getroffenen Feststellungen und der in dem Urteil erfolgten Verweisung auf die in Augenschein genommenen Lichtbilder gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO bestand für den Betroffenen zur Tatzeit eine unklare Verkehrslage. Infolge eines sich auf der rechten Fahrspur bildenden Staus reduzierten die vor dem Betroffenen fahrenden Kraftfahrzeugführer merklich ihre Geschwindigkeit. Auch der direkt vor dem Betroffenen fahrende Lastkraftwagen bremste auf eine Geschwindigkeit von unter 40 km/h ab und schaltete seine Warnblinkanlage ein. Aufgrund dieser Anzeichen – der vorausfahrende Verkehr verlangsamte seine Geschwindigkeit, der direkt vor ihm fahrende Lkw bremste und schaltete seine Warnblinkanlage ein – konnte der Betroffene die weitere Entwicklung des Verkehrs nicht sicher beurteilen. Diese unklare Verkehrslage begründete für den Betroffenen die Pflicht, seine Geschwindigkeit ebenfalls zu verringern und sie der Verkehrslage anzupassen. Diese Pflicht hat der Betroffene verletzt. Er fuhr mit einer Geschwindigkeit von mehr als 80 km/h ungebremst auf den vorausfahrenden Lastwagen auf und verursachte hierdurch einen Verkehrsunfall mit erheblichem Sachschaden.

Der Betroffene hat sich durch dieses Verhalten eines fahrlässigen Verstoßes gegen § 3 Abs. 1 Satz 2 und Satz 4 StVO und gegen § 1 Abs. 2 StVO schuldig gemacht. Diese Verkehrsordnungswidrigkeiten (§ 49 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 StVO i. V. m. § 24 StVG) stehen im Verhältnis der Tateinheit zueinander gemäß § 19 OWiG.

b) Die Rechtsfolgenentscheidung des Amtsgerichts enthält ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen.

aa) Das Amtsgericht hat der Bemessung der Regelbuße zu Recht die lfd. Nr. 8.1 BKatV zugrunde gelegt. Danach beträgt der Regelsatz für das Fahren mit nicht angepasster Geschwindigkeit trotz angekündigter Gefahrenstelle, bei Unübersichtlichkeit, an Straßenkreuzungen, Straßeneinmündungen, Bahnübergängen oder bei schlechten Sicht- und Wetterverhältnissen (z.B. Nebel, Glatteis) gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 3 Abs. 1 Satz 1 bis 5 StVO grundsätzlich 100 Euro.

Soweit ersichtlich ist die streitgegenständliche Frage, ob mit „angekündigter Gefahrenstelle“ im Sinne der lfd. Nr. 8.1 BKatV nur Gefahrzeichen im Sinne der Anlage 1 zu § 40 StVO gemeint sind oder aber ob hiervon auch Warnungen anderer Verkehrsteilnehmer oder Dritter erfasst sind, bislang obergerichtlich noch nicht entschieden worden.

Nach § 40 Abs. 1 StVO mahnen Gefahrzeichen zu erhöhter Aufmerksamkeit, insbesondere zur Verringerung der Geschwindigkeit im Hinblick auf eine Gefahrsituation (§ 3 Abs. 1 StVO). Das Verkehrszeichen lfd. Nr. 1 Anlage 1 der StVO mit der Nr. 101 bedeutet „Gefahrstelle“, wobei ein Zusatzzeichen die Gefahr näher bezeichnen kann. Es gibt allerdings noch 22 weitere allgemeine und besondere Gefahrzeichen, die jeweils auf unterschiedliche Gefahrsituationen aufmerksam machen. So weist das Zeichen Nr. 105 auf eine Doppelkurve, das Zeichen 108 auf Gefälle und das Zeichen 114 auf Schleuder- oder Rutschgefahr hin. Es ist allerdings allen Gefahrzeichen gemeinsam, dass sie den Verkehrsteilnehmer zur Verringerung seiner Geschwindigkeit mahnen.

Nach § 16 Abs. 2 Satz 2 StVO dürfen Verkehrsteilnehmer das Warnblinklicht zur Warnung vor verkehrsbedingten Gefahrenstellen, insbesondere bei Annäherung an einen Stau oder bei besonders langsamer Fahrgeschwindigkeit auf Autobahnen und anderen schnell befahrenen Straßen, einsetzen. Aus § 1 Abs. 2 StVO kann sich sogar eine Pflicht zum Einschalten des Warnblinklichts ergeben (Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. Aufl., § 16, Rn. 14). Auch eine verkehrsbedingte Gefahrenstelle mahnt daher zur Verringerung der Geschwindigkeit.

Dies vorausgeschickt teilt der Senat die vom Amtsgericht vertretene Auffassung, wonach der Begriff der „angekündigten Gefahrenstelle“ in lfd. Nr. 8.1 BKatV nicht nur die Fälle erfasst, in denen eine Gefahrenstelle zuvor durch ein Verkehrszeichen angekündigt wird, sondern auch diejenigen, in denen die erst verkehrsbedingt oder aus anderen Ursachen plötzlich auftretende Gefahrenstelle durch Warnungen weiterer Verkehrsteilnehmer oder Dritter angekündigt wird.

Diese Auslegung beruht maßgeblich auf folgenden Erwägungen:

Bereits der unterschiedliche Wortlaut beider Normen – „Gefahrenstellen“ in Nr. 8.1 BKatV und „Gefahrstelle“ bei lfd. Nr. 1 Anlage 1 zu § 40 Abs. 6 StVO – legt die von der Verteidigung vertretene Auffassung nicht nahe, worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hinweist.

In den Fällen, in denen der Katalogtatbestand zwingend eine bestimmte Beschilderung voraussetzt, benennt die Bußgeldkatalogverordnung ferner jeweils ausdrücklich das Verkehrszeichen mit der ihm durch die Anlage 1 zu § 40 Abs. 1 und Abs. 6 Straßenverkehrsordnung zugeordneten Nummer. Dies ist unter anderem bei den Ziffern 7.1, 19.1, 31.a, 47 und 54 BKatV der Fall, allerdings gerade nicht bei der hier maßgeblichen Ziffer 8.1 BKatV. Im Umkehrschluss lässt sich daraus ableiten, dass der Begriff der „angekündigten Gefahrenstelle“ in Ziff. 8.1 BKatV gerade nicht ausschließlich eine durch ein Verkehrszeichen ausdrücklich markierte Gefahrenstelle erfassen soll, sondern auch solche – verkehrsbedingten – Gefahrenstellen, die sich durch eine veränderte Verkehrssituation plötzlich ergeben können.

Hierfür spricht schließlich auch der Umstand, dass nach der in Nr. 8.1 BKatV enthaltenen Aufzählung eine Regelgeldbuße von 100 Euro auch für eine nicht angepasste Geschwindigkeit bei Unübersichtlichkeit oder bei schlechten Sicht- und Wetterverhältnissen vorgesehen ist. Diese ausdrücklich genannten Alternativen treten ebenfalls bei sich verändernden äußeren Umständen auf. Vor ihnen kann gerade nicht in jedem Fall durch ein Verkehrszeichen gewarnt werden.

Nach den getroffenen Feststellungen hatte der vor dem Betroffenen fahrende Lastwagenfahrer sein Warnblinklicht eingeschaltet, um die anderen Verkehrsteilnehmer und auch den ihm nachfolgenden Betroffenen vor dem sich anbahnenden Stau – einer verkehrsbedingten Gefahrenstelle – zu warnen. Das eingeschaltete Warnblinklicht stellt die Ankündigung einer Gefahrenstelle im Sinne der lfd. Nr. 8.1 BKatV dar. Trotz dieser Ankündigung hat der Betroffene seine Geschwindigkeit nicht in dem gebotenen Umfang verringert, er ist vielmehr ungebremst auf den Vorausfahrenden aufgefahren.

Darüber hinaus tragen die getroffenen Feststellungen die Anwendung der lfd. Nr. 8.1 BKatV auch aus einem anderen Grund: Der Betroffene ist bei Unübersichtlichkeit mit nicht angepasster Geschwindigkeit gefahren. Nach den Feststellungen handelte es sich um eine für den Betroffenen unübersichtliche Verkehrssituation, weil die vorausfahrenden Fahrzeuge bereits ihre Geschwindigkeit verringert und die Warnblinkanlagen eingeschaltet hatten.

bb) Soweit das Amtsgericht keine Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen getroffen und es bei der Feststellung belassen hat, der Betroffene lebe in geordneten Verhältnissen, ist dies nicht zu beanstanden.

Nach § 17 Abs. 3 Satz 2 1. Halbsatz OWiG kommen die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters bei der Zumessung der Geldbuße in Betracht. Bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten bleiben sie jedoch nach § 17 Abs. 3 Satz 2 2. Halbsatz OWiG in der Regel unberücksichtigt. Letzteres ist vorliegend der Fall. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist mittlerweile anerkannt, dass erst bei einer Geldbuße von mehr als 250 Euro nicht mehr von einer geringfügigen Ordnungswidrigkeit auszugehen ist (OLG Celle, Beschluss vom 01.12.2014, 321 SsBs 133/14; OLG Celle NJW 2008, 3079). Vorliegend wurde gegen den Betroffenen eine Geldbuße von 165 Euro verhängt. Damit mussten die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vom Tatrichter nicht aufgeklärt werden.

Der Senat hat die Rechtsbeschwerde aus diesen Gründen gemäß § 79 Abs. 5 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 OWiG i. V. m. § 349 Abs. 2 StPO als offensichtlich unbegründet verworfen, allerdings den Schuldspruch und die angewendeten Vorschriften zur Klarstellung neu gefasst.