Bei einem Zusammenstoß zwischen Überholer und abbiegendem Traktor nimmt die Rechtsprechung sehr oft eine Haftungsteilung vor. In diesem Fall des OLG Frankfurt trat die Betriebsgefahr des Traktors ganz zurück: Der Fahrer des Traktors hatte den Blinker schon über eine längere Strecke gesetzt und sich auch ansonsten ordnungsgemäß verhalten, während das Überholen auf der Strecke (Unterführung, Rechtskurve, daher Gegenverkehr nicht sichtbar) als grob fahrlässig anzusehen sei (Urteil vom 19.03.2015, Az. 22 U 225/13).

2. Vorliegend kann eine erhöhte Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs nicht angenommen werden. Zwar handelte es sich um ein Gespann, das naturgemäß schwerer zu überblicken war und verlangsamte Fahrvorgänge aufwies. Dass sich dies allerdings im Unfall ausgewirkt hat, ist vorliegend nicht erkennbar und wäre von der Beklagtenseite im Rahmen der allgemeinen Beweislastverteilung des § 17 Abs. 1 StVG als für sie günstiger Umstand zu beweisen gewesen.

Zwar könnte vorliegend ein Verstoß des Zeugen A gegen § 9 Abs. 1 Satz 4 StVO vorliegen. § 9 StVO normiert den Vorrang des entgegenkommenden und gleichgerichteten Verkehrs gegenüber dem Abbieger, wobei sich dessen Sorgfaltspflichten je nach dem Abbiegeziel von erhöhter Vorsicht bis zur höchsten Sorgfalt, die eine Gefährdung anderer ausschließt, steigert. Je weniger erkennbar das Abbiegeziel im Fahrverkehr ist, umso sorgfältiger muss sich der Abbiegende verhalten. Der Zeuge A, der nach links in einen Feldweg abbiegen wollte, war daher nicht nur verpflichtet, seine Absicht abzubiegen rechtzeitig anzukündigen, sich zur Fahrbahnmitte einzuordnen und durch doppelte Rückschau auf den nachfolgenden Verkehr zu achten. Er musste, auch wenn das Abbiegen in einen Feldweg nicht dem Abbiegen in eine Grundstückseinfahrt gleichzusetzen ist (§ 9 Abs. 5 StVO), doch ein erheblich gesteigertes Maß an Sorgfalt aufwenden, um eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer zu vermeiden.

Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme steht fest, dass sich der Zeuge A ausreichend eingeordnet und auch rechtzeitig den Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt hat.

Aus dem objektiven Geschehensablauf lässt sich vorliegend auch nicht der Schluss ziehen, dass der Zeuge A seiner Pflicht zur zweiten Rückschau nicht ausreichend nachgekommen ist.

Zwar muss sich der Abbiegende, wie es § 9 Abs. 1 Satz 4 StVO verlangt, unmittelbar vor dem Abbiegen durch Rückschau  Gewissheit verschaffen, dass der nachfolgende Verkehr seine Abbiegeabsicht erkannt und berücksichtigt hatte. Dass dies vorliegend den Unfall verhindert hätte, steht allerdings nicht fest. Vorliegend musste der Zeuge A nach der Unterführung, die eine erhebliche Rechtskurve aufwies, nach links abbiegen. Der Zeuge A konnte nichts anderes tun, als sich rechtzeitig einzuordnen und das Abbiegen anzukündigen. Er konnte im Außenspiegel aufgrund der Rechtskurve nicht erkennen, ob hinter ihm ein Fahrzeug herankam und überholen wollte. Es kam noch hinzu, dass die Straße aus der Unterführung nach oben führte, weshalb auch ein Blick in den Innenspiegel oder ein Schulterblick einen Kleinwagen wie den der Beklagten zu 2) in der konkreten Situation nicht hätte erkennen können oder müssen.

Der Senat geht zwar mit der überwiegenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung grundsätzlich davon aus, dass der Beweis des ersten Anscheins für eine Sorgfaltspflichtverletzung des Linksabbiegers spricht, wenn es in unmittelbarem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Linksabbiegen zu einer Kollision mit einem links überholenden Fahrzeug kommt (Senat 28.8.12 – 22 U 148/11 –; vgl. nur KG NZV 2006, 309; NZV 2007, 408; Martis/Enslin, MDR 2008, 117; Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen, Rz. 161 ff.).

Vorliegend handelt es sich allerdings, wie dargelegt, nicht um einen solch typischen Vorgang, als dass allein aufgrund des Zusammenstoßes mit der notwendigen Sicherheit auf einen Verstoß des Abbiegenden gegen die zweite Rückschaupflicht geschlossen werden kann. Ein solcher Verstoß kann mithin aufgrund der örtlichen Gegebenheiten nicht hinreichend festgestellt werden, zumal der Sachverständige auch mangels entsprechender Spuren keine klare Unfallposition beider Fahrzeuge ermitteln konnte.

3. Demgegenüber geht zu Lasten der Beklagten ein ganz erheblicher Verkehrsverstoß, nämlich der Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Ziffer 1 StVO, wonach bei unklarer Verkehrslage nicht überholt werden darf. Für die Beklagte zu 2) hätte bei sorgfältiger Fahrweise erkennbar sein müssen, dass das Gespann des Klägers einen besonderen Verkehrsvorgang ausführen würde, da sich dieses zur Mitte hin eingeordnet hatte, verlangsamt worden war und bereits über eine längere Strecke, nach Aussage des Zeugen A 100-150m, der Fahrrichtungsanzeiger betätigt war. Ein Überholen an dieser Stelle war zudem grob fahrlässig, weil die Beklagte zu 2) auch nicht den Gegenverkehr übersehen konnte, wie sich eindeutig aus den vorgelegten Fotografien ergibt. Die Beklagte zu 2) hat auch gegenüber dem Zeugen A ihre Schuld an dem Unfall eingestanden.

4. Dem Senat ist bewusst, dass die Haftungsverteilung in den Fällen der Kollision des Linksabbiegers mit dem Linksüberholer in der Rechtsprechung nicht einheitlich behandelt wird. Bei PKW wird überwiegend angenommen, dass dem Linksabbieger, der den Fahrtrichtungsanzeiger links rechtzeitig betätigt und sich zur Mitte hin eingeordnet, es aber unterlassen hatte, seiner zweiten Rückschauverpflichtung nachzukommen, ein Drittel Mithaftung trifft (KG NVZ 1993, 272; OLG Koblenz, NZV 05, 413; OLG Stuttgart VersR 82, 454; OLG Hamm NVZ 93, 313). In den Fällen, in denen die Betriebsgefahr des Linksabbiegers bereits durch die Verkehrssituation und die Art und Weise seines Fahrzeugs erhöht ist, nimmt die Rechtsprechung allerdings höhere Verursachungsbeiträge an.

So muss nach einer Entscheidung des OLG Hamm (VersR 1982, 1055) ein zum Linksabbiegen entschlossener Traktorführer, der erkennt, dass ein schnelleres Fahrzeug ihn noch vor dem Abbiegen links überholen will, darauf Rücksicht nehmen, den Abbiegevorgang sofort unterbrechen und auf der Stelle anhalten. Von einem zum Linksabbiegen in einen Feldweg eingeordneten langsam fahrenden Treckergespann geht danach eine nicht unerhebliche Gefahr aus, so dass eine Haftung des Abbiegenden von 75 % angenommen wurde.

Das Landgericht Saarbrücken hat in einer Entscheidung vom 13.03.2009 (13 S 174/08) ebenfalls eine Haftung des Linksabbiegers von 75 % angenommen, weil bei dem abbiegenden Traktor die Lichtsignalanlage verdeckt war.

Das Oberlandesgericht Nürnberg (DAR 2001, 170) hat festgestellt, dass bei dem Abbiegen eines sehr langsamen Fahrzeugs (Traktor) in einen Feldweg gemäß § 9 Abs. 1 StVO besondere Sorgfalt und Vorsicht beachtet werden muss. Kommt es beim Linksabbiegen zu einer Kollision mit einem überholenden Fahrzeug, kommt eine Haftungsverteilung von 60 zu 40 zu Lasten des Traktors in Betracht. Das Gericht hat dazu ausgeführt, dass aus Sicht eines Überholenden bei einem Traktor auf freier Strecke nicht ohne weiteres aus der geringen Geschwindigkeit auf ein bevorstehendes Abbiegen zu schließen ist, weil solche Fahrzeuge immer bedeutend langsamer sind, mithin dem objektiv äußeren Anschein nach die klassische Situation eines zulässigen Überholens gegeben ist. Auch aus seinem verringerten Abstand zum Mittelstreifen kann bei der Beachtung des Verhältnisses zwischen der Größe eines Traktors und der Fahrbahnbreite nicht unbedingt auf eine Abbiegeabsicht geschlossen werden.

Das OLG Brandenburg (26.09.2001 – 14 U 24/01) hat eine hälftige Schadensteilung angenommen. In diesem Fall wollte der Fahrer eines Traktorgespanns auf einer Bundesstraße nach links in einen Feldweg einbiegen, hatte rechtzeitig den Blinker gesetzt und seine Fahrt verlangsamt, aber seiner zweiten Rückschau nicht genügt, während das nachfolgende Fahrzeug zum Überholen ansetzte, obwohl der Fahrer die Abbiegeabsicht hätte erkennen können. Ebenso hat das OLG Köln (08.10.1981 – 7 U 74/81) eine Quote von je 50 % angenommen. In diesem Fall hatte der Führer des Ackerschleppers mit Anhänger rechtzeitig den linken Blinker gesetzt und seine Abbiegeabsicht angezeigt, während er seine Pflicht zur Rückschau unmittelbar vor dem Abbiegen nicht beachtet hatte. Das OLG Köln hat festgestellt, dass diese Verpflichtung bei langsam fahrenden Gespannen, insbesondere auf Straßen, auf denen auch höhere Geschwindigkeiten gefahren werden dürfen, besonders schwerwiegt.

Demgegenüber hat die Rechtsprechung einen überwiegenden Verursachungsbeitrag für den Überholer in solchen Fällen angenommen, in denen zusätzliche erschwerende Umstände vorlagen. Das Landgericht Bautzen (28.11.2003 – 4 O 650/03) hat eine Haftung des Überholers von 2/3 angenommen, wenn dieser mehrere Fahrzeuge gleichzeitig überholt. Das Landgericht hat dem Überholer vorgeworfen, dass dieser sich die Frage hätte stellen müssen, aus welchem Grund der hinter dem Traktor fahrende Pkw sich gleichfalls in der geringen Geschwindigkeit vorwärtsbewegte. Das OLG Celle (08.01.2004 – 14 U 85/03) hat eine Haftung von 25/75 zu Lasten des Überholers deshalb angenommen, weil dieser mit überhöhter Geschwindigkeit zwei Fahrzeuge überholt hat und von dem Überholer angesichts seiner Eigenschaft als Sattelzug ein hohes Gefährdungspotenzial ausging.

Das OLG Jena (25.03.2010 – 1 U 113/09) hat eine alleinige Haftung des Überholers dann angenommen, weil dieser in andauerndem Überholverbot überholt hat und ihm deshalb grobes Verschulden vorzuwerfen war.

5. Der Senat ist danach der Auffassung, dass vorliegend angesichts der konkreten Situation dem Fahrer des Gespanns weder ein Vorwurf zu machen ist noch von dem Gespann eine erhöhte Gefahr ausging. Wie dargelegt, hat der Zeuge A sämtliche Maßnahmen zu einem gefahrlosen Abbiegen eingeleitet, ein Verstoß gegen die zweite Rückschaupflicht kann vorliegend weder unmittelbar noch durch den Beweis des ersten Anscheins angenommen werden, das Fahrzeug der Beklagten zu 2) war für ihn beim Herausfahren aus der Unterführung nicht ohne weiteres erkennbar und er musste auch nicht damit rechnen, dass ein nachfolgender Autofahrer an einer solch unübersichtlichen Stelle, an der auch nicht besonders schnell gefahren werden konnte, überholen würde.

Unter Abwägung aller Gesichtspunkte muss deshalb vorliegend ein aus der Gefährdungshaftung des § 7 StVG folgender Haftungsanteil gegenüber dem erheblichen Verschulden der Beklagten zu 2), das, wie oben dargelegt, die Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs erhöht, zurücktreten.