Ed Yourdon, Wikimedia Commons

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Die Klägerin verlangt von der Beklagten – einem Bauunternehmen – eine Schmerzensgeldzahlung. Die Beklagte hatte auf einem Bürgersteig eine Fläche von 68 x 135 cm geöffnet und mit Splitt aufgefüllt, hatte später aber vergessen, den Bereich wieder zu asphaltieren. Teilweise bestand ein Höhenunterschied von ca. 2 cm zum übrigen Bürgersteig. Beim Joggen mit ihrem Ehemann (am 07. November 2013, nach 18 Uhr) stürzte die Klägerin an der Stelle und verletzte sich. Das OLG Saarbrücken sah in diesem Fall keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten, dafür aber ein überwiegendes Mitverschulden der Klägerin. Diese hätte auf Grund des allgemein schlechten Zustands des Bürgersteigs eine erhöhte Vorsicht an den Tag legen müssen. Zudem war die betreffende Stelle durch einen Farbunterschied vom übrigen Bürgersteig zu erkennen, da die innerorts übliche Straßenbeleuchtung vorhanden war. Hinzukam, dass die Klägerin auf dem schmalen Bürgersteig neben und nicht hinter ihrem Ehemann gelaufen ist und so möglichen Gefahrenstellen nicht ausweichen konnte (Urteil vom 05.08.2015, Az. 1 U 31/15).

1. Der Beklagten kann vorliegend keine Verletzung ihrer aus der vormaligen Bautätigkeit resultierenden Verkehrssicherungspflicht zur Last gelegt werden.

a. Zwar war die Beklagte, die den Gehweg öffnete und anschließend mit Splitt in der oben beschriebenen Weise verschloss, gehalten, hiervon ausgehende Gefahren auszuschließen bzw. zu minimieren. Jedoch gilt es vorliegend zu beachten, dass sich der Schadensfall auf einem innerörtlichen Gehweg ereignete. Im Fall von Straßen und Gehwegen wird der Umfang der Verkehrssicherungspflicht von der Art und der Häufigkeit der Benutzung des Verkehrsweges und seiner Bedeutung maßgebend bestimmt. Sie umfasst die notwendigen Maßnahmen zur Herbeiführung und Erhaltung eines für den Straßenbenutzer hinreichend sicheren Straßenzustandes. Grundsätzlich muss sich der Straßenbenutzer allerdings den gegebenen Straßenverhältnissen anpassen und die Straße so hinnehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbietet. Der Verkehrssicherungspflichtige muss in geeigneter und objektiv zumutbarer Weise alle, aber auch nur diejenigen Gefahren ausräumen und erforderlichenfalls vor ihnen warnen, die für den Benutzer, der die erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzurichten vermag (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juli 1980 – III ZR 58/79 -, Rn. 17, juris).

Das bedeutet allerdings nicht, dass eine Straße oder ein Gehweg schlechthin gefahrlos und frei von allen Mängeln sein muss. Eine vollständige Gefahrlosigkeit der Straße und ihrer Benutzung kann mit zumutbaren Mitteln nicht erreicht und vom Verkehrsteilnehmer nicht erwartet werden. Auch der Fußgänger muss bei Benutzung des Bürgersteigs mit gewissen Unebenheiten rechnen und sich darauf einstellen. So muss etwa der Bürgersteig auch einer verkehrsreichen Hauptstraße nicht völlig frei von Mängeln sein und verlangt die Einhaltung der Verkehrssicherungspflicht nicht, dass dieser keine Unebenheiten aufweise, da so weitgehende Anforderungen dem Verkehrssicherungspflichtigen nicht zumutbar sind (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 1966 – III ZR 132/65 -, Rn. 18, juris).

Daher sind geringe Niveauunterschiede im Allgemeinen hinzunehmen. Jedoch kann ein für sich allein unerheblicher Höhenunterschied im Straßenbelag durch das Zusammenwirken mit anderen Umständen von Bedeutung werden und damit eine vom Verkehrssicherungspflichtigen zu beseitigende Gefahr für die Verkehrsteilnehmer auslösen. Bei geringen Höhenunterschieden darf mithin nicht allein auf die absolute Höhe des Unterschieds abgestellt werden; vielmehr ist die durch den Höhenunterschied bedingte Gefährdung im Zusammenhang mit den besonderen Umständen der einzelnen Örtlichkeit zu sehen und im Hinblick auf die Verletzung der Verkehrssicherungspflicht zu beurteilen (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 1966 – III ZR 132/65 -, Rn. 19, juris). Neben der Höhendifferenz sind daher ferner andere Umstände maßgebend, wie etwa die Art und Beschaffenheit der Vertiefung oder Erhöhung und die Lage in einer Hauptgeschäftsstraße, in der erfahrungsgemäß die Aufmerksamkeit der Fußgänger infolge der Verkehrsdichte und der Schaufensterauslagen abgelenkt wird (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 1966 – III ZR 132/65 -, Rn. 23, juris; OLG Hamm, Urteil vom 27. März 1992 – 9 U 204/01 -, NJW-RR 1992, S. 1442; OLG Oldenburg, Urteil vom 20. Dezember 1985 – 6 U 72/85 -, NJW-RR 1986, S. 903; Hager, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2009, § 823 E Rn. 160).

b. Hiernach kann der Beklagten vorliegend keine Verletzung ihrer, durch die Bauarbeiten an der betreffenden Stelle begründeten Verkehrssicherungspflicht vorgeworfen werden.

aa. Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass die Feststellung des Landgerichts Saarbrücken, wonach die „gesamte Fläche“ Unebenheiten aufweise (UA Seite 5, Bl. 62 d.A.), in verfahrensfehlerhafter Weise getroffen wurde. Das Landgericht Saarbrücken stellt zutreffend auf die aus den Lichtbildern ersichtlichen unterschiedlichen Beläge auf dem Bürgersteig ab. Hieraus auf Unebenheiten auf der gesamten Fläche zu schließen ist jedoch mit dem erstinstanzlichen Sachvortrag nicht in Übereinstimmung zu bringen.

Die Klägerin hatte erstinstanzlich vorgetragen, dass die anderen bearbeiteten Stellen des Bürgersteigs keine Unebenheiten aufweisen (Bl. 46 d.A.). Diesbezüglich hatte die Beklagte ausgeführt, dass für den gesamten Bürgersteig im Schadensbereich erkennbar sei, dass dort intensiv gearbeitet und der Bürgersteig geöffnet worden sei (Bl. 32 d.A.). Selbst wenn man dies als hinreichendes Bestreiten des klägerischen Vortrags ansieht und damit die Tatsachenfrage, ob der Bürgersteig Unebenheiten aufweist und wenn ja, welche, als streitig annimmt, hätte hierzu Beweis erhoben werden müssen. Die erstinstanzliche Feststellung, dass die gesamte Fläche Unebenheiten aufweise gründet sich damit auf eine unzureichende Tatsachenfeststellung.

bb. Hierauf beruht das Urteil jedoch nicht. Vielmehr kann ausgeschlossen werden, dass das Urteil im Falle zutreffender Tatsachenfeststellung anders ausgefallen wäre.

Zwar gilt es vorliegend zu beachten, dass die Verkehrssicherungspflicht der Beklagten nicht aus ihrer Eigentümerstellung über den Weg bzw. aus einer generellen hoheitlichen Verantwortung hierfür, wie etwa bei einer Gemeinde, herrührt. Sie hat vielmehr durch ihre konkrete Bautätigkeit und das unzureichende Verschließen der Baugrube eine Gefahrenquelle geschaffen. Damit ist das Maß der zumutbaren Maßnahmen zur Wahrnehmung der Verkehrssicherungspflicht ein anderes, wie etwa bei einem Straßenbaulastträger, wo sich etwa die Frage von Kontrollintervallen stellt. Jedoch kann die Frage, ob die Beklagte im konkreten Fall ihre Pflichten verletzt hat nicht ohne Berücksichtigung der oben genannten, generellen Anforderungen bei Wegen beurteilt werden, da die Sicherungserwartungen der Benutzer auch Rückschlüsse auf den Pflichtenkatalog zulassen. Es ist daher im Ergebnis sowohl auf die Möglichkeiten des Pflichtigen, als auch auf die Anforderungen an die Benutzer abzustellen.

Aus den seitens der Klägerin vorgelegten Lichtbildern (Bl. 16-19 d.A.) – die folgenden Lichtbilder betreffen nach dem klarstellenden Hinweis des klägerischen Prozessbevollmächtigten im Termin vor dem Senat eine andere Örtlichkeit – sowie aus den Lichtbildern Bl. 9 f. der beigezogenen Akte der Staatsanwaltschaft Saarbrücken ergibt sich, dass sich der geöffnete und unzureichend verfüllte Teil des Bürgersteigs vom Rest farblich unterscheidet. Zudem besteht er in Form von Splitt aus einem anderen Material als der asphaltierte Bürgersteig im Übrigen. Damit war aber erkennbar, dass der Bürgersteig an dieser Stelle Besonderheiten aufwies. Dies spielt für die Frage der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten eine entscheidende Rolle, da die Sicherungserwartungen, die ein Fußgänger an die Beschaffenheit eines Bürgersteiges redlicherweise stellen darf, in erster Linie an die örtlichen Verhältnisse anknüpfen. Diese örtlichen Verhältnisse sind durch den Gebietscharakter im allgemeinen, durch die nähere Umgebung im besonderen und schließlich durch den optischen Eindruck des Bürgersteiges als solchen charakterisiert; denn von dem so umschriebenen Gesamteindruck hängt es ab, zu welchem Maß an eigener Sorgfalt sich der Benutzer eines Bürgersteiges aufgerufen fühlen wird (vgl. OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 30. September 1993 – 1 U 248/90 -, NJW-RR 1994, S. 348).

Dieser optische Eindruck des Bürgersteigs musste einen, zu entsprechender Sorgfalt verpflichteten Fußgänger, aber dazu veranlassen, diese Stelle mit erhöhter Achtsamkeit zu passieren. Dabei spielt es keine entscheidende Rolle, dass sich das Unfallereignis vorliegend im Dunkeln vollzog.

Zum einen verpflichtet ein Joggen im Dunkeln auf dem Bürgersteig die Klägerin schon per se zu einer erhöhten Sorgfaltspflicht, da Hindernisse, Unebenheiten etc. schlechter wahrgenommen werden können. Zum anderen kommt es vorliegend nicht auf eine genaue Ausleuchtung des Unfallbereichs an. Zwar streiten sich die Parteien um die Art der Ausleuchtung. Unstreitig ist aber, dass der Bereich durch eine innerorts übliche Beleuchtung versehen ist. Die vorliegend allein maßgebende Hell-Dunkel-Differenz zwischen den verschiedenen Oberflächenbelägen ist jedoch auch in diesem Zustand zu erkennen. Soweit die Klägerin darauf abstellt, der Bereich sei nicht derart gut ausgeleuchtet, dass die Vertiefung von weitem gut erkennbar wäre, kommt es hierauf nicht entscheidend an. Es ist weniger maßgebend, ob die Klägerin die eigentliche Vertiefung erkennen konnte, sondern vielmehr, ob sie erkennen konnte, dass dieser Teil des Bürgersteiges optisch (Farbe, Material) vom übrigen Teil abweicht. Dass dies der Fall war, ergibt sich aus den vorgelegten Lichtbildern.

Zutreffend verweist das Landgericht Saarbrücken darauf, dass der Gehweg im streitgegenständlichen Bereich ausweislich der vorgelegten Lichtbilder verschiedene Beläge aufweist. So ist aus dem Lichtbild Bl. 9 der beigezogenen Akte ersichtlich, dass unmittelbar vor der Unfallstelle ein anderer Belag aufgebracht war. Ferner ist ersichtlich, dass hinter der Unfallstelle zu den Häusern offensichtlich schon Öffnungen vorgenommen wurden und der Bürgersteig mit einem anderen Belag verschlossen wurde. Schließlich befindet sich im weiteren Verlauf ein Stück mit Kopfsteinpflasterbelag.

Damit musste sich die Klägerin der Stelle mit erhöhter Sorgfalt nähern. Insbesondere hätte sie nicht im Bereich des Übergangs der beiden Bürgersteigbeläge laufen dürfen, da aufgrund des Umstands, dass insoweit Unterschiede wahrnehmbar waren, mit Höhendifferenzen hätte gerechnet werden müssen.

cc. Zudem handelt es sich bei der von der Beklagten geöffneten Fläche um eine solche, die ein derartiges Ausmaß aufweist, dass sie wahrnehmbar ist. Es liegt keine singuläre Vertiefung in einem ansonsten gleichmäßigen Belag vor.

dd. Zwar ist zu Lasten der Beklagten zu berücksichtigen, dass die Gefahrenstelle nicht etwa durch Naturereignisse oder Eingriffe Dritter entstanden, sondern von ihr selbst geschaffen worden ist. Maßgebend ist daher, anders als etwa bei der Beurteilung der Verkehrssicherungspflicht eines für den Gehweg latent Unterhaltungspflichtigen, nicht die Frage der Kontrollmöglichkeiten. Vielmehr wurde vorliegend eine konkrete Gefahrenstelle durch eigene Arbeiten geschaffen. Bei derartigen Hindernissen ist ein strengerer Sicherheitsmaßstab als bei den zuerst genannten Gefahrenquellen anzulegen, da der Sicherungspflichtige hier vor der Errichtung genügend Zeit und Möglichkeiten hatte, die Gefährlichkeit zu prüfen und erforderliche Schutzvorkehrungen in die Planung einzubeziehen (so OLG Hamm, Urteil vom 19. Juli 1996 – 9 U 108/96 -, MDR 1996, S. 1131, 1132).

Dies ändert jedoch im Ergebnis nichts daran, dass die Gefahrenstelle für die Klägerin im eingangs genannten Sinne erkennbar war und sie sich darauf einrichten konnte. Damit entfällt aber im Ergebnis eine Verkehrssicherungspflicht der Beklagten.

2. Selbst wenn man entgegen der vorstehend vertretenen Ansicht eine Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten, gerade mit Blick auf ihren eigenen konkreten Verursachungsbeitrag, annehmen wollte, überwiegt das Eigenverschulden der Klägerin und der von ihr gesetzte Ursachenbeitrag nach den konkreten Umständen des Falles derart, dass eine Haftung der Beklagten dahinter zurücktritt, § 254 Abs. 1 BGB.

Das Joggen in Dunkelheit, auf einem Gehweg, der keine einheitliche Oberflächenbeschaffenheit aufweist, ist zwar ein weit verbreitetes und legitimes Vorgehen, erfordert aber eine gesteigerte Sorgfaltspflicht. Aufgrund der schnellen Fortbewegung ist das Sturzrisiko erhöht und die Wahrnehmungs- sowie Reaktionsgeschwindigkeit eingeschränkt. Vorliegend kommt hinzu, dass die Klägerin und ihr Ehemann auf dem ohnehin schmalen Gehweg nach dessen polizeilichen Angaben in der beigezogenen Ermittlungsakte (dort Bl. 14) neben- und nicht mit ausreichendem Sicherheitsabstand hintereinander gelaufen sind. Hierdurch wurde die Klägerin, die den Teil des Gehwegs benutzte, der den Häusern zugewandt war und auf dem sich nach den Lichtbildern mehrere als Hindernisse in den Gehweg hineinragende Treppenzugänge befinden, in ihren Reaktions- und Ausweichmöglichkeiten bei möglichen Gefahrenstellen stark eingeschränkt, denn sie konnte weder nach links – dort befand sich ihr Ehemann , noch nach rechts – dort standen die Häuser – ausweichen.