Dass eine vorgetäuschte Polizeikontrolle, bei der das Opfer durch Handzeichen angewiesen wird, die Autobahn zu verlassen und auf einen Rastplatz zu fahren, wo es ausgeraubt wird, einen räuberischen Angriff auf Kraftfahrer (§ 316a StGB) darstellen kann, hat der 2. Strafsenat des BGH im vergangenen Jahr angenommen. Auf Grund der Spezialzuständigkeit des 4. Strafsenats für Verkehrsstrafsachen wurde die Sache am 23.07.2014 an diesen abgegeben (Az. 2 StR 105/14). Der 4. Strafsenat lehnte die Übernahme der Sache mit Beschluss vom 09.09.2014 ab (Az. 4 ARs 20-2/14). Am 08.10.2014 gab der 2. Strafsenat die Sache erneut ab und wies den 4. Strafsenat auf die Bindungswirkung dieses Beschlusses hin. Daraufhin legte der 4. Strafsenat, der sich weiterhin für unzuständig hielt, am 18.11.2014 die Sache dem Präsidium des BGH vor. Mittlerweile hat er in der Sache entschieden und sich insoweit der Ansicht des 2. Strafsenats angeschlossen: Indem die Angeklagten ihr Opfer veranlassten, die Autobahn zu verlassen, lag für dieses eine Nötigungssituation und somit ein Angriff vor. Dass das Opfer während des eigentlichen Überfalls auf dem Rastplatz nicht mehr Fahrzeugführer war, ist unerheblich (BGH, Urteil vom 23. April 2015, Az. 4 StR 607/14).
1. Nach den Feststellungen haben sich die Angeklagten tateinheitlich auch des (gemeinschaftlichen) räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer gemäß § 316a Abs. 1 StGB schuldig gemacht.
a) Nach der Grundsatzentscheidung des Senats vom 20. November 2003 (4 StR 150/03, BGHSt 49, 8 ff.) erfasst der Tatbestand des § 316a StGB als taugliches Tatopfer nur den Führer (oder den Mitfahrer) eines Kraftfahrzeugs. Erforderlich ist, dass das Tatopfer diese Eigenschaft zum Tatzeitpunkt, d.h. bei Verüben des Angriffs, besitzt. Das Landgericht hat nicht verkannt, dass der Nebenkläger bei dem Angriff auf dem Parkplatz nicht mehr Führer des LKW war. Zwar hielt sich das Tatopfer noch im Fahrzeug auf. Es war aber zu diesem Zeitpunkt nach den Feststellungen nicht mehr mit der Bewältigung von Betriebs- oder Verkehrsvorgängen befasst, damit nach der Rechtsprechung des Senats nicht mehr Führer des LKW und deshalb zu diesem Zeitpunkt kein taugliches Angriffsziel im Sinne des § 316a StGB (vgl. BGH, aaO; NK-StGB/Herzog, 4. Aufl., § 316a Rn. 16).
b) Indem die Täter ihr Opfer zuvor durch die vorgetäuschte Polizeikontrolle zu diesem Halt zwangen, lag jedoch entgegen der Auffassung des Landgerichts die für die Tatbestandsmäßigkeit erforderliche zeitliche Verknüpfung zwischen dem Verüben des Angriffs und der Führereigenschaft des Angegriffenen vor (vgl. dazu auch BGH, Beschlüsse vom 28. Juni 2005 – 4 StR 299/04, BGHSt 50, 169, 170 f., und vom 25. September 2007 – 4 StR 338/07, BGHSt 52, 44, 45 f.).
aa) Für die insoweit allein problematische Frage, ob die Angeklagten einen Angriff auf die Entschlussfreiheit des Nebenklägers als Führer des LKW verübt haben, gilt nach der Rechtsprechung des Senats das Folgende (vgl. insbesondere BGH, Urteile vom 20. November 2003 – 4 StR 150/03, BGHSt 49, 8, 12 f.; Beschluss vom 14. Juli 1987 – 4 StR 324/87, BGHR StGB § 316a Abs. 1 Angriff 1): Einen solchen Angriff verübt, wer in feindseliger Absicht auf dieses Rechtsgut einwirkt. Ausreichend, aber auch erforderlich ist eine gegen die Entschlussfreiheit gerichtete Handlung, sofern das Opfer jedenfalls deren objektiven Nötigungscharakter wahrnimmt; die feindliche Willensrichtung des Täters braucht das Opfer dagegen nicht erkannt zu haben. Ebenfalls nicht vorausgesetzt ist, dass der verübte Angriff sich bereits unmittelbar gegen das Eigentum bzw. das Vermögen des Opfers richtet.
bb) Dadurch, dass der Angeklagte S. und die gesondert Verfolgten S. M. und H. in Absprache mit den weiteren Angeklagten Z. und M. M. den Nebenkläger veranlassten, mit seinem LKW die Autobahn zu verlassen und den Rastplatz aufzusuchen, haben sie im vorbezeichneten Sinn einen tatbestandsmäßigen Angriff auf die Entschlussfreiheit des Führers eines Kraftfahrzeugs verübt. Der Nebenkläger befand sich bereits zu diesem Zeitpunkt objektiv in einer Nötigungssituation.
Zwar reicht es für das Merkmal des „Angriffs“ nach der (neueren) Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der herrschenden Meinung in der Literatur nicht aus, wenn auf den Führer eines Kraftfahrzeugs mit List eingewirkt wird, um ihn in eine Situation zu bringen, in der ein Raub durchgeführt werden soll. Dies ist etwa der Fall, wenn ein vermeintlicher Fahrgast beim Taxifahrer ein falsches Fahrtziel angibt (vgl. BGH, Urteil vom 20. November 2003 – 4 StR 150/03, BGHSt 49, 8, 13 f.); das Gleiche gilt für das Vortäuschen einer Autopanne (jedenfalls außerhalb des Anwendungsbereichs des § 323c StGB) sowie in den Anhalterfällen. Hiervon abzugrenzen sind aber Handlungen, welche auf den Führer eines Kraftfahrzeugs eine objektiv nötigungsgleiche Wirkung haben (vgl. dazu im Einzelnen Fischer, StGB, 62. Aufl., § 316a Rn. 6 f.; Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 316a Rn. 2; jew. mwN). Es kommt hierfür nicht darauf an, ob diese Wirkung vorgetäuscht ist oder ob der objektiv Genötigte von einer Rechtswidrigkeit der Einwirkung ausgeht.
Fälle einer – wie hier – vorgetäuschten Polizeikontrolle unterscheiden sich daher substantiell von bloßen Vortäuschungen allgemein motivierender Umstände der oben genannten Art; sie entsprechen vielmehr der Konstellation einer Straßensperre. Denn dem Kraftfahrzeugführer ist bei der Einwirkung durch das Haltezeichen eines Polizeibeamten kein Ermessen eingeräumt; er ist vielmehr bei Androhung von Geldbuße (§ 49 Abs. 3 Nr. 1 StVO) verpflichtet, Haltezeichen Folge zu leisten, wobei der Senat dahinstehen lässt, ob die Täter hier eine Weisung zur Regelung einer konkreten Verkehrssituation nach § 36 Abs. 1 StVO oder eine solche zur Durchführung einer allgemeinen Verkehrskontrolle nach § 36 Abs. 5 StVO vorgespiegelt haben (vgl. zur Abgrenzung OLG Köln, VRS 67, 293; Janker in Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. Aufl., § 36 StVO Rn. 3 f., 12). Der Nebenkläger sollte jedenfalls das Vorgehen der Täter im fließenden Verkehr als polizeiliche Weisung verstehen und hat dies auch so verstanden; das Tragen von Zivilkleidung steht der von den Angeklagten und ihren Tatgenossen angestrebten Vorgabe einer Polizeikontrolle nicht entgegen (Kudlich, JA 2015, 235, 236; vgl. hierzu auch BayObLGSt 1974, 137; OLG Düsseldorf, NZV 1996, 458, 459; OLG Hamm, NJW 1972, 1769 für die telefonische Weisung eines „Kreispolizeibeamten“; zw. Jahn, JuS 2014, 1135, 1137).
cc) Auf die Entschlussfreiheit eines Kraftfahrzeugführers wird daher bereits dann durch einen Angriff eingewirkt, wenn vom Täter eines geplanten Raubes eine Polizeikontrolle vorgetäuscht wird und sich der Geschädigte dadurch zum Anhalten gezwungen sieht (König in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl., § 316a StGB Rn. 2; SSW-StGB/Ernemann, 2. Aufl., § 316a Rn. 9; Sander in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 316a Rn. 11; LK-StGB/Sowada, 12. Aufl., § 316a Rn. 11; Sternberg-Lieben/Hecker in Schönke/ Schröder, StGB, 29. Aufl., § 316a Rn. 4; SK-StGB/Wolters, § 316a Rn. 3c [„psychische Autofalle“]; Roßmüller/Rohrer, NZV, 1995, 253, 263; Steinberg, NZV 2007, 545, 550; Geppert, DAR 2014, 128, 130; in der Tendenz ebenso schon BGH, Beschlüsse vom 23. Juli 2014 – 2 StR 104/14, NStZ-RR 2014, 342, und 2 StR 105/14; aA Krüger, NZV 2004, 161, 165 f.; Duttge/Nolden, JuS 2005, 193, 197; wohl auch Bosch JK 1/2015 StGB § 316a).
c) Die Angeklagten und ihre Tatgenossen haben als Mittäter bei der Begehung der Tat in der tatbestandsmäßigen Absicht die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs ausgenutzt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist dieses zusätzliche Tatbestandsmerkmal in der Regel erfüllt, wenn der Angriff im Sinne des § 316a StGB zu einem Zeitpunkt erfolgt, an dem sich der Fahrer mit dem Kraftfahrzeug im fließenden Verkehr befindet (BGH, Urteil vom 20. November 2003 – 4 StR 150/03, BGHSt 49, 8, 14 f.; Beschlüsse vom 28. Juni 2005 – 4 StR 299/04, BGHSt 50, 169, 172 f., und vom 22. August 2012 – 4 StR 244/12, NStZ 2013, 43); so liegt es auch hier.
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